Die gesellschaftspolitische Dimension der Femizide wird konsequent verleugnet, sagt Andrea Brem, die Geschäftsführerin des Vereins Wiener Frauenhäuser. Im Gastkommentar zeigt sie auf, wo die Politik handeln muss.

"Stoppt Femizide, man tötet nicht aus Liebe" steht auf einem Plakat. Anfang des Monats verstarb eine 35-jährige Wiener Trafikantin nach einem Brandanschlag.
Foto: Andy Urban

Wir haben Mitte April, und es wurden in Österreich bereits sieben Frauen von ihren (Ex-)Partnern erstochen, erschossen, zuletzt sogar verbrannt. Das bedeutet auch, dass es wieder zahlreiche Kinder gibt, die mit dem Trauma leben müssen, dass ihre Mutter getötet wurde, dass der eigene Vater der Täter ist, und Eltern müssen damit leben, dass ihre Tochter ermordet wurde oder dass ihr Sohn ein Mörder ist. Welch großes Leid! Und Morde sind ja nur der Gipfel einer breiten Palette von Gewalt an Frauen.

Mord an Frauen hat System und ist kein Schicksal. Weltweit werden Frauen von ihren Männern ermordet, die gesellschaftspolitische Dimension wird aber konsequent verleugnet. Noch immer ist der Begriff Femizid – die vorsätzliche Tötung einer Frau, weil sie Frau ist – nicht verbreitet, im Gesetz kommt er gar nicht vor. Frauenmorde werden weiterhin individualisiert und psychologisiert. Den getöteten Frauen wird in der Öffentlichkeit meist eine Mitschuld gegeben. Es wird suggeriert, dass sie getötet wurden, weil sie beispielsweise einen neuen Partner hatten, weil sie dem Ex-Partner die Kinder vorenthalten hätten oder weil sie sich trennen wollten.

Macht und Besitzdenken

Oft stehen nur Fragen nach dem "Motiv" des Täters im Zentrum. Die Antworten klingen immer nach einer Rechtfertigung, kommen meist vom Mörder selbst oder dessen Rechtsvertretung und haben logischerweise das Ziel, das Verbrechen zu verharmlosen. Das Opfer kann dazu nichts mehr sagen, auch Angehörige wollen meist nichts dazu sagen, zu groß ist der Schmerz. In Wahrheit gibt es natürlich keine Rechtfertigung für Mord, und es geht in diesen Fällen eigentlich immer um Macht und Besitzdenken: Aus Sicht des Täters "gehört" die Frau ihm, und wenn sie nicht so tut, wie er möchte, wird sie geschlagen oder im schlimmsten Fall sogar getötet. Das erklärt auch, warum Zeiten der Trennung die gefährlichsten für Frauen sind.

Aber zurück zur oft untergrabenen gesellschaftspolitischen Dimension: Solange Frauen nicht in allen Bereichen der Gesellschaft gleichberechtigt sind, wird es grundsätzlich ein Machtgefälle zwischen Männern und Frauen geben, verbunden mit Besitzdenken. Und wenn patriarchalen Rollenbildern, die Femiziden immer zugrunde liegen, nicht entschieden entgegengetreten wird, wird der Kreislauf der Gewalt weitergehen. Die meisten Tötungen von Frauen werden weiterhin als Femizide zu bewerten sein und damit ein gesellschaftspolitisches und nicht ein individuelles Problem darstellen.

Schädigendes Umfeld

Die Gesetze zum Opferschutz sind dank des steten Insistierens der Opferschutzeinrichtungen in Österreich gut, aber es nützt nichts, wenn Gewalttaten in der Praxis bagatellisiert werden. Und dies geschieht sehr häufig dann, wenn es um die Kinder geht. Auch diese sieht ein gewalttätiger Mann meist als seinen Besitz, es geht ihm ums "Habenwollen", nicht ums "Versorgenwollen". Patriarchale Rollenbilder und geschlechtsstereotype Vorstellungen finden sich auch oft in Erziehungsmaßnahmen von Gewalttätern, diese schaffen ein äußerst schädigendes Umfeld für Kinder und Jugendliche.

Aber Behörden beachten dies oft nicht und differenzieren auch nicht, was die Motive des Wunsches nach der Obsorge sind. Die Wünsche und Rechte der Kinder sind oft nicht Thema, es geht nur um das Recht der Eltern auf ihre Kinder. Dieses sollte aber jedenfalls dann eingeschränkt oder sogar verwirkt sein, wenn Eltern Gewalt ausüben. Die gemeinsame Obsorge der Eltern nach der Trennung ist dort eine gute Sache, wo die Machtverhältnisse des Ex-Paares ausgewogen sind und Kommunikation möglich ist. Bei Gewalt in der Familie ist beides nicht gegeben. Dort schafft die Fortsetzung des Kontaktes zwischen den ehemaligen Partnerinnen und Partnern eine Verlängerung der Gewaltsituation für das Opfer, da es den Kontakt mit dem Täter der Kinder wegen nicht abbrechen kann.

Politik muss handeln

Im letzten Jahr war man vor allem an der Frage interessiert, ob es mehr Gewalt durch den Lockdown gegeben habe – bevor es noch entsprechende Zahlen gab, war schon klar, es sei so. Für betroffene Frauen war das weder wichtig noch hilfreich. Sie benötigen praktische Unterstützung, diesbezüglich wurde aber wenig weiterentwickelt.

Vier Säulen sind in der Arbeit mit Opfern erforderlich: Opferschutzeinrichtungen, Polizei, Justiz und Präventionsarbeit, zu der auch die Täterarbeit zählt. Die Politik muss handeln: Opferschutzeinrichtungen müssen rechtlich abgesichert werden. Opferschutz muss vor Datenschutz stehen. Damit Sicherheit ermöglicht wird, muss uneingeschränkter Austausch zwischen den involvierten Institutionen und Behörden gegeben sein. Krisengespräche im Sinne der Sicherheit von High-Risk-Opfern müssen alle mit diesen Fällen befassten Einrichtungen einberufen können. Für Prävention schon in Schulen und für langfristige Täterarbeit müssen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die derzeit geplanten Krisengespräche mit Tätern im Zusammenhang mit Annäherungsverboten im Ausmaß von etwa drei Stunden, die nicht in Kooperation mit Opferschutzeinrichtungen erfolgen sollen, sind nicht als opferschutzorientierte Täterarbeit zu werten, da solche Maßnahmen zu kurz greifen.

Nach jedem Femizid oder Kindermord und bei Gewaltvorfällen mit schweren Verletzungen innerhalb der Familie muss im jeweiligen Bundesland eine Expertinnen- und Expertenkommission einberufen werden, die analysiert, welche Maßnahmen notwendig gewesen wären, um diese Gewaltakte zu verhindern. Diese Kommission muss jedenfalls aus Vertreterinnen und Vertretern von Frauenhäusern, Gewaltschutzzentren, Polizei und Justiz bestehen, andere wichtige Player können je nach Fall beigezogen werden.

Nur durch eine intensive Beschäftigung mit jedem einzelnen Frauenmord in Kombination mit Präventionsarbeit auf breiter gesellschaftlicher Basis werden entsprechende nachhaltige Maßnahmen zu ihrer Vorbeugung geschaffen. Denn eines muss klar sein: Jeder Femizid ist einer zu viel. (Andrea Brem, 16.4.2021)