Unter dem Namen Liteville baut Jo Klieber Mountainbikes, die für viele als die besten gelten, die es gibt.

Foto: Florian Lechner

Es geht um Dopamin, um die Freude. "Denn nur was wir lieben, das können wir auch", sagt Jo Klieber. In einer alten Mühle im bayrischen Tacherting hat sich der gebürtige Schwabe über die Jahre seine Erfinderwerkstatt eingerichtet. Klieber ist der Daniel Düsentrieb der Fahrradbranche.

Unter dem Namen Liteville baut er Mountainbikes, die für viele als die besten gelten, die es gibt. Seine Komponenten-Marke Syntace steht für Lenker, Laufräder, Vorbauten und Naben in höchster Vollendung. Klieber ist ein Getriebener, bisweilen wirkt er wie besessen von dem, was er da in seiner alten Mühle treibt.

Auch äußerlich erinnert Klieber mit seinem zerzausten Haar und dem verlorenen Blick an das Comic-Vorbild. Stets am Grübeln, stets am Tüfteln lebt er in seinem eigenen Kosmos, in dem sich alles um die Gesetze der Physik dreht.

Sein ständiger Begleiter ist der Zollstock. Mit ihm erklärt er Außenstehenden seine Welt der Formeln und physikalischen Gesetze. Dass Klieber Fahrräder baut, ist einem Motorradunfall Anfang der 1990er geschuldet. Als Reha empfahlen ihm die Ärzte, Fahrrad zu fahren.

Leicht und beständig

Doch die Räder genügten seinen Ansprüchen nicht. Klieber kommt aus dem Leichtbau: "Mich haben Radln nie interessiert. Ich wollte fliegen, hatte aber nie das Geld dazu." Schon als Kind faszinierte es ihn, Dinge so leicht und zugleich beständig wie möglich zu bauen. Damals experimentierte er mit Kiefernholz, heute mit Aluminium und Carbonfasern.

Es gibt drei Dogmen, erklärt er: "Nicht brechen, nix wiegen, nix kosten. Aber je leichter etwas ist, umso leichter verreckt es auch." Leichtbau erachtet er als ständige Herausforderung: "Denn alles, was schwimmt, fliegt oder rollt, kann man nicht dauerfest bauen."

Sein Ziel ist es, dem Ideal der Betriebsfestigkeit so nah wie möglich zu kommen. Design erachtet er dabei als unnützen Aufschmuck, mit dem bloß technische Unzulänglichkeiten kaschiert werden.

Die Vermessung seiner Welt. Der Zollstock ist Jo Kliebers ständiger Begleiter.
Foto: Florian Lechner

Wer Klieber besucht, mit dem taucht er in seine Welt ab. Fünf Stunden Führung durch die Werkstatt sind dabei die Norm. Mit Banalitäten wie Essen oder Trinken hält er sich und seine Gäste nicht auf. Auch Schlaf erachtet er als Zeitverschwendung, wie seine engsten Vertrauten erzählen.

Von der Wohnung im ersten Stock der alten Mühle führt eine lange Metalltreppe hinunter zum Werkstattbereich. Nicht selten höre man ihn da nachts hinuntertrappeln. Wenn Klieber eine Idee hat, muss er die sofort umsetzen. Dann vergräbt er sich oft tagelang in einem Winkel seiner Werkstatt und baut und tüftelt.

Kreativer Prozess

Darum hortet er in hunderten Kisten und Regalen alles, was man sich an Radl-Ersatzteilen nur vorstellen kann: "Wenn du eine Idee hast, muss alles da sein. Sonst wirst unterbrochen." Der kreative Prozess ist für Klieber auch Qual.

Das muss so sein, erklärt er: "Je mehr Qual, umso mehr Dopamin, wenn es klappt." Und bei Klieber klappte es wie bei keinem anderen. Das bekannteste Produkt, das er geschaffen hat, ist das Liteville 301. Ein vollgefedertes Mountainbike, das gern mit dem Porsche 911 verglichen wird.

