Als Mediziner wird Wolfgang Mückstein auch die grundsätzlichen Ziele der österreichischen Corona-Politik besser erklären müssen, sagt Kulturwissenschafter Christoph Landerer im Gastkommentar.

Rudolf Anschober ist an einer Herkulesaufgabe gescheitert, aber sein Scheitern hat eine Vorgeschichte, die mit Funktionsweise und Kalkül des türkis-grünen Modells ebenso verknüpft ist wie mit dem Unwillen (oder auch der Unfähigkeit) seiner Konstrukteure, strukturelle Schräglagen rechtzeitig zu beseitigen.

Nunmehriger Ex-Minister: Rudolf Anschober (Grüne) bei seinem Rücktritt.
Foto: Corn

Rückblick in den Spätherbst 2019: ÖVP und Grüne einigen sich auf Koalitionsverhandlungen, aber sie haben dafür ein konkretes Modell im Auge, jenes einer "Komplementärkoalition". Der grundsätzliche Gedanke ist schnell erklärt. Für beide Parteien ist die Partnerschaft riskant, beide könnten durch die gemeinsame Regierungsarbeit Wählergruppen verlieren. Die ÖVP fürchtet vor allem einen Einbruch bei den blauen Leih- und Wechselwählern, die davor auf dem Gebiet der Migrationspolitik bedient wurden. Da in diesem Bereich keinerlei Zugeständnisse zu erwarten sind, bleibt den grünen Verhandlern nur eine Fokussierung auf die Klima- und Umweltthematik, Leonore Gewessler erhält ein "Superministerium" für Umwelt und Technologie.

"Angesichts der Pandemiemüdigkeit wird der neue Minister vor allem auch die Kommunikation verbessern müssen."

Die restliche Regierungsmechanik überlassen die grünen Verhandler der ÖVP, auch die grünen Kompetenzen spiegeln das Modell des Kabinetts Kurz I: Vizekanzler Werner Kogler übernimmt die (in sich wenig stimmigen) Strache-Agenden öffentlicher Dienst und Sport, Anschober jene von Beate Hartinger-Klein, lediglich der Bereich Arbeit wird ausgelagert. Als zusätzliches kleineres Ressort erhalten die Grünen ein abgespecktes Justizministerium, die Verfassungsagenden wandern zu Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler. Ein grünes Staatssekretariat ist nur für den Kulturbereich vorgesehen.Auf rein verhandlungstechnischer Ebene ist das Ergebnis ein Erfolg, aber die strukturellen Defizite von Türkis-Blau werden fortgeschleppt. Die unter Hartinger-Klein erfolgte Zusammenlegung von Sozial- und Gesundheitsministerium ist ein Rückfall in die späten 1990er-Jahre, als Eleonore Hostasch das letzte Ministerium dieses Typs leitete. Danach werden die Ressorts getrennt, in den Kabinetten Schüssel I und II durch die Installierung eines Gesundheitsstaatssekretärs im Sozialministerium, in den darauffolgenden großen Koalitionen durch eigene Gesundheitsministerien, gelegentlich kombiniert mit den Frauen-Agenden. Die meisten Amtsinhaber sind ausgebildete Mediziner.

Ein Superministerium

Anschober hatte diese Vorbildung nicht – sie ist auch keine Voraussetzung für die Besetzung dieses Ressorts –, aber er leitete ein Superministerium, in dem Gesundheit, Soziales, Pflege, Konsumentenschutz und selbst Tierschutz ressortierten, und das 14 von 16 Monaten unter den Bedingungen einer Pandemie. Seine hohen Beliebtheitswerte dürften aus grüner Sicht gegen eine Schwächung seines Ministeriums gesprochen haben, aber die Fehlaufstellung wurde bis heute nicht korrigiert, auch Wolfgang Mückstein wird einem Superministerium vorstehen, unter nach wie vor pandemischen Vorzeichen.

Als Mediziner wird Mückstein auch die grundsätzlichen Ziele der österreichischen Corona-Politik besser erklären müssen. Anschober fehlte hier die Linie, er zauderte und zögerte in der zweiten Welle – angesichts einer dramatischen Dynamik und ohne Entlastung durch Impfprogramm, eine ausgeweitete Teststrategie und eine unterstützende klimatische Entwicklung – und warnte in der dritten.

Fehlende Alternativen

Dass Letzteres nach wie vor berechtigt ist, steht außer Frage, aber die konkreten Ziele haben sich diversifiziert und sind unüberschaubar geworden. Das Generalziel aus der ersten und zweiten Welle, "Flattening the curve", das heißt die Vermeidung einer Überlastung der Intensivkapazitäten, war einfach zu erklären, der Lockdown aus der bloßen Abwesenheit von Alternativen verständlich ableitbar. Aber diese Situation hat sich geändert: Die relevanten Kurven sind verflacht (die Reproduktionszahl sinkt seit Ende Februar und liegt aktuell unter 1), die Todeszahlen wurden stabilisiert, der Zuwachs in den Krankenhäusern und Intensivstationen ist moderat bis rückläufig, zugleich wirkt das Impfprogramm.

Die großen Probleme (aus Sicht der Zielvorgaben der ersten und zweiten Welle) sind nur mehr regional und betreffen den Osten. Mit anderen Worten: Die Ziele wurden erreicht – aber ohne eine merkliche Veränderung des politischen und medialen Diskurses. Denn im Unterschied zur ersten und zweiten Welle stellt die aktuelle dritte neue Herausforderungen. Long Covid wurde als Problem erkannt, die neuen Mutanten drohen den Impffortschritt zu untergraben. Um Letzteres zu verhindern, ist eine möglichst niedrige Replikation, das heißt eine abermals niedrige Neuinfektionsrate erforderlich, doch dieses Ziel ist zum einen unabhängig von den Kapazitätsgrenzen des Gesundheitssystems und kann zum anderen keine rein nationale Aufgabe sein. Anders gesagt: Die Politik war erfolgreich, aber die Lage ist komplexer geworden.

Angesichts der Pandemiemüdigkeit wird der neue Gesundheitsminister vor allem auch die Kommunikation verbessern müssen. Übermäßig viel Zeit und Energie für seine anderen Agenden werden ihm dabei nicht bleiben. (Christoph Landerer, 15.4.2021)