In der Serie alles gut? denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.

Schmetterlinge und Bienen sterben, Frösche verschwinden: Eine Million Tier- und Pflanzenarten drohen auszusterben. Ökosysteme könnten kippen, der Amazonas etwa zur Savanne werden. Die Natur ist in einer Krise, und Forscherinnen und Forscher warnen verzweifelt, werden aber von Medien und Politik zu wenig gehört. Dabei wäre der Großteil der Biodiversität der Welt noch zu retten, wenn keine Zeit verschwendet wird. Diese neun Lösungen könnten das Ruder herumreißen und den Kindern unserer Kinder gerecht werden.

Sie lesen alles gut?, eine Serie, in der ich über eine bessere Welt nachdenke. Melden Sie sich für meinen Newsletter an – ich halte Sie auf dem Laufenden.

Die Natur ist auf dem Rückzug, helfen würden mehr Schutzgebiete wie der Nationalpark Hohe Tauern.
Foto: imageBROKER/Robert Haasmann

1. 30 Prozent der Erde bis 2030 schützen.

Der wichtigste Grund für die drastische Verschlechterung des Zustands der Natur ist, dass Tieren und Pflanzen auf der Welt der Platz ausgeht. Eine naheliegende Lösung wäre also, ihnen mehr Platz zu geben. Wissenschafter und Wissenschafterinnen fordern mehr und größere Schutzgebiete, also mehr Flächen, in denen stark eingeschränkt ist, was der Mensch dort tun kann. Derzeit sind 16 Prozent des Landes und 7,4 Prozent der Ozeane der Welt geschützt. Die Regierungen von Frankreich, Costa Rica und Großbritannien fordern gemeinsam mit mehr als 50 anderen, 30 Prozent der Erde bis 2030 zu schützen. Die Biden-Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, ein Areal dieser Fläche national zu schützen.

Etwa zwei Prozent der Erde sind besonders wichtig für bedrohte Arten. Diese Fläche könnte man realistischerweise binnen fünf Jahren schützen. Sie verteilt sich auf zig Länder. Ansonsten sind vor allem Flächen in Russland, Brasilien, Indonesien, den USA, Kanada, Australien und der Türkei wichtig für Biodiversität. Ihr Schutz sorgt auch dafür, dass CO2 gespeichert wird. 92 Prozent der Flächen auf der Erde, die besonders artenreich sind, speichern auch besonders viel CO2. Ein Beispiel dafür sind etwa Regenwälder. Ausgeweitete Schutzflächen sind daher sowohl eine Lösung für das Klima- als auch für das Biodiversitätsproblem. In Österreich sind knapp 16 Prozent der Fläche Natura-2000-Schutzgebiete, darunter versteht man ein EU-weites Netz an Naturschutzgebieten.

(Quelle: Dinerstein et al. 2019)

2. Schutzgebiete machen Branchen wie die Fischerei nachhaltiger.

Eine Gruppe an 100 Wissenschaftern – mit Wiener Beteiligung – hat ausgerechnet, dass sich diese Schutzzonen mit der Zeit von selbst rechnen. Für das 2030-Ziel sind aber zunächst bis zu 178 Milliarden Dollar pro Jahr an Investitionen notwendig. Das sind etwa 0,2 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung pro Jahr. Sogar die Erlöse in Land- und Forstwirtschaft steigen dadurch. Agrarbetriebe und Forstwirte haben zwar weniger Flächen. Diese Knappheit führt aber zu höheren Preisen für ihre Produkte wie Soja oder Holz. Die Preise für Konsumenten steigen daher geringfügig.

Auch die Fischerei kann nach ein paar Jahren höhere Umsätze erwarten, wenn ein größerer Teil der Ozeane geschützt wird. Denn die Fische schwimmen ja auch aus den Schutzzonen raus und können dann gefangen werden. Ohne Schutz droht die Zahl der Fische in vielen Gebieten stark abzunehmen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, mehr Öko-Tourismus zu betreiben, wie das etwa heute schon oft passiert. Wenn man die vermiedenen Schäden noch einrechnet, wird die Rechnung noch klarer: Die Ausgaben, die man für Reparaturen nach Fluten, Sturmschäden oder Bodenerosion nicht tätigen müsste, belaufen sich im Jahr 2050 auf mehrere Hundert Milliarden Dollar pro Jahr.

