Allein die Nennung der im Titel genannten Termini löst heutzutage heftig-diskursive Wortgefechte aus. Muttersprache ist verpönt, Vaterland stigmatisiert, unaussprechlich. Von Heimat wollen wir lieber gar nicht sprechen, sondern zwecks Friedens den Mantel des Schweigens darüber breiten. Aber gerade angesichts der aktuellen Debatte um das bei der Inauguration von US-Präsident Joe Biden und Kamala Harris vorgetragene Gedicht von Amanda Gorman – und vor allem der danach entbrannten Diskussion um die Übersetzung desselben – rücken die desavouierten respektive verfemten Begriffe in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses; unabhängig davon, wie hoch "the hill we climb" ist.

Karin Hanta, "Zurück zur Muttersprache". Austro-amerikanische SchriftstellerInnen im österreichischen literarischen Feld. € 29,– / 336 Seiten. Mandelbaum-Verlag, Wien 2021.
Foto: Mandelbaum-Verlag

"Alle Kriege werden zweimal gefochten. Das erste Mal auf dem Schlachtfeld, das zweite Mal in der Erinnerung", stellte weise der vietnamesisch-US-amerikanische Schriftsteller Viet Thanh Nguyen einst fest. Nun wollen wir das Minenfeld der internationalen Political Correctness und Cancel-Culture aber lieber verlassen, um uns einem verwandten Thema zuzuwenden – dem Umgang mit der eigenen Geschichte und dem Umgang mit vertriebenen Autorinnen und Autoren des eigenen Landes, Kulturkreises und der eigenen Sprache.

In ihrem Buch Zurück zur Muttersprache stellt die Autorin Karin Hanta die vielgestaltige Rolle von Übersetzung in der Ausformung einer NS-kritischen österreichischen Erinnerungskultur in den Vordergrund – sowohl im sprachlichen als auch im metaphorischen Sinn. Die in Wien geborene Autorin schloss ein Dolmetschstudium ab, hat ein Doktorat in Übersetzungswissenschaften, arbeitete ab 1991 als Publizistin für das Österreichische Kulturforum in New York und unterrichtet seit 2011 Übersetzungswissenschaften am Middlebury College in den USA, in Vermont.

Reflexion

Hanta, selbst auch Übersetzerin von Stefan Zweig, führte Interviews mit Exilschriftstellern wie Carl Djerassi, Frederic Morton, Eva Kollitsch, Doris Orgel, Lore Segal, Jakov Lind sowie weiteren Schlüsselfiguren des internationalen Kulturbetriebs und lässt sie über Leben und Arbeit reflektieren.

Die Übersetzung der Werke der in den USA etablierten Exilautoren in deren Muttersprache erfährt dabei ein besonderes Augenmerk. Jener bislang vernachlässigte Aspekt eines komplexen Beziehungsgeflechts zwischen der ehemaligen "Heimat", dem "Vaterland" und der verschütteten "Muttersprache" wird dabei ausführlich beleuchtet. "Hanta gelingt es", so Heidelinde Uhl von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, "diese Wiederaneignung als komplexen Prozess zu zeigen, der nicht nur die Autorinnen und Autoren berührt, sondern auch in das Feld der österreichischen Erinnerungskultur interveniert."

Im Hinblick auf die Übersetzungsdebatte rund um Amanda Gorman bietet Hantas Arbeit auch interessante Aspekte und Erkenntnisse, wurden (und werden) die Exilautoren doch auch hauptsächlich von "nichtjüdischen" Sprachmittlerinnen übersetzt. In Hantas Projekt nehmen sowohl die Interviewten als auch die Übersetzer respektive Sprachmittler, wie Hanta ihre Profession nennt, dazu Stellung.

Neben dem Fokus auf die brückenbauende Funktion der Übersetzung liefert Hantas wissenschaftliche Arbeit eine konkrete Bestandsaufnahme der wichtigen Erinnerungskultur Österreichs seit dem Jahr 1990 (als man offiziell die These Österreichs als Opfer revidierte und Mitschuld eingestand) und dokumentiert den persönlichen Einsatz von (Exil-)Österreichern, die bestimmt sicherstellen, dass der demokratische Auftrag des "Niemals vergessen!" erfüllt wird. (Gregor Auenhammer, 15.4.2021)