Im Oktober 2019 ermordete ein Mann seine Frau und auch die beiden gemeinsamen Kinder.

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Wien – Als "schweren Rückschlag für den Opferschutz" bezeichnet die Wiener Medienrechtsexpertin Maria Windhager eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH), der jüngst in einem Erkenntnis (6 Ob 212/20z) den postmortalen Persönlichkeitsschutz aufgeweicht hat. Demnach ist eine identifizierende Berichterstattung über Mordopfer "nicht mit einer Bloßstellung verbunden".

Die höchstgerichtliche Entscheidung – zunächst hatte "Die Presse" (Montag-Ausgabe) darüber berichtet – erging nach einer gegen eine Tageszeitung eingereichten Unterlassungsklage einer Frau, deren Tochter im Oktober 2019 in Kottingbrunn von deren Ehemann ermordet wurde. Der Mann tötete auch die beiden gemeinsamen Kinder. Dass die Zeitung in Verbindung mit einem Foto vom Wohnhaus der Familie identifizierende Angaben zu den Opfern sowie Details zu den tödlichen Verletzungen veröffentlichte, wollte die Mutter bzw. Großmutter nicht hinnehmen.

Interesse der Allgemeinheit

Mithilfe der auf Medienrecht spezialisierten Anwältin Maria Windhager, sie arbeitet auch für den STANDARD, obsiegte die Klägerin zunächst vor dem Handelsgericht Wien und dem Oberlandesgericht (OLG) Wien, die eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Mordopfer bestätigten. Der OGH sah das anders. Den postmortalen Persönlichkeitsrechten stünden das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die Medien- und Pressefreiheit entgegen. Bei einer Abwägung der Interessen müsse diese dann zugunsten der Berichterstattung ausfallen, wenn nicht "überwiegende Gründe" deutlich dagegen sprächen.

Und der OGH differenzierte dabei zwischen Gewaltopfern, die einen Angriff überleben, und solchen, die ums Leben kommen: "Zu Lebzeiten einer Person liegt ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte bereits darin, dass der Einzelne gezwungen wird, sich mit öffentlicher Neugierde, unerwünschter Anteilnahme oder ungebetenem Mitleid in einer Angelegenheit seiner Privatsphäre auseinanderzusetzen." Im gegenständlichen Fall könne dies bei den drei Mordopfern nicht mehr eintreten. Überdies hielt der OGH fest: "Der wahrheitsgemäße Bericht über den Tathergang sowie Umstände und Hintergründe eines Mordes ist grundsätzlich zweifellos als zulässig zu betrachten. Die erlittenen Verletzungen und das Motiv für ein derartig massives Strafdelikt sind wesentliche Elemente für den Ablauf bzw. die Erklärung der Tat. Die Beschreibung dieser Umstände ist daher in der Regel vom Interesse der Allgemeinheit, über laufende Strafverfahren informiert zu werden, umfasst."

Windhager: "Aus opferschutzrechtlicher Sicht vollkommen verfehlt"

"Ich kann nur hoffen, dass es sich bei diesem Beschluss des OGH um eine überraschende Einzelfallentscheidung handelt", meinte Windhager dazu gegenüber der APA. Vor allem die Begründung des OGH, die konkrete Berichterstattung habe durch die Nennung der Vornamen der Mordopfer zusätzliche Anschaulichkeit erhalten, was zu ihrer – Zitat – "aufrüttelnden und sensibilisierenden Wirkung" beigetragen habe, sei aus opferschutzrechtlicher Sicht vollkommen verfehlt. Dass sich die Tageszeitung bei ihrer Meldung im Wesentlichen auf Informationen des zuständigen Landeskriminalamts sowie der fallführenden Staatsanwaltschaft bezog, sei "sehr problematisch, zumal gegen Persönlichkeitsschutzverletzungen von Behörden praktisch keine rechtliche Handhabe besteht", meinte Windhager. (APA, 13.4.2021)