(Quelle: Waldron et al. 2020)

3. Das Fördersystem in der Landwirtschaft umstellen.

Die Landwirtschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten intensiviert. Wenn Bauern weniger oft mähen und weniger spritzen und düngen, wäre das aber besser für die Umwelt. In der Bio-Landwirtschaft ist die Artenvielfalt im Schnitt um 30 Prozent höher als beim konventionellen Anbau. Bio ist also besser für die Umwelt, fährt aber im Schnitt weniger Ernte ein. Man könnte Landwirte fördern, damit sie bestimmte Flächen nicht bearbeiten und dort Blumenwiesen anbauen, die das gesamte Jahr über Nektar und Pollen für Insekten bereitstellen. In Oberösterreich betreibt die Landwirtschaftskammer gemeinsam mit dem Maschinenring eine "Blühstreifenaktion".

Auch Straßenränder könnte man weniger oft mähen und so mehr Raum und Futter für Insekten lassen. Gärten lassen sich so gestalten, dass sie gut oder schlecht für die Umwelt sind. Nicht spritzen und Pflanzen mit viel Nektar und Pollen helfen. Balkone und Terrassen können in Städten wichtige Korridore für Insekten sein. Die Standards für die Zulassung von Pestiziden zu erhöhen würde ebenfalls helfen.

(Quelle: Settele 2019, Bengtsson, Ahnström, Weibull 2005)

Der Pirol, eine Vogelart, im Natura-2000-Gebiet Lendspitz-Maiernigg in Kärnten.
Foto: APA / Bernhard Huber

4. Mehr produzieren und weniger der Umwelt schaden.

Wir brauchen deutlich mehr Lebensmittel, weil die Weltbevölkerung stark wächst und die Menschen reicher werden und mehr konsumieren. Gleichzeitig muss der Schaden, den die Landwirtschaft an der Natur anrichtet, dramatisch sinken. Wie soll das gehen? Eine Gruppe an hochkarätigen Forschern meint, so: In den Tropen, etwa in Brasilien oder Indonesien, wird Regenwald in Felder und Weiden umgewandelt. Der Schaden für die Natur ist enorm, weil die Biodiversität dort groß ist. Der Ertrag ist aber gering. Es würde sich also auszahlen, den Bauern einfach Geld zu geben, damit sie damit aufhören.

In Osteuropa, Afrika und Lateinamerika ist die Ernte pro Hektar gering. Dort könnten bessere Praktiken mehr aus derselben Fläche holen. Außerdem wird auf der Welt nirgends "richtig" gedüngt. In vielen ärmeren Ländern wird zu wenig gedüngt, in vielen reicheren viel zu viel. Das auszugleichen erhöht den Ertrag und reduziert Umweltschäden. Gentechnik kann den Ertrag pro Hektar ebenfalls stark steigern. Außerdem wird ein Drittel des produzierten Essens nie konsumiert. In ärmeren Ländern liegt das an Bauern und der Logistik, etwa schlechter Kühlung. In reicheren daran, dass Handel und Konsumenten viel wegwerfen. Bewusstseinsarbeit kann hier helfen.

Wenn die Menschen weniger Fleisch und tierische Produkte essen würden, wäre der Gewinn für die Natur enorm. Drei Viertel der Agrarfläche der Welt geht für Tiere und ihr Futter drauf. Große Veränderungen halten die Forscher nicht für realistisch, aber selbst kleine Schritte würden hier einen großen Unterschied machen.

