Laut einer Umfrage denken doppelt so viele Chefs wie Mitarbeitende, ihr Unternehmen könne sich durch agiles Arbeiten schneller und flexibler anpassen.

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Früher haben Belegschaften gezittert, wenn die großen internationalen Berater für neues Organisationsdesign und Restrukturierung eingeritten sind – da blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Heute sind es die agilen Coaches, die oft solchen Schrecken verbreiten. Denn "agil" ist das Zauberwort der Stunde, wenn es um die zukunftsfähige Aufstellung der Firma geht. Sie sollen ausgehend vom "Wasserfall", also der Befehlsausgabe von oben nach unten inklusive langwieriger Genehmigungsschleifen und hierarchiegebundener Prozesse, eine höhere Schlagzahl in den Firmen erzeugen.

Zum Einsatz kommen die aus dem Softwaredesign bekannten Methoden (etwa Scrum und Kanban plus Design-Thinking), bei denen kleine, nach den geforderten Kompetenzen zusammengestellte Teams Aufgaben in Läufen (sprints) hin zum jeweils nächsten, knapp gesteckten Ziel erledigen. Agile Coaches agieren dabei als laterale Führungskräfte. Einerseits ändert das die Arbeitsabläufe meist radikal. Andererseits beschleunigt es die Organisation deutlich. Doch können das nicht alle, wollen das nicht alle, und es werden höchstwahrscheinlich auch nicht alle der alten Wasserfallorganisation gebraucht.

Über 60 Prozent der Unternehmen, sagt eine aktuelle Umfrage von Bearing Point, haben innerhalb der vergangenen drei Jahre agile Organisationsformen eingeführt. Vorwiegend werden solche Praktiken auf Teamebene (81 Prozent) und auf Abteilungsebene (62 Prozent) eingesetzt. Scrum, Kanban und Design-Thinking sind die drei Top-Rahmenwerke dafür. Interessant, dass das Management "agil" zwar offenbar verordnet, selbst aber traditionell bleibt: Nur 26 Prozent sind auf der Managementebene agil.

Schlechtes Image

Gleichzeitig sagen doppelt so viele Chefs wie Mitarbeiter, ihr Unternehmen könne sich so schnell und flexibel anpassen. Als Motiv für die Einführung wird zuerst das Erreichen von mehr Flexibilität genannt, gefolgt von einer Erhöhung der Geschwindigkeit und einer stärkeren Kundenzentrierung. Größter Knackpunkt ist die Unternehmenskultur und ihr Widerstand. Konkret: Die Belegschaften wollen keine externen agilen Coaches, keine intern ausgebildeten neuen "Einpeitscher", die Teams Amok laufen lassen.

Ein Grund für das ungute Image agiler Coaches – auch die Bezahlausbildungen für diese Tätigkeit boomen – dürfte der große Zulauf inklusive Scharlatanen sein, den die nicht geschützte Berufsbezeichnung ermöglicht. Eine verbindliche Beschreibung des Berufsbilds existiert bis dato auch nicht. Es wird auf allen Ebenen und rundherum viel experimentiert, sowohl in Organisationen als auch in der Beraterschar. Und natürlich tut es grundsätzlich eher weh, einen jahrelang eingeübten Ablauf ändern zu müssen. Überzogene Erwartungen des Topmanagements setzen dem oft noch eins drauf.

Eine Frage der Kultur

Gregor Habinger war einst selbst Softwareentwickler und ist nach einem Beraterjob bei Cap Gemini nun Digital Adviser beim IT-Berater Tietoevry und als solcher auch agiler Coach. Er hat jetzt, mitten im Boom des agilen Coachings, erste Versuche einer Professionalisierung gestartet. Zertifikate allein seien keine adäquate Antwort auf den Wildwuchs dieser jungen Branche, es gehe um einen umfassenden Code of Conduct, den er gemeinsam mit Branchenkollegen vorschlägt. Vielleicht ein Meilenstein zu einer Berufsvertretung? So weit ist die Sache noch nicht gediehen.

Zunächst wird aussortiert, was agile Coaches tun, was nicht und auf welcher Basis. Der Mensch im Mittelpunkt, den Rahmen orchestrieren, Mindset und Purpose erarbeiten, zur Selbstorganisation anleiten – das sind demnach die Grundfesten. Autorität werde mit Agilisierung nach unten verschoben, sagt Habinger, dorthin, wo das Wissen ist. Klar für ihn: Das dauert. Eine Kulturveränderung funktioniere nicht von heute auf morgen. Darum, schnell weniger Headcounts zu erzielen, gehe es definitiv nicht. (Karin Bauer, 16.4.2021)