Champions League. Diese zwei Wörter stehen im Fußball für Geld und Anerkennung. Oder sie stehen für Realitätsverlust. Je nachdem, wer sie ausspricht. Wenn ein schwer verschuldeter österreichischer Verein im sportlichen Mittelmaß von der Champions League spricht, herrscht Alarmstufe Rot. Dann wird es Zeit, sich Sorgen zu machen.

Als die Wiener Austria Anfang März die Insignia-Gruppe als strategischen Partner präsentierte, kam deren Repräsentant Luka Surguladze flott auf die Champions League zu sprechen. Man wolle die Austria zu einer Topmarke im europäischen Fußball machen. Wer solche Ziele äußert, wirkt nicht ambitioniert, sondern unglaubwürdig.

Die Wiener Austria steckt in der größten Krise ihrer 110-jährigen Vereinsgeschichte.
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Um der aufkeimenden Skepsis unter den Fans etwas entgegenzusetzen, stellten sich Vorstand Markus Kraetschmer und Präsident Frank Hensel einige Tage später per Video den drängenden Fragen. Hensel hielt dabei unmissverständlich fest: "Sollte man nicht so schnell zu Sponsoren kommen, wird das Budget mit einem garantierten Betrag von unserem Partner abgedeckt."

Das klingt zunächst nach einem Plan. Die Insignia stellt Sponsoren auf – oder sie zahlt selbst. Was soll da schon schiefgehen? Einiges. Um nicht zu sagen, alles. Der Senat 5 der Bundesliga hat dem Verein am Dienstag in erster Instanz keine Lizenz für die kommende Spielzeit erteilt. Surguladze in einer ersten Reaktion: "Die Lizenz war nie unsere Verpflichtung."

Das passt nicht zusammen, da hat's was. Lost in translation? In den Lizenzunterlagen hat jedenfalls nicht nur ein Stempel gefehlt, da klafft ein finanzielles Loch. Von sieben Millionen Euro ist die Rede. Es fehlt eine verlässliche Bankgarantie. Hensel: "Wir werden alles unternehmen, um die zusätzlichen Informationen fristgerecht einzubringen." Zwischen den Zeilen klingt Zweifel durch.

Stetiger Niedergang

Aber wie konnte der Verein in die schlimmste Misere seiner 110-jährigen Geschichte geraten? Wer trägt die Verantwortung? Spoilerwarnung: Die Insignia ist es nicht. Als der Partner an Bord kam, stand die Austria bereits mit Verbindlichkeiten von 78 Millionen Euro und einem Minus von 18,8 Millionen für das Geschäftsjahr 2019/20 da. Der Niedergang hat Jahre zuvor begonnen.

Der 27. August 2013: Die Austria zieht in die Champions League ein. Von Ruhm und Glanz ist wenig über.
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In den vergangenen 25 Jahren gab es am Verteilerkreis neben dem Stau zur Rushhour nur eine Konstante: Markus Kraetschmer. Der 49-Jährige hat Durchhaltevermögen. Wer in Favoriten die Ära von Frank Stronach überlebt hat, muss aus besonderem Holz geschnitzt sein. Der Milliardär war nicht gerade für seine Geduld bekannt.

Als Stronach sich 2008 bei der Austria zurückzog, sagten viele dem Verein eine Zukunft in der Regionalliga voraus. Es kam anders, es kam besser. Kraetschmer schuf die wirtschaftlichen Voraussetzungen, Sportdirektor Thomas Parits stellte eine Mannschaft zusammen, die es 2013 bis in die Champions League schaffen sollte. Es flossen Milch und Honig durch die Fischhofgasse.

Genauso wie Kraetschmer für die Erfolge verantwortlich war, trägt er nun die Verantwortung für den Niedergang. Er ist der mächtigste Mann im Verein. Der Verwaltungsrat rund um Robert Zadrazil von der Unicredit Bank Austria hat wenig Kompetenz in Sachen Fußball. Auch kein Ruhmesblatt. Zumal die Bank Austria der größte Kreditgeber ist – und jetzt genauso im Schlamassel steckt.

Eingebrochene Einnahmen

Wir haben es bereits erwähnt, die Bilanz der Austria weist ein Fremdkapital von 78 Millionen Euro auf. Das ist kein Pappenstiel. Angesichts der Investitionen in die Infrastruktur aber kein Weltuntergang. Es handelt sich um langfristige Projekte. Rapid weist ein Fremdkapital von 45 Millionen Euro auf. Weniger, aber auch keine Peanuts. Der Unterschied: Bei Rapid läuft das Geschäft.