(Quelle: Foley et al. 2011, Zilberman, Holland, Trilnick 2018)

5. Angebot und Nachfrage wieder zusammenbringen.

Wäre die Welt ein Bauernhof, die Kinder würden gerade Grund und Hof verkaufen, in Saus und Braus leben, und die nächste Generation hätte: nichts mehr. Die Menschheit verbraucht 1,6 Erden pro Jahr. Ökonomisch betrachtet ist die Nachfrage nach der Natur viel größer als das Angebot. Es gibt vier Möglichkeiten, wieder ein Gleichgewicht zu schaffen. Wenn wir die ökonomische Brille einmal auflassen, kann das Angebot an Natur durch Schutzgebiete erhöht werden. Gleichzeitig kann die Nachfrage effizienter werden, in dem kontraproduktive Förderungen verschwinden (etwa für Landwirtschaft), weniger Essen und Wasser verschwendet und kaum mehr fossile Energie verwendet wird.

Wenn man sich das Ganze aber realistisch ausrechnet, dann müssen zusätzlich zwei andere heiße Eisen angegangen werden. Denn die Nachfrage nach Natur, etwa nach Essen, Wasser und Platz, steigt auch, wenn mehr Menschen auf der Welt leben. Eine Frau bekommt auf der Welt im Schnitt nur mehr 2,4 Kinder. Die Weltbevölkerung ist also kurz davor, nicht mehr zu wachsen. In Subsahara-Afrika sinkt die Rate auch, liegt aber noch bei 4,7 Kindern.

Familienplanung kann nicht nur Frauen helfen, ein selbstbestimmteres Leben zu führen. Sie nimmt auch Druck von der Umwelt. Ein heißes Eisen ist es deshalb, weil Geburtenkontrolle in autoritären Ländern schon zu viel Leid geführt hat. Die vierte Möglichkeit ist, den Pro-Kopf-Konsum auf der Welt zu senken. Weil arme Länder wenig konsumieren, sind hier reichere Länder gefordert. Der vielbeachtete "Dasgupta-Review", der für das britische Finanzministerium erstellt wurde, kommt zum Ergebnis: Es braucht alle vier Faktoren.

(Quelle: Dasgupta Review 2021)

6. Zertifikate und globale Archive schaffen.

Der Ökonom Geoffrey Heal hat eine Reihe an zusätzlichen Vorschlägen. So etwa Zertifikate für Lebensmittel, die Konsumenten glaubwürdig zeigen, dass kein Wald für das Produkt gerodet wurde. Außerdem gibt es in vielen Ländern schon Gesetze, die gefährdete Tiere wie Wölfe oder Adler erfolgreich schützen. Davon braucht es mehr.

Globale Archive, in denen die genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren gespeichert wurde, brauchen massiv mehr Geld. Eine der tragischsten Konsequenzen des Artensterbens ist ja, dass Information durch zig Millionen Jahre Evolution binnen weniger Jahrzehnte verlorengeht. So können gewisse Pflanzen besonderen Schutz vor dem Klimawandel oder künftig auftretenden Schädlingen bieten. Weil viele aussterben, geht dieses Wissen unwiderruflich verloren. Gleiches gilt für Eigenschaften von Pflanzen, aus denen Medikamente wie Aspirin gewonnen wurden.

(Quelle: Heal 2020)

Nur wenige Insekten sind bei den meisten Menschen beliebt. Forscher halten es deshalb für klug, populäre Gattungen wie Schmetterlinge in den Fokus zu nehmen.
Foto: imago images/Rainer Droese

7. Ökonomische Anreize auf den Kopf stellen.

Unternehmen sind sehr gut darin, Kosten zu senken. Ob das Ausgaben für Maschinen oder Mitarbeiter betrifft. Was derzeit oft gratis ist, ist die Natur zu schädigen und Treibhausgase auszustoßen. Die Logik hinter der CO2-Steuer, die wohl die meist geforderte Maßnahme gegen den Klimawandel ist, lässt sich auch auf die Biodiversitätskrise anwenden.

