Autor Drehli Robnik wundert sich in seinem Gastkommentar, warum der Intensivkapazitätsgroßausbau nicht schon längst in Planung ist.

Wenn es so oft heißt, wir sollten noch diesen einen Lockdown (samt weiterlaufender Arbeit) durchstehen, damit Intensivstationen in den Spitälern nicht überlastet werden, dann lohnt es, die Referenzgröße "Anzahl freier Intensivbetten" politisch zu betrachten. Nicht um notwendige Eindämmungsmaßnahmen abzuwerten oder zu behaupten, nur mit "mehr Betten" wäre alles gut. Sondern um ein lange kursierendes Standardmotiv im Regierungsdiskurs zu beleuchten.

Die weiter dramatische Situation auf den Intensivstationen führte dazu, dass der Lockdown in Wien und Niederösterreich bis zum 2. Mai verlängert worden ist.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Nun könnte man einwenden, dass es nicht um "Betten" geht. Nur weil türkise PR uns strategisch verrohtes Sprechen angewöhnt, sollten wir uns unter Intensivbetten nicht Spitalsmöbel mit Schlafwäsche vorstellen. Dieses Kürzel benennt ja Infrastrukturen, Räume, Medizintechnik wie etwa Beatmungsgeräte und Personal. Belegte Betten bedeutet immer auch überlastete Belegschaften.

Strukturen und Personal der Intensivmedizin: Ausbau scheint da schier unmöglich, denn, so eine naheliegende Antwort, Intensivbetten sind teuer. Aber ist nicht auch ein Lockdown, der diese Kapazitäten schonen hilft, teuer? Von sozialen Folgekosten gar nicht zu reden. Gar nicht zu reden deshalb nicht, weil das Wort "Kosten" so viel an Leid bagatellisiert. Aber Leid gibt es nicht mehr; Message-Control hat es abgeschafft, ebenso Probleme und Zores – ersetzt durchs neoliberale Einheitswort "Herausforderungen", vor die uns Corona stellt.

Ein harter Job

Rechnen wir nicht nur in Euro, sondern auch in gelebter Zeit. Wird der Ausbau von Intensivkapazitäten überhaupt thematisiert, heißt es meist, dafür dauert die Ausbildung von Fachpersonal zu lange, zirka ein Jahr. Tritt nun also (krisenbedingte Ausbildungserschwernis mitgedacht) sehr bald der Ausbildungsjahrgang vom Beginn der Pandemie vor 14 Monaten den Dienst an? Freilich: Ausbildungsdauer allein ist es nicht. Über Intensivpflegearbeit sagt Helga Schneider, Leiterin der Sonderausbildungsakademie im AKH, treffend: "Das muss man wollen" (ZiB 2 vom 4. April). Ein harter Job, eine Frage des Wollens.

Viele im Intensivdienst wollen heute aus verständlichen Gründen nicht mehr: Sie sind erschöpft. Dass so die Kapazitäten reduziert statt ausgebaut werden, liegt auch am Wollen seitens derer, die diese einrichten. Waltet auch da guter Wille, in dem Maß, das die epochale Notlage gebietet? Werden Maßnahmen intensiv gewollt, die den Intensivpflegedienst "attraktivieren"? Regelrecht zum Traumjob machen? Locken nun Luxusgehalt, verkürzte Arbeitszeit, erweiterte Raum- und Schutzstrukturen für reichlich Personal? Reputation, wie sie sonst Großindustrielle genießen? Das entspräche der Dauerkatastrophe und dem Schema Angebot und Nachfrage. Spielt’s aber nicht.

Intensivpflegearbeit weniger auszehrend, aber toll bezahlt zu machen – und Altersheime infrastrukturell so auszubauen, dass dort viel Sozialkontakt möglich ist: Das geht nicht so, wie’s der kleine Maxi sich vorstellt; das ist aufwendig und kompliziert. Die Stillstellung sozialen Lebens ist viel unkomplizierter. Doch womöglich ist Intensivkapazitätsgroßausbau ja schon in Planung. Wenn, dann in Geheimplanung, untypisch für eine ankündigungsselige Regierung. Das Projekt fiele wohl ins Gesundheitsressort, wären nicht auch da die Leitung KO und Verwaltungsstrukturen ausgedünnt. Letztlich aber ist das Beatmen nicht Beamten zu überlassen: Versorgungsausbau ist eine politische Frage. Man muss das wollen. Was wird da gewollt? Wo rationale Motive wegfallen, liegen Herzensgründe nahe. Als vorwiegender "Frauenberuf" ist Spitalspflege einer Bubenpowerregierung an sich egal, aber Sorge steht an, wo Überversorgung droht. Plötzlich ist Corona aus, und der Staat sitzt auf vielen teuren Betten und Pflegekräften!

Zum Retter beten

Weniger im Licht bürgerlich rechnender Vernunft, sondern auf politisches Wollen hin betrachtet, ist zu vermuten: Die Regierung will uns angesichts krisenverschärfter sozialer Verteilungskämpfe nicht an Versorgungsstrukturen gewöhnen ("medizinische Hängematte", noch ein Problembett); eher an Abhängigkeit vom Notstandsmessias, dem Vasallen und Untertanen Liebe schulden. Zum Retter beten ist besser als Betten. Sich mit all den Erfolglosen und ihren Herausforderungen strukturell zu befassen freut Sebastian Kurz immer weniger (weshalb er das Lockdown-Verhängen nun Landeshauptleuten überlässt); dafür hat er nicht in der Blüte seiner Jugend Wahlen gewonnen. Vielen jungen Leuten vermiest die Pandemie so viel an prägender Lebenszeit; aber was ist mit einem jungen Kanzler, dem sie so viel an prägender Amtszeit vermiest?

Keine Möglichkeit, mit Gleichaltrigen coole Deregulierungsabenteuer zu erleben, auf Spendengalas Eindrücke zu sammeln! Kostbare Jahre ziehen in ödem Klein-Klein dahin.

Versorgen muss man wollen. Vorsorgen für viele, die wenig haben – kein Privatklinikbett –, ist des Kanzlers Sache nicht. Es heißt, letztlich sei garnichts seine Sache, sein Projekt insofern politischer Nihilismus. Gerade die Leere, in die Kurz’ Machtfülle mündet, erfordert affektive Setzungen: Sie treten an die Stelle politischer Haltung und Gehalte, bieten ein wenig Pathos als Betriebsstoff von Politik.

Zu Pandemiebeginn war das Beharren der ÖVP auf Schließung der Wiener Bundesgärten an sich irrational, versprühte aber etwas neofeudal-autoritären Flair. Auch der Nichtausbau von Pflege hat seinen Sinn in der Vision eines anderen Österreich, einer historischen Mission: Nie wieder Kreisky! Kein Fußbreit mehr dem Sozialstaat! Diese Willensintention mit Gefühlsintensität ist der politische Sinn der für immer fixen Bettenzahl auf Intensivstationen. (Drehli Robnik, 14.4.2021)