Corona bringt auch widersprüchliche Bilder. Viele Menschen beklagen, dass die Logik von Maßnahmen oft nicht nachvollziehbar erklärt wird.

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Lernen, mit dem Virus zu leben: Dieser Slogan ist in letzter Zeit immer wieder zu hören. Wie dieses Leben jedoch ganz konkret aussehen soll, wissen nach wie vor weder Expertenrunden noch Politik und Bevölkerung.

Da die Pandemie aber vermutlich nicht so schnell verschwinden wird, müssen wir tatsächlich weiterhin lernen, damit umzugehen. Und das heißt auch, ein gewisses Risiko abzuschätzen, sagt Harald Willschke, Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts (LBI) Digital Health and Patient Safety in Wien: "Man muss davon ausgehen, dass man ein Risiko nie hundertprozentig ausschalten kann. Aber man kann damit arbeiten."

So kann auch die Zahl der Covid-Infektionen durch die derzeitigen Maßnahmen reduziert werden, aber sie ganz auf null zu bringen ist so gut wie unmöglich — ein Restrisiko bleibt immer bestehen. Deshalb muss man nicht nur für sich selbst befinden, welche Gefahr man bereit ist zu ertragen.

Gerade hinsichtlich eines effizienten Krisenmanagements sollte das auch in einer demokratischen Gesellschaft gemeinschaftlich entschieden werden. Willschke, der auch leitender Oberarzt und Katastrophenschutzbeauftragter am Allgemeinen Krankenhaus Wien ist, betont: "Es ist wichtig, die Bevölkerung einzubinden."

Eine Frage des Restrisikos

Die Menschen nur zu ermahnen, wie es seiner Meinung nach derzeit meist geschieht, sei für die Lösung dieser Krisensituation kontraproduktiv: "Wir Mediziner können nicht immer nur mit dem Leichentuch wedeln und sagen, dass alles furchtbar ist. Daher sollte die Bevölkerung selbst das Restrisiko bestimmen und sagen, was sie bereit ist, zu tragen."

Eine einfache Antwort gebe es da aber nicht. Deshalb hat das LBI das Projekt "Reden Sie mit! Welche Corona-Risiken und Schäden können wir gemeinsam als Gesellschaft akzeptieren?" gestartet. Ziel ist es, per Crowdsourcing einen möglichst breiten Konsens zu eruieren, der dann die Grundlage für effizientere Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus bilden soll.

Die Sozialwissenschafterin Elisabeth Klager leitet die LBI-Online-Studie, die noch bis Ende April läuft: "Wir wollen die Bevölkerung fragen, wo jeder individuell Gefahren erkennt, aber auch, wo es mehr Freiheiten braucht." Die Fragen sind dafür bewusst weit gefasst, sagt Klager: "Alle können offen berichten, was ihnen auf dem Herzen liegt. Wir möchten einen Raum bieten, um Geschichten zu erzählen."

Forderung nach schnellen Beschlüssen

Bei den meisten Personen, die das bereits getan haben, zeigt sich schon eine erste deutliche Tendenz: Gefordert werden vor allem schnellere Beschlüsse. Die zahlreichen Pressekonferenzen, auf denen bloß baldige Entscheidungen verkündet werden, ermüden die Bevölkerung nur zusätzlich.

Viele, die den Fragebogen beantwortet haben, kritisieren ohnehin in erster Linie die Kommunikation der Entscheidungsträger: Auch wenn sich die große Mehrheit laut eigener Aussage an die verschärften Regeln halte, wird trotzdem beklagt, dass die Logik der Maßnahmen häufig immer noch nicht vernünftig nachvollziehbar erklärt werde. Klager: "Die Menschen fühlen sich nicht abgeholt und nicht gehört. Wir merken: Viele freuen sich darüber, dass sie bei uns ihre Meinung äußern können."

Gewichtung von Gefahren

Die Gewichtung der verschiedenen Gefahren sieht schließlich in jedem Fall ganz anders aus: Zu den drei großen Risikofaktoren Infektionspotenzial, psychische Belastung und wirtschaftlicher Schaden gesellen sich zahlreiche weitere Variablen. Daher wollen die Forschenden auch viele Menschen aus allen Schichten erreichen, damit das Ergebnis weitgehend repräsentativ ist. Dazu fehlt es laut Klager derzeit vor allem noch an Jugendlichen, daher versuche man derzeit, diese Gruppe verstärkt anzusprechen.

Eine weitere Frage, die gestellt wird, ist, bei welchen Personen und Berufen man ihren Expertenstatus anerkennt: Wenig überraschend nennt die Mehrheit die Bereiche Medizin, Mathematik und Ökonomie.

Ausgehend von dem Stimmungsbild möchte das LBI auch das eigene Expertenteam, das letztlich konkrete Vorschläge für Entscheidungsträger erarbeiten soll, erweitern: So ist etwa die Arbeitspsychologie noch nicht vertreten, was sich angeregt von den Befragten nun ändern soll. Eine Studienteilnehmerin verwies zudem auf die Geschichtswissenschaft, weil die den Verlauf zurückliegender Pandemien genau kennt. Es bleibt zu hoffen, dass auch Corona irgendwann der Vergangenheit angehört. (Johannes Lau, 18.4.2021)