Wohl noch nie zuvor war ein Chef oder eine Chefin im Gesundheitsministerium so gefordert, wie es aktuell in der Corona-Pandemie der Fall ist. Gleichzeitig hängt mit dem Sozialbereich noch ein weiterer Brocken am Ressort. Gehören die Bereiche zusammen, oder geht das Soziale unter? In der Opposition ist man in dieser Frage durchaus gespalten. Getrennt sind die Ressorts ja eigentlich noch – zumindest räumlich. Die Beamten des Gesundheitsministeriums befinden sich in der Wiener Radetzkystraße (im Bild), das Sozialressort am Stubenring. In Letzterem hatte bis vor kurzem Ex-Minister Rudolf Anschober (Grüne) sein Büro.

In dem Gebäude in der Radetzkystraße sitzen nicht nur die Beamten des Gesundheitsministeriums. Auch Vizekanzler Werner Kogler und Umweltministerin Leonore Gewessler (beide Grüne) haben sich dort einquartiert.
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Hat die Pandemie gezeigt, dass die Agenden Gesundheit und Soziales tatsächlich besser getrennt als vereint sein sollten? Der Versuch einer Abwägung.

Was dafür spricht

Rudolf Anschober war als Gesundheitsminister noch gar nicht richtig abgetreten, da hatte der Neos-Abgeordnete Gerald Loacker schon den ersten Tipp für dessen Nachfolger Wolfgang Mückstein parat. Aus Sicht des pinken Gesundheitssprechers habe sich das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in der Pandemie als zu groß herausgestellt. "Mit der Umbildung der Regierung hätte man den wichtigen Bereichen Gesundheit, Soziales und Pflege mehr Aufmerksamkeit geben können", meint Loacker.

Auch innerhalb des Hauses wird von manch einem moniert, dass Anschobers politischer Blick am Ende doch zu sehr der Bekämpfung der Corona-Krise galt und andere Themenbereiche viel zu wenig Aufmerksamkeit erhielten und über Monate hinweg brachlagen. Tatsächlich wird wohl niemand bestreiten können, dass Anschober den meisten als Gesundheitsminister und nicht als Sozialminister in Erinnerung bleiben wird.

Anschobers Pflegereform, eines seiner größeren Projekte, befindet sich immerhin im Aufbau. Bis Sommer sollen Umsetzungsetappen stehen. Im Herbst wollte er die Finanzierung des Pflegesystems angehen.

Rote Unterstützung

Einer seiner Vorgänger als Minister, der Sozialdemokrat Alois Stöger, kann Loacker nur beipflichten. Aus seiner Sicht sollten die Ressorts Gesundheit und Soziales wieder aufgeteilt werden. Aber nicht wegen des Arguments, dass sich der neue Gesundheitsminister so besser auf die Pandemiebekämpfung konzentrieren könne. Denn das sei schlicht eine Frage des Managements. Die Aufteilung habe zunächst einmal einen symbolischen Charakter. Ein eigenständiges Gesundheitsministerium habe zwar auf den ersten Blick weniger Eigenmittel als jenes für Soziales, meint Stöger. Das hänge damit zusammen, dass die Gesundheit über den Finanzausgleich mit den Ländern geregelt werde. Aber dafür werden unter diesem Dach die Sozialversicherung und die Spitalsfinanzierung gesteuert. Da gehe es um viele Milliarden, weit mehr, als Justiz und Inneres vorweisen können. "Diese Größenordnung rechtfertigt einfach ein eigenes Ministerium."

Aber Stöger plädiert für eine Trennung vor allem aus einem Grund: "Arbeit und Soziales gehört einfach zusammen". Bei den türkis-grünen Regierungsverhandlungen wurde der Bereich Arbeit aus dem Sozialministerium herausgelöst. "Dass die Ressorts vor allem in einer Pandemie schwer zu bewältigen sind, sieht man alleine daran, dass die Sozialagenden komplett auf der Strecke liegengeblieben sind", sagt auch der Sozialsprecher der Sozialdemokraten, Josef Muchitsch.

