Seit 2009 regierte Bojko Borissow als Ministerpräsident. Jetzt soll Schluss sein.

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Sofia – Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissow zieht sich nach mehr als einem Jahrzehnt offenbar zurück. Der 61-Jährige gab am Mittwoch in Sofia bekannt, dass er keine vierte Amtszeit anstrebe. Borissow kündigte an, für das Amt einen anderen Kandidaten mit einer "sehr klaren europäischen und Nato-Orientierung" vorzuschlagen. Er wolle das bulgarische Volk nicht spalten. Am späteren Mittwochnachmittag brachte Borissow den Ex-Außenminister, Daniel Mitov, für seine Nachfolge ins Spiel. Borissow ist mit kurzen Unterbrechungen bereits seit 2009 Ministerpräsident.

Bei der Parlamentswahl Anfang April war seine proeuropäische Gerb mit 26 Prozent der Stimmen in dem EU- und Nato-Mitgliedsland wieder stärkste Partei geworden. Mit 75 Sitzen verfehlte sie in dem 240-Abgeordneten-Parlament die Mehrheit aber klar. Vergangenes Jahr hatten Demonstranten in Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen immer wieder den Rücktritt des Ministerpräsidenten verlangt.

Borissow gilt als jahrelanger enger politischer Weggefährte von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), mit dem er jüngst auch im EU-Impfstoffstreit eine Allianz bildete. Auch die Gerb gehört, wie die ÖVP, der Europäischen Volkspartei (EVP) an.

Koalitionsbildung schwierig

Als stärkste politische Kraft muss die Gerb der bulgarischen Verfassung zufolge mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt werden. In dem zersplitterten Parlament mit insgesamt sechs Parteien dürfte sie aber keine neue Koalition mehr zustande bringen können. Die anderen Parteien lehnen ein Regierungsbündnis mit der Borissow-Partei ab.

Bei einem Scheitern der Gerb müsste Staatsoberhaupt Rumen Radew den Auftrag zur Regierungsbildung dann an die zweitstärkste Kraft weitergeben, die systemkritische Bewegung "Es gibt so ein Volk" (ITN – 17,6 Prozent, 51 Sitze). Deren Vorsitzender Slawi Trifonow, ein TV-Moderator und Kabarettist, hat sich noch nicht klar zu seinen Plänen geäußert. Trifonow steht wegen einer Covid-19-Erkrankung derzeit unter Quarantäne. Das neu gewählte Parlament kommt am Donnerstag zu seiner ersten Sitzung zusammen.

Nordmazedonien: EU-Abgeordnete fordern Ende von Blockade

In Brüssel wächst indes der Druck auf Bulgarien: Führende Europaabgeordnete haben am Mittwoch ein Ende der Blockade des Landes gegen die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien verlangt. Der Vorsitzende der Nordmazedonien-Delegation, SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder, rief beide Seiten auf, die strittigen Fragen der kulturellen Identität beiseitezulassen und sich auf andere Probleme zu konzentrieren.

Schieder warf der bisherigen konservativen Regierung von Borissow vor, mit der Blockade wegen sprachlich-kultureller Fragen nur von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen im Zuge der Corona-Pandemie ablenken zu wollen. "Die EU-Beitrittsverhandlungen zu blockieren ist kontraproduktiv, da sie das Instrument sind, um Probleme zu lösen." Der SPÖ-Europaabgeordnete will im Mai Skopje und die kosovarische Hauptstadt Prishtina besuchen.

Beitrittsverhandlungen

Auch der ÖVP-Abgeordnete und Nordmazedonien-Beauftragte der Europäischen Volkspartei, Christian Sagartz, erinnerte daran, dass Nordmazedonien und Albanien ihre Hausaufgaben gemacht hätten und für den Start der Beitrittsverhandlungen bereit seien. "Gerade Nordmazedonien hat enorme Anstrengungen unternommen und nicht zuletzt seine Verfassung und seinen Namen geändert, um alle Kriterien zu erfüllen. Jegliche Bedenken Bulgariens sollten bilateral diskutiert und gelöst werden", forderte er in einer Aussendung. Wenn sich die Europäische Union nicht auf dem Westbalkan engagiere, würden die Einflüsse von China, Russland und arabischen Staaten gestärkt.

Nordmazedonien und Albanien war ursprünglich bereits im Juni 2019 von der EU die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen in Aussicht gestellt worden. Nachdem Frankreich eine Verschärfung des Prozederes durchgesetzt hatte, einigten sich die Europaminister im Vorjahr grundsätzlich auf die Eröffnung von Beitrittsgesprächen mit beiden Ländern. Die konkreten Verhandlungen haben aber wegen der Blockade Bulgariens im Fall von Nordmazedonien sowie wegen Vorbehalten der Niederlande zu Albanien noch nicht begonnen. (APA, red, 14.4.2021)