Truppen der US-Armee, aber auch solche ihrer Partner haben sich in Afghanistan Gefahren ausgesetzt. Ob der Erfolg das Risiko wert war, ist unsicher.

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War es das wert? Knapp 20 Jahre nach dem Beginn ihres Einsatzes werden sich nicht nur die USA, sondern auch die anderen Mitglieder der Nato aus Afghanistan zurückziehen. Rund 7.000 Soldatinnen und Soldaten haben diese im Moment noch für die Mission am Hindukusch abgestellt, auch Österreich hat im Rahmen der Nato-"Partnerschaft für den Frieden" (PfP) 16 Angehörige des Bundesheers in Kabul stationiert. Für alle endet nun bald der Einsatz.

Das hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den US-Verteidigungs- und Außenministern Lloyd Austin und Anthony Blinken noch einmal deutlich gemacht, bevor Letzterer nach Kabul weiterreiste. Nach dem Rückzug der USA, den US-Präsident Joe Biden Dienstagabend erklärt hatte, gebe es auch für das Engagement der Nato in Afghanistan keine Grundlage mehr. Wie es in dem Land dann weitergeht, ist offen. Die Perspektive, dass die Taliban, die man vor 20 Jahren mit dem Einsatz stoppen wollte, nach der Macht greifen, scheint realistisch.

Keine Bedingungen

Genau aus diesem Grund hatte sich Stoltenberg bisher stets gegen einen Abzug der Truppen ohne die Zusicherung der Radikalislamisten gesträubt, drei Bedingungen zu erfüllen: eine Reduktion der Gewalt, eine Absage an die Kooperation mit dem Terrorismus und Verhandlungen mit der afghanischen Regierung. Wieso dies nun nicht mehr der Fall ist, fiel ihm auch Mittwoch schwer zu erklären.

Es sei eben ein Dilemma, sagte er. Freilich gebe es Risiken. Aber die Alternative sei, lange und ohne absehbares Ende im Land zu bleiben. Immerhin, so Stoltenberg, habe die Nato doch auch dabei geholfen, mehr als 100.000 afghanische Sicherheitskräfte auszubilden. Es handle sich "um ein völlig anderes Afghanistan" als jenes, das man 2001 vorgefunden habe. Insgesamt: neue Töne.

Die Frage nach dem Wofür

Gemischte Gefühle gibt es auch in den Mitgliedsstaaten. Aus Großbritannien hieß es, man habe sich schon in den vergangenen Wochen auf den Rückzug der USA vorbereitet. Wenn die USA gehen würden, dann sei es schlicht für alle anderen unmöglich zu bleiben, wird ein Mitarbeiter des britischen Verteidigungsministeriums im Guardian zitiert.

Einen "bitteren Nachgeschmack" sah hingegen der Vorsitzende des Bundes Deutscher Einsatzveteranen Bernhard Drescher in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. 53 Mitglieder der Bundeswehr seien im Einsatz gefallen, um "die Freiheit Deutschlands am Hindukusch zu verteidigen", wie Drescher unter Verwendung eines Zitates sagte, mit dem der damalige deutsche Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) 2002 den Einsatz begründete. Viele Soldatinnen und Soldaten hätten für dieses Ziel unter anderem jahrelang auf ihr Sozialleben verzichtet, fuhr Drescher fort. Die Frage nach dem Wofür sei nun offener denn je.

Der frühere Kommandant der italienischen Truppen in Afghanistan, Giorgio Battisti, übte im Magazin "Politico" sogar offen Kritik an der Entscheidung. Die USA hätten sie gemeinsam mit den Nato-Partnern treffen müssen, statt diese vor vollendete Tatsachen zu stellen, sagte er. Nun würde die Allianz die Menschen in Afghanistan einfach zurücklassen – vor allem Frauen und Kinder sowie jene, die, etwa als Übersetzer für die Truppen gearbeitet hätten und nun ganz besonders gefährdet seien.

Organisieren und Erklären

Auch jene 16 Österreicher, die derzeit in Kabul im Einsatz sind, werden wohl die Letzten ihrer Art bleiben. Sie sind momentan einerseits für Aufgaben im militärischen Stab zuständig, wie Bundesheer-Sprecher Michael Bauer dem STANDARD erklärt, also für Organisatorisches. Und sie übernehmen Ausbildungsaufgaben, hätten also etwa den Afghanen "erklärt, wie eine Armee funktioniert".

Wie viele Österreicher genau seit Beginn der Einsätze 2002 in Afghanistan waren, konnte das Bundesheer auf die Schnelle nicht beziffern. Die Zahl dürfte aber durchaus stattlich sein: Ein Einsatz dauert ein halbes Jahr. Dass dieselbe Person mehrere macht, sei äußert selten, da es darum gehe, Erfahrung zu sammeln. Den Höchststand (100) hatte Österreichs Beteiligung im Jahr 2005 erreicht, als das Bundesheer dabei half, die afghanische Parlamentswahl zu sichern. Meist bewegte sich die Zahl der Österreicher am Hindukusch allerdings im niedrigen zweistelligen Bereich. (Manuel Escher, 15.4.2021)