Ein Superministerium

In der Tat war nicht immer ausgemacht, dass Gesundheit und Soziales in einem Ressort verknüpft werden. Zu bedenken ist, dass derartige Entscheidungen nicht nur inhaltlicher Natur sind, sondern die Themenbereiche schlicht Verhandlungsmasse zwischen den Koalitionspartnern sind. So war Stöger selbst ab 2008 wiederum auch Minister für Familie und Jugend. Seine Nachfolgerin Sabine Oberhauser war, wie später Pamela Rendi-Wagner (alle SPÖ), zudem auch Frauenministerin. Unter Türkis-Blau und Beate Hartinger-Klein mutierte es schließlich zum Superministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit.

Was dagegen spricht

Es macht Sinn, das zusammenzufassen, was inhaltlich auch zusammengehört: So lautet das Hauptargument dafür, warum zu türkis-blauen Zeiten unter Ministerin Beate Hartinger-Klein die Bereiche Gesundheit und Soziales in einem Ressort gebündelt wurden. Der Gedanke dahinter war, dass es mehrere Bereiche gibt, die von beiden Seiten beackert werden müssen. Ein Beispiel wäre etwa der Bereich der Pflege und die dringend notwendige Reform: Ein Projekt, mit dem ursprünglich auch Rudolf Anschober dachte, seinen Stempel zu hinterlassen.

Ein weiteres Feld wären etwa psychische Erkrankungen, die oftmals mit sozialen Problemlagen verbunden sind. Nicht umsonst hat sich in den letzten Jahren der Begriff "psychosozial" auch außerhalb der Fachwelt einigermaßen etabliert: So verschärfen soziale bzw. finanzielle Herausforderungen psychische Probleme oft – und umgekehrt. Dass es deshalb sinnvoll ist, diesen Bereich zusammenzudenken, hat man etwa im Bereich der Wohnungslosenhilfe schon länger erkannt.

Weniger Koalitionszwist

Auch weit darüber hinaus klagen immer mehr über psychische Belastungen – nicht erst, aber vor allem seit Beginn der Pandemie. Und so lassen sich vor allem in Bezug auf das Überthema selbst, Corona, direkte Schnittmengen finden: Werden Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie erdacht, könnte man sich im Idealfall im selben Ministerium über die sozialen Auswirkungen dieser Gedanken machen.

Themen, die von mehreren Seiten bearbeitet werden, sollten auch deshalb an einem Ort gebündelt sein, damit man Blockaden von Reformen, sollten die Agenden in einer Koalition zwischen den Partnern gar aufgeteilt sein, möglichst verhindern könne, gibt FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak zu bedenken. Dementsprechend wäre es in normalen Zeiten – also in Prä- oder Post-Corona-Zeiten – sogar sinnvoll, die Arbeitsagenden zu Sozialem hinzuzunehmen. Stichworte Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Mindestsicherung.

Eine Schwächung der Grünen

Bis zur türkis-blauen Koalition war eine Fusion der Agenden Gesundheit, Soziales und Arbeit wohl auch deshalb nicht notwendig, da die Ressorts von 2008 bis 2017 fest in roter Hand waren. Dadurch fiel vielleicht manch komisch anmutende Aufteilung nicht so sehr ins Gewicht. Etwas dass das Sozialministerium für den Dachverband der Sozialversicherungsträger zuständig war und das Gesundheitsressort für die Unfall- und Krankenversicherung.

Vor einer Entschlackung des Ministeriums im Zuge der Amtsübergabe durch die Auslagerung einzelner Bereiche würde die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle den grünen Juniorpartner warnen: "Besser wäre es, dem neuen Gesundheitsminister einen Staatssekretär zur Seite zu stellen oder den legistischen Dienst aufzustocken." Ressorts abzugeben sei auch immer ein Machtverlust. Eine Umverteilung innerhalb der grünen Ministerien wäre schwierig, glaubt Stainer-Hämmerle: "So viele haben die ja nicht, wer soll denn da noch Soziales oder Konsumentenschutz dazumachen?"

In der Koalition scheint eine Aufdröselung des Ministeriums aber ohnehin kein Thema zu sein. Mitten in der Pandemie klingt das auch nach zu großem Aufwand, zumal Anschober die Sektionen erst vor kurzem umbauen ließ. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, Colette M. Schmidt, 15.4.2021)