Ein Gesundheitsminister mit Ecken und Kanten – und Turnschuhen: Allgemeinmediziner Wolfgang Mückstein.

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Turnschuhe! TCM-Arzt! Politneuling! So lauteten die schnellen Ersturteile, nachdem sich Wolfgang Mückstein Dienstagnachmittag als designierter Sozial- und Gesundheitsminister der Presse vorgestellt hatte. Eine flotte Google-Suche ergab auch nicht viel mehr über den 46-jährigen Allgemeinmediziner.

Er selbst, Stiefsohn der früheren grünen Gesundheitssprecherin Eva Mückstein, stellte sich kurz und knapp so vor: "Ich bin Hausarzt in Mariahilf." Und er habe zwei schulpflichtige Töchter, erwähnte Mückstein in seiner Begründung, warum er zugestimmt habe, die Nachfolge von Rudolf Anschober anzutreten.

Dieser hatte Stunden davor seinen Rücktritt erklärt, weil er den "Mühlen" der Pandemiebekämpfung nicht mehr gewachsen war und sich nicht kaputtmachen lassen wolle.

Montagvormittag wird Mückstein also von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, dem Vernehmen nach auch er ein Patient des Allgemeinmediziners, als neuer Gesundheitsminister angelobt.

"Kantiges" Image

Was motiviert jemanden mitten in der Pandemie, mitten in einer gröberen Koalitionskrise einen der heißesten Sessel des Landes zu besetzen? Warum tut er sich das an? Echtes Interesse an sozialpolitischen Themen attestieren dem Grün-Affinen alle zehn der vom STANDARD kontaktierten Personen, die Mückstein relativ gut bis sehr gut kennen. "Durchsetzungsstark" und "kantig" sei er außerdem, sind sich die Befragten einig. Mitunter fällt auch das Wort "eitel".

Als Beispiel dient unisono sein Einsatz für die von ihm gemeinsam mit anderen betriebene Primärversorgungseinrichtung (PVE) im sechsten Wiener Gemeindebezirk. Als zwischen Bund und Ländern die Errichtung solcher PVE beschlossen wurde, suchte die damalige Wiener Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) händeringend nach Ärzten, mit denen sie das Projekt umsetzen könnte.

Innerhalb der Ärztekammer regte sich enormer Widerstand. Man fürchtete den Tod des Hausarztes, aber auch eine Schwächung der eigenen Position beim Verhandeln des Gesamtvertrags. Mückstein betrieb seit 2010 gemeinsam mit Franz Mayrhofer eine Gruppenpraxis auf der Mariahilfer Straße, gegründet hatte Mayrhofer diese bereits 1984.

Pioniergeist

Die Partner, zu denen seit 2013 auch Allgemeinmedizinerin Fabienne Lamel zählt, waren die Einzigen, die gemeinsam mit Stadt und Sozialversicherung die Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Berufsgruppen suchen sowie verlängerte Öffnungszeiten und medizinische Schwerpunkte unter einem Dach anbieten wollten.

Ab 2015 war es dann so weit. "Er hat Pioniergeist gezeigt", sagt der SPÖ-Bezirksrat Roland König, der damals im Büro von Wehsely arbeitete. "Auch gegen den Widerstand der eigenen Kammer." In der Gemeinde Wien sowie bei Beamten der Sozialversicherung gilt Mückstein seither als loyaler Partner, etwas, das ihm nun als Minister nützen könnte.

Was das damalige Engagement auch zeigt: "Wenn er sich in Bewegung setzt, bringt er einiges an Energie für seine Anliegen auf", formuliert es einer, der die PVE-Gründung aus nächster Nähe miterlebt hat. "Beharrlich", "ehrgeizig" und wohl auch ein wenig intensiv lautet eine weitere Leseart.

Mehrheiten mit anderen Fraktionen

Mückstein hat aber auch gelernt, sich für die Interessen anderer einzusetzen – etwa als Vorstand der Grünen Ärztinnen und Ärzte sowie zwölf Jahre lang als Mandatar für Allgemeinmedizin in der Wiener Kammer. Dort versuchte er erstmals Mehrheiten mit anderen Fraktionen zu finden – etwa als es darum ging, den roten Thomas Szekeres in der mehrheitlich ÖVP-dominierten Kammer zum Präsidenten zu machen.

"Wolfgang ist nicht auf den Mund gefallen, ein kluger Kopf mit hoher sozialer Intelligenz, der überzeugen kann", sagt der Mediziner Reinhard Dörflinger, der mit ihm im Vorstand der grünen Fraktion sitzt.

Als ÖVP und Grüne einander im Bund näher kamen, war es folglich Mückstein, der an den Kapiteln Gesundheit und Soziales im Regierungsprogramm mitschreiben durfte. Dass er all die großen Vorhaben von Pflege- bis Pensionsreform im realpolitisch schwach ausgestatteten Megaressort dereinst selbst einmal durchsetzen soll, war damals ja noch nicht absehbar.

Feuerprobe

Also, kann er das jetzt oder nicht? Mehr als 1000 Beamtinnen und Beamte zu führen wird jedenfalls nicht mehr so kollegial ablaufen können wie in der Ordi. Den Koalitionspartner und die Länderchefs in ihre Schranken weisen? Da steht die erste Feuerprobe mit den für Montag geplanten Öffnungen im Burgenland bereits an.

Und was hilft ihm sein medizinisches Wissen? Damit ist er noch lange kein Tierschutz- oder Konsumentenschutzexperte, beides künftig in seiner Zuständigkeit. Mückstein wird sich wohl gute Berater suchen. Manche hoffen auf bessere als die, die Anschober hatte.

Jedenfalls über Kompetenz verfügt der Neue im Bereich Soziales: 2008 war er als mobiler Arzt des Vereins Neunerhaus unterwegs, seither hat er die Sozialorganisation für obdachlose und armutsgefährdete Menschen immer wieder bei der Umsetzung eines Gesundheitszentrums für wohnungslose oder nicht versicherte Menschen beraten. Inklusive Gesundheitsversorgung ist also ein Thema, das den Neo-Minister beschäftigt.

Vorerst bleibt aber die Pandemie Thema Nummer eins. Und da hat sich Mückstein bereits skeptisch gegenüber regionalen Maßnahmen und als dezidierter Impfbefürworter gezeigt. Letzteres ist insofern auch interessant, als es in völligem Widerspruch zur Lehre der Traditionellen Chinesischen Medizin steht.

Was sich auf der privaten Seite trotz sofortigen Dezenzgebots für echte und virtuelle Freunde (Facebook-Sperre) ausfindig machen ließ: Mückstein radelt gern und läuft Marathon. Ob er heute noch raucht, da waren sich unsere Gesprächspartner nicht ganz sicher. (Eja Kapeller, Karin Riss, 17.4.2021)