Gstettn sind wandelbare Lebensräume, einem ständigen Kommen und Gehen und immerwährenden Veränderungen unterworfen, heißt es in der neu aufgelegten Broschüre der Wiener Umweltanwaltschaft "Am Anfang war die Gstettn". Sie haben zwar unterschiedliche Herkunft, aber eines stets gemeinsam: Sie entstehen dort, wo der Mensch einmal das Land genutzt hat, dies aber seit einiger Zeit nicht mehr tut.

Ungezügelte Wildnis

Auf diesen sich selbst überlassenen Arealen entwickeln sich dem Standort entsprechende Pflanzen zumindest eine Wachstumsperiode lang. Dann keimen und wachsen aus allen Ritzen Moose, Gräser und Kräuter, und es sprießen alsbald Sträucher und Bäume, darunter oft unerwartete Nutz- und Heilkräuter und andere botanische Raritäten. Darüber hinaus werden den zahlreichen freilebenden, zuwandernden Tierarten Lebensräume und oft auch die letzten Rückzugsmöglichkeiten geboten – es sind Orte ungezügelter Wildnis inmitten der Stadt.

Stadtwildnis Nordbahnhof.
Foto: Wiener Stadtgärten

Ausgehend von der Biotopkartierung der Stadt Wien und von vielen persönlichen Tipps wurden im Herbst 1994 erstmals Gstettn aufgespürt und aufgelistet, im neuen "Gstettnführer" kann man nun eine aktualisierte Liste dieser speziellen Orte finden. Vom Rendezvousberg über die Stadtwildnis Grellgasse bis zum Stadtdschungel Holubstraße spannt sich der Bogen der versteckten grünen Wildnis in Wien.

Die meisten der angeführten Gstettn sind frei zugänglich, einige hingegen sind entweder umzäunt oder ihr Betreten wird auf Hinweistafeln untersagt. Das gilt es in jedem Fall zu beachten, wenn man sich auf den Weg macht, um diese einmaligen Biotope zu erkunden, die ganz leicht auch öffentlich erreichbar sind.

Hier eine kleine Auswahl quer durch die Stadt:

Minoritenplatz.
Foto: imago images/Viennareport

1. Bezirk: Vom Morzinplatz zum Minoritenplatz

Viele Straßen im 1. Bezirk sind noch immer gepflastert. Überall dort, wo die Pflasterritzen nicht mit Teer ausgefüllt wurden, sprießt bereits im Frühjahr das erste frische Grün. Besonders entlang von Hausmauern keimen immer wieder Pflanzen. Wenn man vom Morzinplatz die Ruprechtsstiege hinaufgeht, sieht man Kräuter und sogar kleine Birken aus den Ritzen wuchern. Weiter geht's durch die Judengasse auf den Hohen Markt und von dort über die Tuchlauben, Schultergasse und Jordangasse auf den Judenplatz. Nach feuchtem Wetter wachsen sogar hier mitten in der Stadt junge Pflanzen aus den Pflasterritzen. Im Schatten finden wir Moose und kleine Grasbüschel sowie Pionierkräuter.

Öffentlich erreichbar: U4 und U1 "Schwedenplatz", U2 "Schottentor"

2. Bezirk: Stadtdschungel Holubstraße

Ein breiter, aber unbefestigter Weg führt durch den waldartigen Baumbestand mit dichtem Unterwuchs, Tische und Bänke laden zur Rast im Schatten ein. Im Norden des "Dschungels" ist noch die alte Bahntrasse zu erkennen, eine Vielfalt von Kräutern und Sträuchern bedeckt den steinigen Boden fast vollständig.

Öffentlich erreichbar: Autobuslinien 11A und 11B, "Holubstraße"

3. Bezirk: Landstraßer Gürtel – Franz Grill Straße

An der belebten Straßenkreuzung kann man beobachten, wie schnell die Natur auch versiegelte Flächen zurückerobert. Wurzelschösslinge von Pappeln, Götterbaum und Robinien brechen durch Beton und Asphalt. Sobald sich ein wenig Erde in den Spalten angesammelt hat, nutzen die Samen von Schafgarbe und Greiskraut den neuen Lebensraum.

Öffentlich erreichbar: Straßenbahnlinie 18 "Wildgansplatz"

Grünraum Margareten

Zwischen Margaretengürtel und Gaudenzdorfer Gürtel, an der Grenze vom 5. zum 12. Bezirk, wurde der Grünraum Margareten geschaffen – eine naturnahe, artenreiche Blumenwiese, die Schmetterlingen und anderen Insekten auch mitten im dichtbebauten Gebiet Lebensraum bietet und für uns Menschen mehr Natur in einen innerstädtischen Bezirk bringen soll. Die Naturwiese Knoten Gaudenzdorf ist der Versuch, aus einem Rasen eine artenreiche Wiese zu entwickeln. Vor allem Hundehalterinnen und Hundehalter besuchen diese Fläche gerne mit ihren vierbeinigen Lieblingen.

Öffentlich erreichbar: U4 "Margaretengürtel", Straßenbahnlinien 18 und 6 "Margaretengürtel" und "Arbeitergasse Gürtel" sowie Autobuslinien 12A "Gaudenzdorfer Gürtel" und 59A "Arbeitergasse Gürtel"

Narrenturm.
Foto: Getty Images/iStockphoto

9. Bezirk: Altes AKH – Narrenturm

Die Grünfläche um den Narrenturm wird maßvoll gepflegt und gemäht, durch die regelmäßige Nutzung wird die Vegetation kurz gehalten. Unmittelbar vor dem Turm wuchern Steinklee, Gelbe Resede, Hirtentäschel, Schafgarbe und andere Kräuter. Hinter dem Turm liegt ein malerischer Grätzlgarten mit bunten Blumen- und Gemüsebeeten. Der Weg zur Sensengasse führt durch ein kleines "Stadtwäldchen", die steile Böschung ist mit Efeu bedeckt. Im Frühling blühen Schneeglöckchen, Veilchen und Primeln im Schatten der Bäume.

