Verpackungen aus der Natur: Produkte des Verpackungszentrums Graz stehen in der Schau, die sich über das gesamte Museum zieht, gleichberechtigt neben Kunst. Wieso nicht?
Foto: Marija Kanižaj / VPZ Verpackungszentrum

Alles Produzierte ist recycelbar. Mit unserem Abfall können wir heizen. Unsere Energiequellen sind sauber, unsere Nahrungsmittel regional, Geschlechterrollen wurden gesprengt, und unsere Erde ist biodivers. Vielleicht wachsen auch unsere Gletscher wieder. Kann das die Zukunft sein? Was sich nach idealistischem Wunschdenken anhört, entspringt realen Forschungsprojekten, künstlerischen Überlegungen und Pilotstudien. Ist all das möglich? Jein.

Der Beitrag des Grazer Kunsthauses zur Steiermark-Schau entwirft eine intensive Vision unserer Zukunft (und jener der Steiermark). Als einer von drei Standorten in der Stadt widmet sich das Museum unter dem Titel Was sein wird. Von der Zukunft zu den Zukünften dem Futuristischen. Im Volkskundemuseum befragt man hingegen die Gegenwart und im Museum für Geschichte wird zurückgeblickt. Ein mobiler Kunstpavillon, der aktuell auf dem Wiener Heldenplatz aufgrund des Lockdowns in der Ostregion verwaist steht, wird bald durch das steirische Land touren.

Achtung: Keine reine Kunstausstellung

Da dieses neue Format der Landesausstellung sich als visionär ankündigt, wollte auch das Kunsthaus mit seinem Anteil Grenzen überschreiten. Kunsthaus-Direktorin Barbara Steiner und ihr mehrköpfiges Team haben die Ausstellung, die das gesamte Museum bespielt, drei Jahre lang geplant. Diese sollte keine Nabelschau werden, sondern einen offenen und auch internationalen Blick über Disziplinen hinaus werfen, Grenzen auflösen und streng gedachte Kategorien sprengen.

Nicht einmal das Museum als Institution selbst bleibt unangetastet: Auf dem Vorplatz hat der Künstler Alfredo Barsuglia ein kleines Kunsthaus Suahtsnuk (rückwärts lesen!) aufgestellt und spielt so quasi mit dessen Antithese: Untertags ist es geschlossen, in der Nacht geöffnet. Was damit passieren wird, ist noch offen. Die Zukunft kennt keine Limits!

Doch vorab spricht Steiner eine Warnung aus: "Das ist keine reine Kunstausstellung!" Denn diese zeigt nicht nur künstlerische Positionen, sondern konfrontiert und kombiniert diese mit Beiträgen von Forschungsprojekten, Initiativen oder nachhaltigen Kooperationen, wie dem Verpackungszentrum Graz oder dem International Village Shop.

"The Future you see is the future you get": Found Footage und neoliberale Sprüche von Johanna und Helmut Kandl.
Foto: Helmut & Johanna Kandl

Keine Geschlechter, nur Humans!

Dazwischen prophezeien Start-ups wie künstliche Intelligenz unsere Bürotätigkeiten übernehmen kann oder unser Müll sortenrein getrennt werden kann. Da erzählt ein südsteirischer Winzer von seinem Kampf gegen Spritzmittel, eine ganze Wand wird mit Plakaten aktivistischer Bewegungen wie Fridays for Future oder Black Lives Matter tapeziert, und auf die Toilettentüren hat Elke Auer "Humans" über die binären Mann- und Frau-Symbole gesprayt. Angelika Loderer stellt aus der Norm gefallene Hühnereier auf Glasregale, und in Skyline des 2020 verstorbenen Lois Weinberger versinkt eine Ministadt im Murwasser.

Wie all das zusammengeht? Dass es an manchen Stellen knirscht, gibt Steiner zu. Die übertriebene Fülle sei Absicht. Das Publikum wird bewusst überfordert, mit der Potenz einer Zukunft beinahe erschlagen. Denn mit fast 300 (!) Beiträgen schwappt diese Ausstellung wie eine Welle über einen herein.

Dabei rinnt ein Thema ins andere: künstliche Intelligenz, Arbeit, Ressourcen, Umwelt, Gesellschaft, Konsum, Geschlechterrollen, Ernährung, Wohnen. Puh! Doch überraschenderweise funktioniert das. Die Kunstbeiträge ergänzen die konkreten Beispiele, heben sie auf eine Metaebene, zeigen die kritische Seite, liefern Narrative und hinterfragen sie.

Künstliche Intelligenz bis Beuschel

Auf der einen Seite einer Wand prangt das Modell eines Autos mit Gefahrenerkennung der Firma AVL, auf der anderen verwachsen Mensch und Maschine in mutantischen Arbeiten von Arnold Reinisch. In Vitrinen werden Porzellanhühnerbeinchen von Ingeborg Strobl serviert, und in einem Kühlschrank des Biobetriebs Nahgenuss ist ein ganzes Schwein in Schraubgläsern portioniert: Schnitzel, Leberaufstrich, Beuschel, Zunge.

Gleich daneben steht ein Häuschen des Kollektivs Superflux, wie wir es im Jahr 2050 bewohnen könnten: In pinkem Licht züchten wir unsere Pflanzen, leben ohne Internet und essen Hunde (?). Auf dem Dach des Kunsthauses hat Onur Sönmez Solarpaneele angebracht, die mit der gesammelten Energie die ganze Fassade beleuchten können.

Und in der Needle, der Spitze des Museums, bildet eine Installation von Martin Roth das Finale: Aus einem Schutthaufen wachsen Pflänzchen als einzige Überlebende. Erschöpft blickt man auf diese schöne Leere. Vielleicht wird alles ganz anders. (Katharina Rustler, 15.4.2021)