Wenn es teuer wird, die Zukunft unserer Kinder zu gefährden, wird die Wirtschaft plötzlich vom Problem zum Teil der Lösung. Dafür müsste man aber die Anreize auf den Kopf stellen, umweltschädliche Förderungen einstellen und es mit Steuern teurer machen, die Ozeane zu überfischen, zu viel Pestizide oder Dünger zu verwenden oder zu viele Rinder zu halten.

Hier ist auch die Ökonomie gefordert. Sie richtet sich, wie die Politik, stark am BIP aus, also an der Wertschöpfung eines Jahres. Was in dieser engen Betrachtung aber nicht berechnet wird, ist, was für Schäden dadurch entstanden sind. Hier sind internationale Institutionen wie der Internationale Währungsfonds gefordert, auch die Natur als Kapital einzuberechnen. So könnte sich also zeigen, dass die Wirtschaft um zwei Prozent wuchs, aber der Zustand der Natur deshalb um fünf Prozent schlechter wurde.

(Quelle: Heal 2020, Dasgupta Review 2021)

8. Bewusstseinsarbeit: Soziale Normen verändern.

Gesetze allein sind zu wenig, um die große Umweltkrise anzugehen. Ein Umdenken ist notwendig. Daher braucht es mehr Zugang zu Natur und Grünflächen, auch in Städten, Ausflüge in Schulen, Naturbildung ab der ersten Schulstufe und Grundkurse in Ökologie in allen Studiengängen. Wir schützen, was wir wertschätzen. Forschung zeigt, dass Menschen, die mehr in der Natur sind, auch eher dafür sind, sie zu schützen.

Ein Problem ist, dass viele Insekten mit dem täglichen Leben nichts zu tun haben. Wenn, werden sie eher als störend oder eklig wahrgenommen. Um auf das Artensterben aufmerksam zu machen, lohnt es, auf ikonische Insekten wie Schmetterlinge und Bienen zu setzen. Auch die Botschaft, Landschaften so zu bewahren, wie sie immer waren, führt eher zu einem Umdenken, als direkt zu betonen, Insekten schützen zu wollen.

Wenn es um Biodiversität geht, ist es für Einzelne auch einfacher, einen Beitrag zu leisten. Denn Ökosysteme, wie etwa ein Wald oder ein Fluss, kann man auch lokal schützen. Beim Klima funktioniert es nur, wenn alle mitmachen.

(Quelle: Dasgupta Review 2021, Samways 2020)

9. Groß denken und die Strukturen verändern.

In Studien drücken es Forscher immer wieder verklausuliert aus: Man darf nicht nur an ein paar Hebeln ansetzen – etwa Gesetzen oder Förderungen –, sondern muss große Strukturen ändern. In einer Studie heißt es etwa: "Es braucht eine systemweite Reorganisation sozialer, technischer und ökonomischer Faktoren." Forscher verstecken sich da gerne hinter Begriffen, mit denen sie nur schwer anzugreifen sind. Die Logik hinter diesen Struktur- bzw. Systemfragen ist aber jedenfalls schlüssig.

Um überall auf der Welt das Leben und Wirtschaften so hinzubekommen, dass die Erde auf lange Zeit bewohnbar bleibt, muss Nachhaltigkeit zur Norm werden, nicht wie heute die altruistische Ausnahme sein. Es braucht eine Vision eines guten Lebens, das nicht auf einem ständig steigenden Materialkonsum fußt. Das Wachstumsparadigma verabschieden, heißt es in einer Studie von führenden Ökologen. Partha Dasgupta, ein Ökonom, schreibt davon, dass der Konsum pro Kopf reduziert gehört. Weniger Wachstum und Konsum – wie das im aktuellen System funktionieren soll? Darüber wird noch zu reden sein.

(Quelle: Díaz et al. 2019)

Im nächsten Beitrag wird es um die Probleme unserer Ozeane und die Netflix-Doku "Seaspiracy" gehen. Wenn Sie sich für den Gratis-Newsletter anmelden, schreibe ich Ihnen, sobald er erscheint. (Andreas Sator, 25.4.2021)