Die Anzahl der Möglichkeiten im Tabletop Simulator ist nahezu unbegrenzt.

Foto: Berserk Games

Bei aller Liebe zu digitalen Spielen: In Zeiten des Besuchsverbots im Corona-Lockdown fehlt es, auch mal gemeinsam mit Freunden an einem Tisch zu sitzen und ein richtiges Brettspiel zu spielen. Zum Anfassen, mit einem Spielplan, mit Karten, Würfeln und Jetons. Genau diese Lücke in der Freizeitgestaltung wird seit Monaten vom Tabletop Simulator gefüllt: einer Software, die Brettspiele aus dem realen Leben in die Multiplayer-Welt transferiert.

Ein Abend mit Freunden

Somit setzen wir uns gemeinsam mit Freunden an einen virtuellen Tisch und spielen eine Runde "Zombicide": ein kooperatives Spiel, das im Setting einer Zombie-Apokalypse angesiedelt ist und bei dem sich die Spieler gemeinsam mit verschiedenen Waffen gegen Horden von Untoten verteidigen müssen.

Der Blick auf den "Zombicide"-Spielplan im Tabletop Simulator.
Foto: Berserk Games, Cool Mini or Not

Im Gegensatz zu anderen Computerspielen ist hier nichts automatisiert: Ich muss wie im echten Leben selbst mit der Maus meine Karten ziehen, würfeln, die Spielfigur bewegen und einen Marker auf meinem Charakterbogen verschieben.

Und gerade das macht den Reiz des Tabletop Simulators aus, es ist wie im echten Leben. Und dann auch wieder nicht: Denn zugleich ermöglicht der Tabletop Simulator, den nächsten Spielzug mit einem Stift auf dem Spielbrett zu skizzieren – würde man hingegen mit einem Textmarker auf einem haptischen Spielplan herumkritzeln, so wäre der Besitzer des Spiels wohl ziemlich sauer.

Pubertäre Blödeleien

Zugleich verleitet eben diese neue Freiheit der Virtualität zu neuen Blödeleien. So sah ich mich während einer Phase der Langeweile versucht, ein "Franzi* ist doof" auf Franzis Platz zu kritzeln. Franzi war daraufhin sauer und nahm wenige Minuten später meine Spielfigur in seine virtuelle Hand, um sie zu verschieben – daraufhin entstand ein Schreiduell, wie es unter Kumpels auch an guten Brettspielabenden im realen Leben stattfindet. Schön.

Die liebevoll gestalteten Spielfiguren im Zombie-Survival-Spiel "Zombicide".
Foto: Berserk Games, Cool Mini or Not

Wer noch mehr Realismus möchte, der kann sich außerdem eine VR-Brille aufsetzen und sich mit dieser im virtuellen Spielzimmer umsehen – alle anderen Spieler nutzen Bewegungen von Maus und WASD-Tasten, um sich einen Überblick zu verschaffen. Das funktioniert in der Praxis recht gut und ermöglicht auch, zum Beispiel den offen aufliegenden Charakterbogen des Mitspielers zu lesen – im echten Leben müsste man dafür um den Tisch herum gehen und ihm über die Schulter glotzen.

Eine Physik-Sandkiste für Brettspiele

Anzumerken ist an dieser Stelle auch, dass der Tabletop Simulator in der Pandemie zwar einen Hype erlebt, jedoch alles andere als neu ist. Erstmals veröffentlicht wurde die Indie Software im Jahr 2015 von Berserk Games. Dem war eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne im Jahr Februar 2014 vorausgegangen, bei der die Entwickler rund 37.000 US-Dollar von knapp 2000 Unterstützern einsammelten. Die "Multiplayer Physik Sandbox" ermöglicht es, Brettspiele zu spielen und auch selbst zu entwerfen.

Standardmäßig enthält der Tabletop Simulator einige Spiele, die Allgemeingut sind – etwa Schach, Backgammon oder Domino – und die dementsprechend sofort gespielt werden können. Sein Potenzial entfaltet er aber vielmehr bei der individuellen Gestaltung eigener Brettspiele: So wurde in Vorkrisen-Zeiten auch der Vorteil vorgebracht, dass Brettspiel-Entwickler ihre Ideen zuerst kostengünstig im virtuellen Raum testen können, bevor sie für teures Geld Prototypen von Spielplänen und -figuren anfertigen lassen.

Unzählige Möglichkeiten

Und eben diese Möglichkeiten der individuellen Gestaltung sind mannigfaltig. So kann ein ursprünglich leerer Raum mit einem passenden Spieltisch ausgestattet werden, und der Raum rundherum wird mithilfe eines Foto-Uploads gestaltet. Wer also anstatt auf dem eigenen Dachboden lieber an einem weißen Südseestrand spielt, der bekommt hier die Gelegenheit dazu.

Wie für die Tische, so gibt es auch für zahlreiche andere Brettspielelemente bereits Vorlagen. So können etwa Spielwürfel verschiedener Art – vom klassischen sechsseitigen Würfel bis zum unter Rollenspielern beliebten 20-seitigen Ikosaeder – ebenso wie diverse Jetons und Spielsteine in das Spiel hineingeladen werden. Andere Objekte – wie etwa Spielpläne, auf das Spiel angepasste Spielkarten oder RPG-Charakterbögen – lassen sich als Bilddateien in das Programm laden. Schließlich können noch Positionierung und Skalierung all dieser Objekte einfach angepasst werden.

