Als mein Kollege Christer Tonning vor einigen Monaten vom Lehrer seiner Kinder kontaktiert wurde, schwante ihm erst Böses. Der Anruf sollte sich jedoch als harmlos herausstellen – zumindest für seine Tochter. Nach einigen Höflichkeitsfloskeln kam man zum eigentlichen Grund des Gespräches, einem steinernen Gegenstand, der, während die Schule im Jahr davor übersiedelte, in der Bibliothekssammlung aufgetaucht war. Da der Lehrer annahm, dass es sich möglicherweise um ein Artefakt handeln könnte, wollte er einen Archäologen hinzuziehen.

Als Christer einige Wochen später den Gegenstand in den Händen hielt, war ihm schnell klar, dass es sich dabei tatsächlich um ein archäologisches Fundstück handelte, und zwar ein Typus, der ihm zwar bekannt vorkam, den er in Norwegen allerdings noch nie gesehen hatte: Eine Art Waffe aus Stein, mit einem Hammer an einem und einer Axt am anderen Ende. Ein paar Gespräche mit Kollegen und einer schnellen Googlesuche später stand fest: Was Christer da vor sich hatte, war eine bis zu 9.000 Jahre alte Steinaxt aus dem Gebiet des heutigen Amerika.

Die Steinaxt mit den Archivnummern. Deutlich ist die Rille für die Befestigung des Schafts zu sehen.
Foto: Rune Nordseter/VTFK

Rätselhafte Axt

Nachdem sich die erste Überraschung gelegt hatte, stellten sich folgende Fragen: Wie kommt die Steinaxt von Amerika nach Norwegen? Und wo gehört sie eigentlich hin? Der erste Hinweis auf ihre Herkunft kam von zwei Nummern, 19039 und B.57.19, auf einer Seite aufgebracht und ein Beweis, dass die Steinaxt zumindest irgendwann einmal archiviert worden sein musste. Wie die Steinaxt allerdings in der Bibliothekssammlung in Skien gelandet war, daran konnte sich in der Schule niemand erinnern, ihre Nummer schien in keiner Kartei und keinem Archivierungssystem auf.

Es war ihr allerdings ein aufschlussreicher und recht unterhaltsamer Brief beigelegt, unterzeichnet von einem ehemaligen Schüler, der in den 40er- oder 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts in die USA ausgewandert war:

Als Zeichen meiner Dankbarkeit für alles, das Skiens Offizielle für mich getan haben, trotz meines jugendlichen Widerwillens zu lernen, nehme ich mir die Freiheit und sende ein Zeichen in Form dieser Steinaxt aus diesem Teil der Welt. Das ist eine Steinaxt, wie sie von den Indianerstämmen hier in Wisconsin gebraucht wurde und ich denke, dass sie zu etwas zu gebrauchen sein könnte. Ich dachte mir, dass im nächsten Krieg die Studenten wohl wieder zum Baum fällen geschickt werden, und dazu ist die Axt wohl zu gebrauchen.

Ich studiere hier zurzeit am Beloit College und bekomme meinen Bachelor of Arts in Englisch im Frühling. Danach geht es weiter an die Universität von Michigan für einen Master of Arts in Amerikanischer Literatur und Autorenschaft. In der Hoffnung, dass ich nicht ganz vergessen bin, sende ich einen herzlichen Gruß und wünsch allen meinen Freunden unter Skiens höheren Offiziellen ein gutes Neues Jahr! (Ich hatte doch wohl welche?).

Der Brief des ehemaligen Schülers, der die Steinaxt der Schule schenkte.
Foto: Rune Nordseter/VTFK

Ganz ohne Wikinger

Mit Wisconsin als Anhaltspunkt kontaktierte Christer Håkon Roland vom Kulturhistorischen Museum in Oslo, der unter anderem die Rückgabe von aus dem Ausland stammenden Kulturgütern betreut. Håkon kontaktierte das Logan Museum of Anthropology des im Brief genannten Beloit Colleges in Beloit, Wisconsin.

Geantwortet wurde ihm vom höchst erstaunten Kurator der Museumssammlung, Manuel Ferreira, der in seinen Archiven nachgesehen hatte. Es stellte sich heraus, dass die Steinaxt, basierend auf ihren Nummern, tatsächlich zur Sammlung gehörte, aber seit Jahrzehnten vermisst wurde.

Die Karteikarte der vermissten Steinaxt im Logan Museum in Wisconsin.
Foto: Manuel Ferreira

Ein Kollege von Ferreira, William Green, identifizierte die Steinaxt, die ursprünglich wohl mittels Streifen aus Bisonleder auf einem Schaft aus Horn oder Knochen montiert gewesen war, als ein weit verbreitetes Werkzeug im Mittleren Westen zur Holzbearbeitung. Datiert werden kann das Artefakt in die frühe und mittlere Stufe der nordamerikanischen "Archaic Period", das bedeutet ein Alter zwischen 6.000 und 9.000 Jahren, oder wie ein Kollege es ausdrückte: Also schon ziemlich alt.

Momentan wird die Rückgabe des Artefakts über diplomatische Kanäle vorbeireitet und demnächst sollte die weitgereiste Axt dann wieder in Wisconsin zu sehen sein. Und so endet die Geschichte darüber, wie eine Steinaxt aus Amerika nach Norwegen gelangte – diesmal ganz ohne Wikinger. (Petra Schneidhofer, 15.4.2021)