Die Schredderaffäre ist Dauergast im U-Ausschuss.

Foto: Eibner

Warum hat ein Mitarbeiter von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kurz vor dessen Abwahl unter falschem Namen fünf Festplatten schreddern lassen – und was befand sich auf diesen? Die sogenannte ÖVP-Schredderaffäre regt seit fast zwei Jahren die Fantasie der Opposition an, doch juristisch schien die Causa ergebnislos abgearbeitet worden zu sein. Das hat sich nun geändert: Wie ein Kabinettsmitarbeiter von Kanzler Kurz am Mittwoch im U-Ausschuss bekanntgab, wird er als Beschuldigter in einem neuen Verfahren geführt.

Laut Staatsanwaltschaft Wien ist er nicht der Einzige: Auch ein zweiter Mitarbeiter des Bundeskanzleramts wird beschuldigt – es gilt die Unschuldsvermutung. Bei keinem der beiden handelt es sich aber um Arno M., der das Festplatten-Schreddern durchgeführt hat. Die Ermittlungen gegen ihn waren bereits im Frühjahr 2020 eingestellt worden. Nun fokussiert sich die Justiz aber auf P., jenen damaligen Mitarbeiter des Kabinetts Blümel, der M. die Festplatten ausgehändigt hat. Laut Justiz hatte dieser die "faktische Verfügungsgewalt" über die Festplatten inne.

Die Reißwolf-Affäre

Gegen den Willen der Beamten der IT-Abteilung übergab P. fünf Festplatten an Arno M., die dieser dann unter falschem Namen mehrfach bei der Firma Reißwolf schreddern ließ. Da bei der Firma keine Bargeldzahlung möglich war, ließ sich M. eine Rechnung ausstellen, die er nicht beglich. Reißwolf-Mitarbeiter entdeckten M. dann bei einer im Fernsehen übertragenen Rede von Sebastian Kurz, nachdem diesem kurz nach der Ibiza-Affäre vom Nationalrat das Misstrauen ausgesprochen worden war. Deshalb verständigte Reißwolf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA).

Im U-Ausschuss waren die Schredderaffäre und merkwürdige Vorgänge bei den Ermittlungen dazu ein ständiges Thema; die einst Fall-führende Staatsanwältin der WKStA sprach von politischem Druck in der Sache. Die WKStA warf auch dem zuständigen Polizisten, der sich einst lokalpolitisch für die ÖVP engagiert hatte, Versäumnisse vor. Dieser nahm Arno M. beispielsweise das Handy nicht ab.

Die WKStA musste die Ermittlungen just an jenem Tag abgeben, an dem sie die Sicherstellung von M.s Smartphone angeordnet hatte. Ausschlaggebend dafür war ein Bericht des Bundeskanzleramts, dem zufolge kein Konnex zwischen Schredderaffäre und Ibiza-Video bestand. Die aktuellen Ermittlungen betreffen nun auch G., jenen Mitarbeiter, der damals für Kanzlerin Brigitte Bierlein den internen Bericht zur Schredderaffäre verfasst hat. Der Bericht hatte die Festplatten klar Multifunktionsgeräten zugeordnet und unter anderem mit sarkastischen Bemerkungen für Aufregung gesorgt.

So hieß es mit Blick auf das Ibiza-Video darin: "Es darf darauf hingewiesen werden, dass Videos weder gescannt noch gedruckt oder gefaxt werden können." Ausgelöst hat die neuen Ermittlungen eine Anzeige der Oppositionsparteien: Die U-Ausschuss-Fraktionsführer Jan Krainer (SPÖ) und Stephanie Krisper (Neos) brachten am 24. Februar 2021 eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Wien ein, in der sie ihre aus dem U-Ausschuss gewonnenen Erkenntnisse zur Causa zusammengefasst haben. Sie werfen G. Amtsmissbrauch vor, weil er der WKStA in dem Bericht des Kanzleramts "tatsachenwidrige oder irreführende Angaben" übermittelt habe.

Das Festplatten-Puzzle

Die SPÖ will nämlich einen eklatanten Widerspruch entdeckt haben: Auf der Rechnung der Firma Ricoh, die die angeblichen Drucker-Festplatten ausgebaut hat, werden sechs Festplatten mit je 320 GB vermerkt. Arno M. fotografierte allerdings fünf Festplatten ab, bevor er sie vernichtete: Drei passen zu den von Ricoh ausgebauten, auf dem Foto sind jedoch auch zwei Speicherträger zu sehen, die eine Kapazität von 500 GB hatten. ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger sprach davon, dass es "unzumutbar" sei, wenn die Opposition "die Wahrheit nicht akzeptieren kann".

Das Verfahren sei rein auf eine "politisch motivierte Anzeige" zurückzuführen. Allerdings zeigt der Status "beschuldigt", dass die Justiz durchaus Substanz sieht – sonst könnte sie die Betroffenen auch als "Verdächtige" oder "Angezeigte" führen. Für Hanger ist jedenfalls klar: "Es kann ausgeschlossen werden, dass es sich um Festplatten aus Notebooks oder Stand-PCs von obersten Organen des Bundeskanzleramts oder Kabinettsmitarbeitern handelte." Auch das Kanzleramt ist "davon überzeugt, dass sich die Haltlosigkeit der offenbar politisch motivierten Anschuldigungen in Kürze zeigen wird". Als Grund für die Schredderaktion hatte es geheißen, man wollte sich nicht allzu offen auf eine drohende Abwahl von Kanzler Kurz vorbereiten. (Fabian Schmid, 15.4.2021)