Das Problem mit den Raubkopien

So einfach die Erstellung eigener Inhalte für den Tabletop Simulator ist, so groß ist auch das Angebot innerhalb der Community: Über 49.000 (!) unterschiedliche Inhalte finden sich in dem Steam Workshop zum Tabletop Simulator. Darunter finden sich diverse Vorlagen, die in die eigenen Spieleabende integriert werden können – wie etwa Einrichtungsgegenstände für den virtuellen Raum, speziell gestaltete Karten und Würfel sowie auch rund 8.500 komplett ausgestattete Brettspiele mit allen Elementen und Details.

Und das ist der Punkt, an dem der Tabletop Simulator rechtlich gesehen problematisch wird.

Denn zwar gibt es auch herunterladbare Spiele als "Downloadable Content" (DLC), die offiziell von den Herausgebern der Brettspiele als digitale Versionen angeboten werden. Darunter fällt etwa das eingangs erwähnte "Zombicide" für knapp zehn Euro. Es reicht, wenn eine Person das DLC besitzt, damit alle gemeinsam das Spiel spielen können – so wie im realen Leben, wenn sich eine Person das Brettspiel kauft und sich alle Freunde bei ihm zu Hause treffen.

Doch bei den im Workshop vorhandenen Spielen handelt es sich um Nachbauten durch Privatpersonen, die ohne Genehmigung der Publisher erstellt wurden – und somit streng genommen um Raubkopien. Dementsprechend wird bereits seit geraumer Zeit darüber diskutiert, ob es unmoralisch oder gar illegal sei, von Privatmenschen erstellte Spiele aus dem Steam-Workshop zu spielen.

Blick in den Steam-Workshop zum Tabletop Simulator: Sind das Raubkopien?
Foto: Steam

So argumentieren manche User, dass die digitale Version eines Spiels zugleich eine kostenlose Werbung für die haptische Version sei: Wer also nun Spaß damit hat, der soll sich nach Lockdown-Ende das echte Brettspiel kaufen. Die Gegenseite argumentiert, dass eine Copyright-Verletzung nun mal nicht im Sinne der Urheber ist. Und Vertreter eines Mittelwegs sind der Ansicht, dass man das Spiel durchaus gemeinsam online spielen könne, sofern ein Spieler für die haptische Version bezahlt habe – denn dies sei nicht anders, als wenn der Besitzer des Spieles seine Freunde nach Hause einlädt.

Die Entwickler selbst sprechen sich in einem Steam-Thread übrigens dagegen aus, dass Werke ohne Zustimmung der Urheber repliziert werden. Zugleich sehen sie es in der Verantwortung von Steam, die schwarzen Schafe auszusortieren. Summa summarum gilt: Wer selbst auf der rechtlich sicheren Seite sein möchte, sollte ausschließlich auf die integrierten Spiele und offiziellen DLCs setzen.

Schwachpunkte und Alternativen

Der Tabletop Simulator ist eine angenehme Abwechslung zu den üblichen Online-Games, die in Zeiten der Pandemie für Unterhaltung und sozialen Kontakt sorgen. Besonders wer sich nach klassischen Brettspielen sehnt und von den abgespeckten Digitalversionen von "Monopoly" und "Trivial Pursuit" enttäuscht ist, wird dem originalen Brettspiel-Erlebnis durch den Simulator ein Stückchen näher kommen. Dennoch ist das Spielgefühl recht mechanisch und ein wenig gewöhnungsbedürftig, was vor allem bei einfachen Kartenspielen auffällig wird. Auch fehlt eine Mobil- oder Webversion für all jene, die keinen Computer besitzen.

Wer nicht gerne auf einem Computer spielt oder mit Freunden und Bekannten an einem virtuellen Spieltisch sitzen möchte, die lieber auf einem Mobilgerät unterwegs sind, kann alternativ auch die Simulations-Plattformen Tabletopia und Boardgame Arena ausprobieren. Tabletopia ist kostenlos und kann im Webbrowser verwendet werden. Für Tablets und Smartphones gibt es zusätzlich auch eine Android- und iOS-App, die zwar ein kleineres Sortiment von gratis Spielen bietet, jedoch für den Touchscreen optimiert ist. Boardgame Arena setzt auf ein Freemium-Modell und ist ebenfalls browserbasiert.

Fazit

Das Gefühl einer gemeinsamen Runde "Siedler von Catan" oder "Dungeons and Dragons" im realen Leben wird ein Simulator nie ersetzen können. Es fehlt natürlich das Gefühl der Karten und der Spielsteine in den eigenen Händen oder das aufwendige Auf- und Abbauen so mancher Spielbretter. Im Angesicht der Pandemie gelingt es den Simulationen dennoch, mit ihrem Bedürfnis, den Regeln der Physik so realitätsnah wie möglich zu folgen, ein Stück Vor-Corona-Zeit im virtuellen Raum wiederaufleben zu lassen – auch wenn die dadurch geschaffene Freiheit oft Blödeleien, Fehler oder chaotische Spielabläufe bedeutet. Ganz wie im realen Leben. (Tiana Hsu, Stefan Mey, 17.4.2021)

*Name von der Redaktion geändert.