Europa sei "in deep trouble", schrieb vor kurzem der amerikanische Nobelpreisträger Paul Krugman. Er meinte die wachsenden nationalistischen Tendenzen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die das ganze europäische Projekt in Gefahr brächten.

Der europäische Normalbürger und die europäische Normalbürgerin fühlen sich in ihrem Gefühl bestätigt: Europa ist nicht mehr die selbstverständliche Heimat, der sichere Anker und das unangefochtene "wir", das es noch vor wenigen Jahren war.

Als Österreich, getragen von einer großen Mehrheit der Bevölkerung, der Europäischen Union beitrat, war das für die damals Jungen ein Akt der Befreiung. Nach Nazizeit und Ständestaat fühlte man sich endlich dort, wo man nach eigenem Empfinden hingehörte: im freien Westen, in der Staatengemeinschaft, die für Freiheit und Demokratie stand, für Menschenrechte, Wohlstand und Frieden. Es war eine Zeit des Aufbruchs, der Hoffnung und der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten.

Was Demokratie ist, hatte die Nachkriegsgeneration von den Amerikanern gelernt. Hugo Portisch, der "Geschichtslehrer der Nation", war das Symbol für diesen Lernprozess. Als einer der Ersten, die in den USA studieren durften, brachte er seinen Landsleuten die Werte bei, die er in der damals unangefochtenen Führungsmacht der Freien Welt erlebt hatte. Wer nicht nach Amerika konnte, lernte, wie die Autorin, in den vielen US-Information Centers, die damals überall in Westeuropa entstanden. Im Wiener Center konnte man täglich gratis die New York Times lesen und jede Woche den New Yorker – ein unschätzbarer Anschauungsunterricht in unabhängigem Journalismus. Das Thema Holocaust, damals in Österreich kaum diskutiert, wurde für viele erstmals in den Berichten von Hannah Arendt über den Eichmann-Prozess in Jerusalem in dieser Zeitschrift real.

"Generation Erasmus"

Als der Stern der USA verblasste, wurde "Europa" für die "Generation Erasmus" ein wichtiger Orientierungspunkt. Wer unter der Enge und dem Provinzialismus der kleinen österreichischen Alpenrepublik litt, fand in der Europäischen Union eine größere Heimat. Sie wurde von vielen auch als eine Art demokratischer Ersatz für die verschwundene Donaumonarchie mit ihrer Buntheit und Vielfalt empfunden.

Und heute? Nicht nur Paul Krugman sieht den Aufstieg der antieuropäischen Rechten in Europa mit Sorge, die sowohl in Brüssel wie auch in vielen Mitgliedsländern der EU den pro-europäischen Parteien gefährlich nahe rückt. Großbritannien wendet sich von Europa ab und dem pazifischen Raum zu, Russland und China propagieren ihre Gesellschaftsmodelle selbstbewusst als Gegenmuster zur europäischen Demokratie.

Und es trägt nicht zur Beruhigung bei, wenn wir sehen, wie unser Bundeskanzler demonstrativ seine Freundschaft zum EU-kritischen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zelebriert, aber von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel ebenso demonstrativ nicht empfangen wird.

Europa in "deep trouble"? Mag sein. Aber noch lange nicht am Ende. Bisher jedenfalls ist für eine große Mehrheit der Österreicher Europa nach wie vor jene Wertegemeinschaft, in der sie sich zu Hause fühlen. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 15.4.2021)