Markus Kraetschmer in der Generali-Arena: Das Stadion spielt alle Stückeln. Aber es ist nicht billig.
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Rapid spielt in Österreich vorne mit, Rapid spielt international, Rapid spielt eine Rolle am Transfermarkt. Die Hütteldorfer sind nach einem Durchhänger wieder auf Schiene. Allein in der Saison 2018/19 wurden 8,7 Millionen Euro durch die Europa League lukriert. In den vergangenen drei Jahren hat der Verein Spieler um rund 20 Millionen Euro verkauft. Damit kann man arbeiten.

Und die Austria? Nichts, Nüsse, nada. In Österreich ist der Verein zum Mittelmaß verkommen, international spielt man nicht mit, die Spieler sind unverkäuflich. Es ist ein Teufelskreis. Einkalkulierte Einnahmen sind abhandengekommen, die Kosten aber geblieben. Anders gesagt: Der Verein hat sich verrechnet. Caterer Do & Co soll mehr als einmal auf sein Geld gewartet haben.

Die Generali-Arena der Austria spielt alle Stückeln. Man kann weiß Gott nicht von einem Fehlprojekt reden. Im Gegenteil, dieses Stadion hätte den Weg in die Zukunft weisen können. Sponsoren und VIPs werden fürstlich versorgt, das gemeine Volk darf sich einer zeitgemäßen Infrastruktur erfreuen. Keine Freude bereitet seit der Eröffnung 2018 hingegen der gebotene Fußball.

Vernachlässigtes Kerngeschäft

Und der Fußball ist nun mal das Kerngeschäft eines Fußballklubs. 2017 wurden die Violetten unter Trainer Thorsten Fink noch Vizemeister, danach ging es steil bergab. An den Trainern kann es nicht gelegen sein. Wenn Thorsten Fink, Christian Ilzer und Peter Stöger am Ende gleichermaßen scheitern, bleibt nur noch eine Conclusio: Die Kaderplanung gibt nicht mehr her.

Auch Peter Stöger konnte das Steuer nicht mehr herumreißen. Er hatte kaum Handlungsspielraum.
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Als Stöger die Verantwortung für den Sport übernahm, war es bereits zu spät. Dem Mann waren faktisch die Hände gebunden, der finanzielle Rahmen war enger als das Korsett von Marie Antoinette. Man hat es mit jungen Spielern probiert. Aller Ehren wert, aber da wird gleich das nächste Problem offenkundig: Der Output der Akademie bewegt sich nicht über dem Durchschnitt.

Nun gibt es drei mögliche Szenarien. Szenario eins: Die Austria erbringt vor dem Protestkomitee bis zum 21. April den Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Ist das wahrscheinlich? Nun, man hatte ein Jahr Zeit, sich auf den Stichtag in erster Instanz vorzubereiten, und es hat nicht funktioniert, jetzt bleiben sechs Tage – also nein.

Szenario zwei: die Corona-Insolvenz. Der Klub kann ein Sanierungsverfahren anstreben. Ein solches müsste bis 21. April gemeldet werden. Auch hier wird die Zeit knapp. Die Austria dürfte in der Bundesliga bleiben, würde aber mit sechs Punkten Abzug starten und dürfte zwei Saisonen lang kein Geld für Zugänge ausgegeben. Der Klassenerhalt wäre unter diesen Umständen eine Sensation.

Großer Exodus

Szenario drei: Die Austria wirft das Handtuch und geht den Weg in den Amateurbereich. In der Wiener Stadtliga könnte man mit dem Favoritner AC, ebenso ein ehemaliger Bundesligist, um die Vorherrschaft im zehnten Hieb kämpfen. Es wäre ein kompletter Neuanfang. Immerhin: Jede Woche ein kleines Derby. ASK Elektra, Donaufeld und Co würden sich über den prominenten Besuch freuen.

Was auch immer passieren wird, der Imageschaden ist längst eingetreten. Spieler machen einen Bogen um die Austria. Es rettet sich, wer kann. Mittelfeldspieler Manprit Sarkaria, noch einer der Lichtblicke, wechselt ablösefrei zu Sturm Graz. Stürmer Christoph Monschein soll sich mit dem LASK einig sein. Der große Exodus ist bereits im Gang. Und er ist kaum noch aufzuhalten. (Philip Bauer, 15.4.2021)