Es war längst nicht die erste Aktion der Regierung, die in der EU für Verwunderung gesorgt hat, sagt der frühere EU-Kommissar im Gastkommentar.

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Kanzler Sebastian Kurz ortete im März eine Art "Basar" bei der Impfstoffbeschaffung in der EU. Kommission, mehrere Mitgliedsstaaten und der türkise EU-Budgetkommissar Johannes Hahn wiesen dies zurück.
Foto: AP / John Thys

Der Impfstoffbasarsager von Kanzler Sebastian Kurz wurde vor allem deshalb von den Brüsseler Behörden und der Mehrzahl der Mitgliedsstaaten schroff zurückgewiesen, weil ja Österreich die Art und Weise der Impfdosenverteilung in jedem Schritt mitbeschlossen hatte und noch dazu mehr Dosen hätte erhalten können, aber darauf verzichtet hatte.

Leider muss man aber auch feststellen, dass die Kritik der österreichischen Bundesregierung in Brüssel wieder einmal auch bestehende Vorurteile gegenüber unserem Land befeuert hat. Sie wurde teilweise als Bestätigung dafür verstanden, dass Österreich – wie man landläufig zu sagen pflegt – auf dem Balkan liegt. Der Balkan beginnt demnach nicht, wie es in Wien immer geheißen hat, am Rennweg, sondern unser Land wird in Brüssel als "balkanisch" apostrophiert. Dies deshalb, weil Österreich nicht immer als verlässlicher Partner gilt, manchmal etwas schlitzohrig zu sein scheint und auch bei der Korruptionsbekämpfung nicht gerade ein Vorbild ist.

Da werden auch Erlebnisse aus der Vergangenheit wachgerufen, und "die Brüsseler" haben diesbezüglich ein Elefantengedächtnis.

Purer Egoismus

Vor der Impfstoffdebatte, in der jetzt von den übrigen Mitgliedsstaaten Solidarität abverlangt wird, war Österreich Mitglied der "frugalen vier", und diese haben gegenüber den wirtschaftlich geschwächten Ländern puren Egoismus gezeigt. Sie haben verlangt, dass es im Rahmen des Recovery-Programms keine Zuschüsse geben dürfe, obwohl jeder wusste, dass nur Zuschüsse die gewünschten positiven wirtschaftlichen Effekte haben würden, weil ohnedies mehr als genug Kreditfazilitäten auf dem Markt waren. Das primäre österreichische Interesse, nämlich einen möglichst großen Rabatt für unser Land herauszuverhandeln, hat man nur zwischen den Zeilen der Positionspapiere lesen können.

Damit kein Missverständnis entsteht: Es ist das gute Recht eines jeden Mitgliedslandes, nationale Interessen in europäische Verhandlungen einzubringen, aber es ist auch das gute Recht der EU-Organe, zu verlangen, dass die Interessenabwägungen auf Basis objektiver Daten, transparent und ohne Untergriffe erfolgen.

Rechter Rand

Oder der Umgang der österreichischen Bundesregierung mit dem Flüchtlings- und Migrantenthema: Da hat man die längste Zeit so getan, als ob eine Überflutung Österreichs mit Migranten drohe, obwohl man sich vorher mit dem Schließen der Balkanroute gerühmt hatte und die Zahl der Migranten über zehn Jahre hinweg ständig zurückging. Dass der Rückgang hauptsächlich auf den von Angela Merkel ausgehandelten Deal mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan zurückzuführen war, davon war in Österreich nur selten die Rede.

Genauso hat in Brüssel einige Verwunderung ausgelöst, dass sich Österreich strikt weigert, auch nur ein einziges Kind aus Lesbos einreisen zu lassen. Offenkundig ist es wichtiger, am rechten Rand Stimmen zu sammeln als Humanität zu üben. In Brüssel wird auch die österreichische Ansage, dass man vor Ort helfen müsse, zwiespältig gesehen, weil Österreich im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten bei der Hilfe ziemlich knausrig ist. Dasselbe gilt übrigens auch für unser Verhalten in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.

Die Langsamsten

Ein anderes Beispiel, das schon zu Beginn unserer EU-Mitgliedschaft für Verwunderung sorgte, war die Beschickung der EU-Organe mit österreichischen Beamten und Experten. Im Vergleich zu Schweden und Finnland waren wir immer die Langsamsten, wenn es darum ging, insbesondere in der Kommission, Posten zu besetzen. Zusätzlich hat man vonseiten der Regierung den Leuten, die bereit waren, nach Brüssel zu gehen, eher Schwierigkeiten gemacht, als sie bei ihrem Vorhaben zu unterstützen.

Wen wundert es daher, wenn wir heute noch bei der Besetzung von Spitzenpositionen im Nachteil sind.

Doch diese Tatsache führte nicht dazu, Anstrengungen zu unternehmen und die eigene Personalpolitik zu ändern, sondern lediglich zu einem periodischen Jammern, dass wir bei Postenbesetzungen schlecht behandelt würden.

Keine Extrawürste

Das Hauptproblem Österreichs besteht jedoch am Ende wohl darin, dass wir der irrigen Meinung sind, weil wir so nett, fesch und sympathisch sind, werden für uns in Brüssel Extrawürste gebraten. Zudem sind wir noch enorm liebesbedürftig und sehr empfindlich gegenüber Kritik. Wenn wir dann gelegentlich merken, dass wir von Brüssel genauso behandelt werden wie die anderen 26 Mitglieder, dann ziehen wir uns auf unsere Insel zurück und schmollen.

Wir haben ja in der Zwischenzeit völlig verinnerlicht, dass immer, wenn etwas nicht unseren Vorstellungen entspricht, "Brüssel" schuld ist und nie wir selbst. Statt im Schmollwinkel zu verharren, sollte Österreich in einigen Dingen sein Verhalten ändern und sich einige Dinge zu Herzen nehmen.

"Wo sind heute noch österreichische Initiativen, um Europa voranzubringen?"

Es ist nämlich eine gewisse Halbherzigkeit, die für das Verhältnis zwischen Brüssel und Österreich typisch geworden ist. Was wieder gefragt wäre, ist Engagement, wenn es darum geht, unseren Kontinent erfolgreich durch das 21. Jahrhundert zu begleiten. Wo sind heute noch österreichische Initiativen anzutreffen, wie sie früher einmal von Leuten wie Alois Mock, Franz Vranitzky, Wolfgang Schüssel und anderen ausgegangen sind, um Europa voranzubringen?

Alte Verbindungen

Es ist die österreichische diplomatische Tradition, es sind die alten Verbindungen nach Zentral- und Osteuropa oder die Kulturdiplomatie, die zu einem wesentlichen Asset für die europäische Politik werden könnten. Es sind unsere Stärken, die wir in Sachen Nachhaltigkeit ausspielen könnten, oder unser österreichischer Weg, soziale Konflikte auszutragen.

In Brüssel wird Österreich nach wie vor als Land mit großem europapolitischem Potenzial gesehen, aber je öfter es dem nicht gerecht wird, umso mehr wird sich Brüssel von Österreich ab- und anderen Ländern zuwenden. Es liegt in unserer Hand, wie wir in Europa und der Welt gesehen werden, und nicht daran, dass Europa eine Sehschwäche hat. (Franz Fischler, 17.4.2021)