Es gibt viel zu tun für den Allgemeinmediziner Wolfgang Mückstein – nicht nur im Bereich des Pandemiemanagements.

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Die Gefahr durch Virusmutationen, die Test- und Impfskepsis in der Bevölkerung sowie Long Covid – das sind laut dem scheidenden Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) die wichtigsten Herausforderungen, denen sich sein Nachfolger Wolfgang Mückstein widmen muss. Aber auch außerhalb des Pandemiemanagements gibt es für Mückstein viel zu tun. Ein Überblick über das Arbeitspaket des neuen Ministers.

1. Auf Virusmutationen konsequent reagieren

Bei der Diskussion über die Verhängung weit strengerer Maßnahmen aufgrund der Virusmutationen machten sich Interessenkonflikte besonders bemerkbar. Anschober fühlte sich oftmals "alleingelassen", wie er bei seiner Abschiedsrede betonte. Wiens Stadtchef Michael Ludwig (SPÖ) sei hingegen beim Lockdown in der Ostregion ein "sensationeller Unterstützer" gewesen. Es sei "nicht auszudenken, was jetzt wäre, wenn wir vor vier Wochen die Gastgärten geöffnet hätten". Um Restriktionen kämpfen wird auch der neue Minister Wolfgang Mückstein müssen.

Die Dominanz vor allem der aggressiven britischen Mutante B.1.1.7 hat erheblichen Einfluss auf das Infektionsgeschehen in Österreich. Im derzeit besonders stark betroffenen Osten müssen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Covid-Intensivstation an oder über ihren Belastungsgrenzen arbeiten. Rekordbelegungen mit Corona-Intensivpatienten wurden in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland gemeldet. Allein in Wien mussten in den letzten 14 Tagen rund 900 Operationen verschoben werden, um Ressourcen für Corona-Fälle zu ermöglichen, wie es zum STANDARD hieß.

Zum anderen hat sich laut Anschober die Dauer der Belegungen auf Intensivstationen – auch wegen der jüngeren Erkrankten – drastisch, auf fast 30 Tage im Durchschnitt, erhöht. Von Pandemiebeginn im Spätwinter 2020 bis Ende Jänner 2021 betrug die durchschnittliche Belagsdauer auf Covid-Intensivstationen nach Angaben der Gesundheit Österreich GmbH rund elf Tage.

2. Die Testbereitschaft erhöhen

Die Testkapazitäten wurden in Österreich in den vergangenen Monaten enorm ausgebaut. Dennoch geht jeder Zweite nur selten oder gar nicht testen – das ergab eine repräsentative Umfrage der Universität Wien. Fast ein Drittel der rund 1.500 Befragten ließ sich zwischen Mitte Februar und Mitte März nie testen, rund ein Fünftel nur einmal.

In seiner Abschiedsrede sprach Anschober angesichts der mangelnden Testbereitschaft von einer "Baustelle an Überzeugungen und Maßnahmen". Eine Baustelle, die nun sein Nachfolger bearbeiten muss.

Zwar könne man beobachten, dass sich immer mehr Menschen testen lassen, sagt der Wirtschaftssoziologe Bernhard Kittel, der die Studie an der Universität Wien leitet. Die Zahl der Nichttester sei aber immer noch "bedenklich". Menschen mit einem hohen formalen Bildungsgrad gehen häufiger testen. Ebenso jene, die überzeugt sind, dass sie durch regelmäßiges Testen häufiger andere Menschen treffen können. Insgesamt lassen sich aber nur 14 Prozent regelmäßig, also mehr als einmal in der Woche, testen und tragen damit zur Pandemiebekämpfung bei.

Die Testbereitschaft könne aber nur begrenzt durch Verordnungen – wie Zutrittstests für den Handel oder körpernahe Dienstleister – erhöht werden, sagt Kittel. Wichtig sei nämlich, dass sich Menschen auch vor Treffen im privaten Umfeld testen lassen. Dafür müssen sie aber von der Sinnhaftigkeit der Tests überzeugt werden.

3. Überzeugungsarbeit für die Impfung

Beim Thema Impfen gibt es zwei große Herausforderungen. Zum einen die Impfstoffbeschaffung, zum anderen die Überzeugungsarbeit für die Covid-Impfung. Laut Anschober will nach derzeitigen Umfragen und Erfahrungswerten aktuell mehr als ein Drittel aller impfbaren Personen über 16 Jahren in Österreich nicht zur Impfung gehen. Dazu kommt der Wirbel um den Impfstoff von Astra Zeneca, der nicht unbedingt zur Vertrauensbildung beigetragen hat: So kam es in äußerst seltenen Fällen zu gefährlichen Blutgerinnseln. Mehrere Länder stellten vorerst die Impfung mit diesem Vakzin ein oder limitierten diese auf ältere Personengruppen. In Salzburg haben sich bei der Sonderimpfaktion im Bildungsbereich nur 42 Prozent der eingeladenen rund 17.500 Personen auch impfen lassen. Tausende Impfabmeldungen gab es auch in Wien und der Steiermark.

