Kanzler Kurz als Corona-Troubleshooter in Sachen Masken, Tests und Impfungen und der anfangs beliebte, stets abwägende Gesundheitsminister Anschober: Was sich hätte ergänzen können, ging nicht lange gut.


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Nicht einmal bei seinem Abgang nützte Rudolf Anschober die Gelegenheit, um mit dem Koalitionspartner abzurechnen. Nur einen Denkzettel verpasste der ausgepowerte Grüne der türkisen Regierungsmannschaft am Ende seiner Ausführungen: Minutenlang bedankte sich Anschober bei allen Wegbegleitern während seiner Amtszeit, doch die Vertreter der Kanzlerpartei würdigte er mit keinem Wort.

"So wie er das gemacht hat, war es ein gutes Zeichen", heißt es bei den Grünen knapp, die betonen, dass Anschobers Rücktritt allein daran liege, dass er mehrmals umkippte, und nicht daran, dass auch Kurz, Blümel und Co Anschober das Regieren in der schwersten Pandemie seit hundert Jahren nicht immer leicht gemacht haben.

Türkise Angriffe

Ein gewisser Groll bleibt bei nicht wenigen dennoch zurück, dass der Kanzler unlängst eine krankheitsbedingte Absenz von ihrem "Rudi" ausgenutzt hat, um den Impfkoordinator abzusägen und die missglückte Beschaffung zusätzlicher Impfdosen anzuprangern. "Das Nachtreten im Krankenstand hat bei uns eine Verhärtung ausgelöst", gibt ein Parteifreund zu, der eingesteht, dass die türkisen Angriffe oft zu internen Debatten bei den Grünen geführt haben, dass man "mit dem Rudi so nicht umgehen" könne. Anschober selbst habe aber nie Rückendeckung eingefordert, dafür sei er "nicht der Typ".

Die salbungsvollen Worte von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag ließen kaum erahnen, wie sehr sich das Verhältnis zwischen den beiden schon seit letztem Frühsommer, als der Grüne mit seinen Popularitätswerten am Regierungschef vorbeigezogen war, abgekühlt hat: "Er hat sich für unser Land aufgeopfert und seine gesamte Energie in die Bekämpfung der Pandemie gesteckt", erklärte Kurz da mit ostentativer Dramatik – und bedankte sich sehr wohl für Anschobers Einsatz.

Auch hinter den Kulissen war man am Tag des Rücktritts bemüht, den 60-Jährigen nicht alt aussehen zu lassen. Die eine oder andere Spitze gegen Anschober konnte man sich in der ÖVP aber nicht verkneifen: "Er war ein Einzelkämpfer", hieß es da – und habe schon wie einst als Landesrat in Oberösterreich "jeden Tag eine Pressekonferenz abgehalten", oft ohne sich regierungsintern abzusprechen.

Nichts dazugelernt

Auf der einen Seite der türkise Kanzler als Macher, der von Masken über Massentests bis zu den ersten Impfstichen alles von jetzt auf gleich haben will, auf der anderen Seite der abwägende grüne Gesundheitsminister, der alle einbinden wollte: Das ging nicht lange gut.

In türkisen Ministerien erzählt man, dass man spätestens im August Zweifel an der Amtsführung Anschobers bekam. Etwa als er "eine schlechte Verordnung damit entschuldigt hat, dass seine zwei besten Juristen auf Urlaub waren. In anderen Ministerien herrschte da seit Monaten Urlaubssperre." Zudem habe man nach sechs Monaten Pandemie immerhin schon Erfahrungen gesammelt, "aber bei ihm wurde das Management schlechter statt besser", so ein Mitarbeiter eines ÖVP-geführten Ministeriums. Anschober habe etwa beim Schutz der Alten in den Alters- und Pflegeheimen versagt.

Doch für den Politexperten Thomas Hofer kommt das türkis-grüne Regieren auch seit Publikwerden der verräterischen Chats rund um die Bestellung von Thomas Schmid an die Spitze der Staatsholding Öbag immer öfter einem "Hauen und Stechen" gleich, das an die schlimmsten Zeiten von Rot-Schwarz gemahne.

Ausschnitte aus der Rücktrittsrede von Rudolf Anschober
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Gemeinsame Kraftakte gefragt

Anstatt in der Pandemie gemeinsame Kraftakte etwa für einen Wirtschaftsaufschwung mit einer ökosozialen Steuerreform zu wagen, versuchten die Grünen mit der Verteidigung der Justiz derzeit "nur mehr aus ihrer DNA als Antikorruptionspartei zu retten, was zu retten ist". Die ÖVP wiederum versteige sich zu Angriffen gegen den Juniorpartner, obwohl ihre einst dazugewonnenen FPÖ-Wähler längst wieder ins blaue Corona-Skeptiker-Lager abzudriften drohen. Hofers Fazit: Mit Anschobers Abgang sollte am besten auch gleich die ÖVP auf eine Regierungsumbildung in den eigenen Reihen setzen, etwa um mehr Wirtschaftskompetenz an den Tag zu legen.

Mit dem dritten Rücktritt in der Regierungsmannschaft binnen sechzehn Monaten beteuern jedenfalls beide Seiten von Türkis-Grün, rasch wieder "in den Arbeitsmodus" kommen zu wollen, Koalitionsaufkündigung sei kein Thema, Neuwahlen schon gar nicht.

Chance für Neubeginn

Die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle sieht im Antritt von Anschobers Nachfolger Wolfgang Mückstein "eine Chance für einen Neubeginn ohne Altlasten" – denn das Verhältnis zwischen Kurz und Anschober sei schon von Anfang an eingetrübt gewesen, weil er einst die erfolgreiche Kampagne für Lehrabschlüsse für Asylwerber gefahren habe.

Vor einer Entschlackung des Ministeriums im Zuge der Amtsübergabe, also etwa der Auslagerung des Konsumentenschutzes, würde Stainer-Hämmerle den Juniorpartner warnen: "Besser wäre es, dem neuen Gesundheitsminister einen Staatssekretär zur Seite zu stellen oder den legistischen Dienst aufzustocken." (Colette M. Schmidt, Nina Weißensteiner, 13.4.2021)