Öffentlich erreichbar: Straßenbahnlinien 5 und 33 "Lazarettgasse"

10. Bezirk: Heuberggstätten

An den Entlüftungsschächten im Boden ist zu erkennen, dass sich die Heuberggstätten beim Verteilerkreis Favoriten im 10. Bezirk auf ehemaligem Deponiegelände befinden. Diese weitläufige Wiesenlandschaft dient vorwiegend der Naherholung und lädt durch ihre günstige Lage und Windsituation das ganze Jahr über zum Drachensteigen ein. Ein lockerer Robinienhain auf der Kuppe spendet Schatten und hinterlässt einen fast savannenartigen Eindruck. Hier wird stellenweise auch krautiger Wildwuchs zugelassen, alte Wurzelstöcke schaffen Lebensraum für Zauneidechsen.

Öffentlich erreichbar: U1 "Altes Landgut", Autobuslinien 17A "Josef-Enstein-Platz" und 66A "Sibeliusstraße"

11. Bezirk: Erholungsgebiet Simmering

Die beim Schloss Neugebäude im 11. Bezirk gelegene, ca. sieben Hektar große Fläche ist über die Florian-Hedorfer-Straße oder zwischen Kaiserebersdorfer Straße 124 und 126 zugänglich. Das Erholungsgebiet Simmering erstreckt sich parallel zur Kaiserebersdorfer Straße als weitläufige, extensiv gepflegte Wiesenfläche mit artenreicher Gräser- und Staudenvegetation, durchzogen von zufälligen, aber häufig frequentierten Trampelpfaden.

Öffentlich erreichbar: Straßenbahnlinien 11 und 71 "Weißenböckstraße", Autobuslinien 73A und 69A "Florian-Hedorfer-Straße"

Steinhofgründe.
Foto: APA/PETJA MLADENOVA

14. Bezirk: Steinhofgründe – Am Ameisbach

Dieses stets gut besuchte Erholungsgebiet an der Grenze vom 14. zum 16. Bezirk ist stark strukturiert. Große Wiesenflächen wechseln sich mit Wald und Buschbereichen ab. Man findet weite gepflegte und kurzgehaltene Lagerwiesen mit kleineren Verwilderungszonen. Nicht selten kann man hier Rehe und Hasen, ja selbst Füchse auch bei Tag antreffen. Ein kleiner Teich mit großen alten Weiden, dicht mit Schilf umrahmt, bietet ein zusätzliches Naturerlebnis.

Öffentlich erreichbar: Autobuslinien 46A, 46B und 52B Station: "Feuerwache am Steinhof"

18. Bezirk: Am Sandberg

Eine der schönsten Grünflächen in einem Gemeindebau befindet sich am Rand der Wohnhausanlage "Am Sandberg" im 18. Bezirk. Dort ist eine Böschung neben den Stiegen 2, 3 und 4 zu einem richtigen Dickicht verwachsen. Der Efeu wuchert und klettert an den Bäumen hinauf, Moose und Flechten wachsen auf einem Holzzaun und kleine Trampelpfade führen den Hang hinunter durch das lichte Wäldchen.

Öffentlich erreichbar: Autobuslinie 40A "Borkowskigasse", Autobuslinie 10A und Straßenbahnlinie 41 "Türkenschanzplatz"

Frühlingserwachen auf den Wiesen der Stadt.
Foto: MA 22 / Ferdinand Schmeller

19. Bezirk: Wildgrubgasse

Die Wildgrubgasse verläuft am Fuße des Kahlenberges im 19. Bezirk. Bei einem Spaziergang entlang der Wildgrubgasse kann man zwischen Heiligenstädter Friedhof und Wienerwald vereinzelt aufgelassene Weingärten entdecken, die nun als Brachen für einige Zeit sich selbst überlassen sind. Aber auch auf den genutzten Flächen entwickelt sich alljährlich ein farbenprächtiger Kräuterteppich.

Öffentlich erreichbar: Straßenbahnlinie 38 und Autobuslinie 38A "Grinzing"

21. Bezirk: Schanzen am Bisamberg

Inmitten der Felder und Weingärten am Fuß des Bisamberges befinden sich Schanzen aus dem Preußisch-Österreichischen Krieg von 1866, die auch im 1. Weltkrieg nochmals Verwendung gefunden haben. Am Stadtwanderweg 5, dem "Schanzenrundweg", ist das Gebiet über die Luckenholzgasse in Stammersdorf gut erreichbar. Von der Schießstätte sind es noch ca. 1,5 km bis zur ersten Schanze.

Öffentlich erreichbar: Autobuslinie 30A "Freiheitsplatz", Straßenbahnlinien 30 und 31 "Stammersdorf"

23. Bezirk: Fröhlichgasse 42

In der Baulücke ist schön zu sehen, wie nach dem Abbruch der alten Gebäude vor allem Neophyten sehr schnell den offenen Boden besiedeln: Götterbäume, Robinien und Schmetterlingsflieder dominieren den Gehölzbestand. Aber auch einige Silberpappelsamen sind angeflogen und konnten auf dem steinigen Boden keimen.

Öffentlich erreichbar: Autobuslinie 62A "Dr. Neumann-Gasse" (max, 19.4.2021)