Eine positive Stimmung für die Impfung wäre vonnöten, wenn bald wie angekündigt die Impfstoffmengen, die geliefert werden, deutlich ansteigen sollen. Immerhin verspricht Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zumindest eine Erstimpfung für alle Interessierten bis Mitte Juli. Kurz rechnet mit fünf Millionen Personen. Bisher wurden 1,52 Millionen zumindest einmal geimpft. Dass Österreich bei der Impfstoffverteilung in der EU auf zusätzliche Dosen von Biontech/Pfizer sowie Johnson & Johnson verzichtet hat, sollte auch eine Warnung für die Zukunft sein. Immerhin könnte das Land 2022 wegen Virusmutationen auch weitere Vakzine benötigen.

4. Behandlungskapazitäten für Long Covid aufstocken

Bei seinem Abschied sprach der scheidende Gesundheitsminister auch eine Warnung aus. Seiner Einschätzung nach dürfe nach der Durchimpfung der Risikogruppen nicht zu rasch geöffnet werden. "Es geht um jeden Infektionsfall, der vermieden werden muss", erklärte er. Der Grund für diese Warnung sind die Spätfolgen einer Covid-19-Infektion – unter denen nicht nur jene leiden, die mit schweren Verläufen hospitalisiert oder beatmet wurden.

Schätzungen zufolge leiden rund zehn bis 20 Prozent der Covid-19-Patienten an Folgeschäden der Erkrankung, wobei Frauen zwischen 20 und 40 Jahren besonders häufig betroffen sind. Ihre Symptome stellen das Gesundheitssystem vor Herausforderungen, denn selten waren Ärzte mit einem so komplexen Krankheitsbild konfrontiert. Legt man die internationalen Schätzungen auf Österreich um, gibt es bei bisher 500.000 Covid-Erkrankten rund 50.000 Menschen, die unter Langzeitfolgen leiden. Offiziell erfasst werden sie bisher aber nicht.

Bereits im Februar warnte Anschober davor, Long Covid in der Priorisierung nach hinten zu reihen. In seiner Abschiedsrede verlieh er dem nun Nachdruck und erklärte die Schaffung von Behandlungsmöglichkeiten zu einem zentralen Punkt auf der Agenda seines Nachfolgers. Bisher gibt es keine allgemeinen Guidelines für Diagnose und Behandlung von Long Covid. Experten und Mediziner drängen ebenso wie Selbsthilfegruppen auf einen massiven Ausbau der Behandlungs- und Rehabilitationskapazitäten.

5. Den Haussegen wieder geraderücken

Eine wesentliche Aufgabe des neuen Gesundheitsministers wird wohl sein, auf die Beamten im Ministerium stärker zuzugehen. Seinem Vorgänger wurde vorgeworfen, sich im Pandemiestress zu wenig um die Belegschaft des Hauses gekümmert zu haben. Spätestens seit Anschober im vergangenen Jahr indirekt den Beamten die Schuld für die verkorksten Verordnungen zugeschoben hat, baute sich bei manch einem Frust auf. Bei jenen, die nach dem darauffolgenden Umbau der Sektionen zu den Verlierern zählten, kam auch noch verletzter Stolz dazu.

Abgesehen davon sind einige Leitungspositionen im Ministerium unbesetzt. Darunter etwa jene für die Abteilung Recht im Bereich der Sozialversicherung oder jene für Qualität im Gesundheitssystem und Gesundheitssystemforschung.

Doch Anschober hatte in den Augen seiner Kritiker nicht nur das Haus vernachlässigt, sondern sich neben Corona anderen Themen zu wenig gewidmet. Die Pflegereform befindet sich zumindest im Aufbau, anderes wie Soziales sei über Wochen brachgelegen.

Vorbereitungen müsste der neue Gesundheitsminister vor allem für die erneuerte 15a-Vereinbarung mit den Ländern und der Sozialversicherung treffen. Die Verhandlungen sollen noch dieses Jahr starten und könnten sich zäh gestalten. Durch die Pandemie brachen die Sozialversicherungsbeiträge und Bundessteuern durch die hohe Arbeitslosigkeit drastisch ein. Dadurch droht bei den Spitälern bundesweit ein größeres Finanzierungsloch, heißt es. (Eja Kapeller, David Krutzler, Jan Michael Macrhart, Julia Palmai, 13.4.2021)