Denn das 301 wird seit 15 Jahren praktisch unverändert gebaut. In der Mountainbike-Branche einzigartig. Klieber erklärt das so: "Der 911er ist auch heute im Grunde noch ein Käfer, trotzdem fährt er die schnellsten Runden auf der Nordschleife auf dem Nürburgring. Er hat weniger Leistung, kein dramatisches Design und kostet weniger als die meisten Bonzenschüsseln."

Beim 301er verhalte es sich ähnlich. Das Rad sehe zwar seit 15 Jahren gleich aus, aber technisch wird es Jahr für Jahr verbessert, oft sind es nur Winzigkeiten. "Aber eine Legende wird man nicht durch Stillstand", sagt Klieber. Der Erfolg gibt ihm recht. Seit 15 Jahren ist das 301er bei Mountainbike-Tests stets ganz vorne dabei.

Eigene Standards setzen

In Kliebers Werkstatt stehen zahllose Prototypen des 301er. An ihnen bastelt er mit seinem Team unablässig herum. Manche haben aufgeschnittene Rahmen, manche sind mit Skizzen verziert. Oberste Maxime ist die Verlässlichkeit. Klieber baut Räder so, dass sie für den "größtmöglichen Fehlgebrauch" ausgelegt sind. "Springt einer damit vom Garagendach auf den flachen Asphalt, muss es das aushalten."

Stabilität ist ihm derart wichtig, dass er eigene Teststandards entwickelt hat. Grund dafür war ein für Klieber traumatisches Ereignis. Einer seiner ersten Syntace-Lenker, den er über externe Testinstitute prüfen ließ, ist im Einsatz gebrochen. Eine junge Frau von 50 Kilogramm verletzte sich schwer bei diesem Unfall. Seitdem traut er keinen externen Tests mehr.

In einer alten Mühle hat sich der Düsentrieb der Radbranche eingerichtet und tüftelt praktisch Tag und Nacht daran, wie man Fahrräder noch besser machen könnte.
Foto: Florian Lechner

"Ich will nicht auf die Beerdigung eines Kunden gehen", sagt Klieber. Aber er baue Produkte, mit denen solche Unfälle unvermeidlich sind. Daher setze er alles daran, dass dieser Fall erst in 300 Jahren eintritt. Diese Qualität erachtet er als Mindeststandard: "Perfektion als bester Kompromiss." Dass seine Ideen immer wieder kopiert und gestohlen werden, ist ihm klar, und er wertet es als Kompliment: "Nur das Beste wird nachgebaut." Kopieren sei letztlich ein Lernprozess, "den die Chinesen am besten beherrschen".

Kultstatus

Mit seinen Unternehmungen hat es Klieber zum Kultstatus in der Mountainbike-Branche geschafft. Syntace und Liteville stehen für Qualität, wie kaum eine andere Marke. Trotzdem droht diesem Lebenswerk das Aus. Es ist absurd: Denn der enorme Boom, den das Mountainbiken und die Radbranche insgesamt seit Beginn der Corona-Pandemie erleben, nutzt großen Konzernen, aber kleine Firmen wie die von Klieber gehen unter.

Weil sie am Markt von den Großen ausgebootet werden und kaum noch zu Nachschub kommen. "Die nächsten Bremsen können wir für 2023 bestellen", schildert Klieber das Dilemma. Die Konzerne haben praktisch alles an Teilen aufgekauft.

Daher sucht man bei Liteville und Syntace nun fieberhaft nach einem Partner, der einsteigt und das wirtschaftliche Überleben sichert. Allerdings muss es jemand sein, der die Philosophie Kliebers versteht und akzeptiert, wie er selbst einräumt. Denn sehr wirtschaftlich ist sein vom Lustgewinn getriebener Zugang zur Fahrradherstellung nicht, das weiß er selbst nur zu gut: "Dass erfolgreiche Menschen rational sind, ist Blödsinn. Es geht immer nur um Dopamin." (Steffen Arora, RONDO, 19.4.2021)