Cathrin Kahlweit berichtet für die "Süddeutsche Zeitung" über Österreich und Osteuropa.

Foto: STANDARD/Andreas Urban

Wien – Es fehle nur noch, dass auch die Adresse der Journalistin veröffentlicht werde: Von einer neuen Qualität der Angriffe auf ausländische Medienvertreter in Ungarn spricht Cathrin Kahlweit, die als Korrespondentin der "Süddeutschen Zeitung" ebenfalls aus Ungarn berichtet. "Neu ist, dass Kollegen aus dem Ausland in Ungarn persönlich angegriffen werden, das kenne ich so nicht", sagte Kahlweit am Dienstag bei einer vom Presseclub Concordia veranstalteten Diskussion zum Thema "Korrespondenten unter Druck: Persönliche Angriffe gegen Journalisten und Journalistinnen in Österreichs Nachbarländern".

Konkret geht es etwa um die Attacke des ungarischen Staatsfernsehens, mit der sich die österreichische Journalistin Franziska Tschinderle vom Wochenmagazin "Profil" letzte Woche konfrontiert sah. In dem dreiminütigen Beitrag wurden mehrere Screenshots von E-Mails gezeigt, die die Journalistin an die Fidesz-Fraktion im Europaparlament geschickt hatte, sowie ein Foto der Redakteurin. Tschinderle habe EU-Abgeordnete der ungarischen Regierungspartei Fidesz "mit Fragen provoziert", hieß es.

Statt Antworten ein Beitrag im Staatsfernsehen

Tschinderles "Profil"-Kollegin Siobhan Geets erklärte, dass es um eine gemeinsame Recherche zur Bildung einer Rechtsfraktion im Europarlament gegangen sei, nachdem sich Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán mit dem Chef der italienischen Lega, Matteo Salvini, und Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki getroffen hatte. Tschinderle und Geets hätten die Fidesz-Fraktion im Europaparlament und andere gefragt, warum es dieses Mal klappen sollte, nachdem es bereits zuvor Versuche zur Bildung einer Rechtsfraktion gegeben habe, sie aber immer gescheitert seien, weil es Differenzen etwa im Umgang mit Russland oder Antisemitismus gab. Das Wort Antisemitismus habe offenbar so provoziert, dass es einen Tag später statt Antworten der Fraktion einen Beitrag im Staatsfernsehen gab, in dem Tschinderle als naiv bezeichnet wurde. Der Kommentator sagte, dass solche Fragen nur von "Amateurjournalisten" kommen könnten.

Für oder gegen Ungarn

"Wir sind nicht eingeschüchtert, sondern nur überrascht. Diese Heftigkeit ist selbst für ungarische Verhältnisse ungewöhnlich", so Geets über die Attacke, die in Österreich das Außenministerium veranlasste, dagegen zu protestieren. Von persönlichen Anfeindungen in ungarischen Medien berichtet auch Kahlweit etwa nach ihrer kritischen Geschichte über das Familienbild in Ungarn, das von der Regierung transportiert werde. "Mir wurde vorgeworfen, dass ich eine Manipulatorin wäre und Fake-News verbreite", schildert Kahlweit. Sie konstatiert eine Arroganz der Macht und dass die Regierung ausländische Medienvertreter für ihre Interessen in Haftung nehmen wolle: "Wer sich nicht auf die Seite der Regierung stellt, ist ein Feind des Regierung und des Landes." Es werde einem vorgeworfen, dass man das ungarische Volk beleidige.

Angst in der Bevölkerung

Die Repression der Regierungsvertreter und ihrer willfährigen Medien und spiegle sich in einer Angst der Bevölkerung wider: "Die Menschen wollen in Ungarn nicht mehr mit mir reden", weil sie Angst hätten, dass sie Drohungen oder Hassmails erhalten: "Das kennt man nur aus autoritären Regimen, das ist unfassbar bedrohlich", so Kahlweit. "Das hat mit einer Form von Medienpolitik zu tun, dass eine Armada losgeschickt wird, um einzelne Journalisten fertigzumachen." Die Medienpolitik umfasse auch, dass ungarisches Geld in slowenische Medien, nach Nordmazedonien oder Serbien fließe. "Da wird strategisch gearbeitet, das muss einem wahnsinnig zu denken geben."

Problematisch sei auch, dass die Kommunikationsbereitschaft öffentlicher Stellen zurückgegangen sei, erzählt Kahlweit. Sie bekomme von ungarischen Ministerien keine Antworten mehr. Per Telefon werde nicht mehr auf Englisch, sondern nur mehr auf Ungarisch kommuniziert. Die Lage der Medien sei aber nur ein Puzzleteil eines viel größeren Problems: des grundlegenden Demokratieabbaus, den Orbán und seine Fidesz-Partei immer weiter betrieben. "Die haben es nicht mehr nötig, nach den Regeln zu spielen."

Negativbeispiel Slowenien

ARD-Korrespondent Nikolaus Neumaier wurde erst vor wenigen Tagen zur Zielscheibe von Sloweniens Premier Janez Janša, dem ein Bericht über Pressefreiheit in Slowenien missfiel – der STANDARD berichtete. Janša beschuldigte Neumaier auf Twitter, "Zensur im Stil von 'Prawda' oder 'Der Stürmer'" zu betreiben. Er warf dem Journalisten vor, aus seinem Beitrag fast alle Gesprächspartner herausgenommen zu haben, die mit seiner "einseitigen Agenda" nicht einverstanden gewesen seien. "Eine Schande für die ARD", schrieb Janša.

Verband der Auslandspresse protestierte

Der Verband der Auslandspresse in Wien kritisierte bereits am Freitag die Angriffe auf Korrespondenten in Slowenien und Ungarn. Man sei "höchst besorgt" über Janšas Angriff auf das ARD-Studio Wien und die Attacke des ungarischen Staatsfernsehens gegen das "Profil", teilte der Verband mit. "Wir verurteilen diese Versuche, kritischen Journalismus zu denunzieren", sagte Vizepräsident Ivo Mijnssen, der auch die Online-Diskussion am Dienstag moderierte, wo er auch wirtschaftliche Aspekte ins Spiel brachte. So hätten Investoren kein Interesse an einer politischen Veränderung, durch die etwa auch abgeschlossene Verträge wieder auf den Prüfstand kämen.

Die Lage sei in Slowenien sehr polarisiert und zugespitzt, sagt ARD-Journalist Neumaier: "Es ging nur darum, dass wir Handlanger einer Seite wären und gegen nationale Interessen handeln. Journalisten sollten im nationalen Interesses eines Landes auftreten. Was das ist, bestimmt die Regierung."

Radio Free Europe gegen Orbán und Co

Angesichts der bedrohten Medienfreiheit in Ländern wie Ungarn, Slowenien oder Polen wurde auch über die Gründung eines paneuropäischen Senders nach Vorbild des amerikanischen Radio Free Europe im Kalten Krieg geredet. Ein neues RFE wäre "eine wahnsinnig gute Idee", sagte Kahlweit, und für ARD-Korrespondent Neumaier könnte ein solcher Sender für "objektive Berichterstattung" sorgen und damit in Ländern wie etwa Ungarn die verlorene Medienpluralität wettmachen. (Oliver Mark, 13.4.2021)