Die blinde Justiz: In Sachen sexualisierte Gewalt soll in der Richterausbildung genauer hingesehen werden.

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Zukünftige Richterinnen und Richter sollen in ihrer Ausbildung stärker für Gewalt an Frauen sensibilisiert werden. Ein entsprechender Entschließungsantrag wurde am Dienstag im Justizausschuss des Nationalrats von allen Parteien angenommen. Darin wird das Justizministerium aufgefordert, in der Richteramtsanwärter-Ausbildung verstärkt Inhalte zur Sensibilisierung für Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verankern. Geprüft werden soll auch ein verpflichtender Ausbildungsdienst für das zukünftige Justizpersonal während der Ausbildung. Einen konkreten Zeitplan für die Umsetzung gibt es noch nicht.

Aus dem grünen Parlamentsklub heißt es, dass für den möglichen Ausbildungsdienst Gewaltschutzzentren oder auch Organisationen wie der Weiße Ring infrage kommen sollen. SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim hatte zuvor einen Entschließungsantrag eingebracht, der keine Mehrheit fand, aber laut Parlamentskorrespondenz Anlass für den am Dienstag beschlossenen Antrag bildete. Es gebe zwar ein Ausbildungsangebot, dieses sei aber zu wenig umfassend, so die ursprüngliche Kritik der SPÖ.

Arbeitsgruppe unter Minister Moser

Die Vereinigung Österreichischer Richterinnen und Richter verwies im STANDARD-Gespräch auf die bereits bestehende Pflicht zu einem zweiwöchigen Ausbildungsdienst in sozialen Einrichtungen in der Ausbildung. Seit 2008 sei dieser in einer Verordnung verankert, sagt Sabine Matejka, Präsidentin der Standesvertretung. Außerdem gebe es Seminare und Fortbildungen mit Vertretern von Gewaltschutzzentren, der Männerberatung und Frauenhäusern.

Unter Justizminister Josef Moser (ÖVP) gab es eine Arbeitsgruppe zur Reform der Richterausbildung, die einen Bericht fertiggestellte. Bislang habe die aktuelle Justizministerin Alma Zadić (Grüne) dieses Projekt nicht wieder aufgenommen, sagt Matejka.

Offener Brief an Richter

Erst im März verlangten der Presseclub Concordia und das Frauennetzwerk Medien in einem offenen Brief an die Richtervereinigung mehr Sensibilität beim Thema sexuelle Belästigung. Hintergrund war ein STANDARD-Bericht über einen Wiener Medienmanager, der gegen Vorwürfe der sexuellen Belästigung klagt. Im Prozess fragte die vorsitzende Richterin die Beklagte, die mutmaßlich von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen war, warum sie nicht gekündigt habe, "man wisse doch, wie es im Unternehmen zugehe". Solche Aussagen würden einschüchtern und seien ein "fatales Signal" an alle Betroffenen und die Öffentlichkeit, hieß es in dem Brief.

In der Begründung des nun beschlossenen Antrags wird darauf verwiesen, dass die Zahlen an Frauenmorden in Österreich im europaweiten Vergleich extrem hoch sind. Jede fünfte Frau wird demnach im Lauf ihre Lebens Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt. Die türkis-grüne Regierung hat es sich zum Ziel gesetzt, dass Frauen frei von Gewalt leben können. Auch die Istanbul-Konvention des Europarats, die Österreich ratifiziert hat, verlangt die verstärkte Bewusstseinsbildung in Berufsgruppen, die regelmäßigen Kontakt zu Opfern oder Straftätern haben. (Laurin Lorenz, 15.4.2021)