In der Aula der Akademie der Wissenschaften in Wien wurde am Freitag der inzwischen beinahe 10.000 Corona-Toten in Österreich gedacht.

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Nach langen Monaten der Lockdowns und Einschränkungen stehen Österreich nun offenbar bald freiere Zeiten ins Haus. Mitte Mai werde es einen "ersten Öffnungsschritt" geben, erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Freitagnachmittag – und zwar "in allen Bereichen gleichzeitig, in Kultur, Sport, Gastronomie und Tourismus". Diese Einrichtungen hätten "leider Gottes viel zu lange geschlossen gehabt", obwohl diese "für unsere Identität, unser Lebensgefühl und unsere Arbeitsplätze zentral" seien.

Einen konkreten Zeitplan nannte weder er noch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und der Vizerektor der Med-Uni Wien, Oswald Wagner, bei dem Pressetermin, der nach Beratungen des Bundes mit Landeshauptleuten sowie Expertinnen und Experten stattfand. Kommende Woche, also ab Montag, werde ein Detailplan erstellt, mit je nach Bereichen unterschiedlichen Sicherheitskonzepten.

Masken, Abstand, Tests

Eine Hauptrolle in den Konzepten werden Masken, Abstandsregeln, Tests sowie der grüne Pass, mit dem Geimpfte, Genesene und Getestete identifiziert werden können, spielen. In Kultureinrichtungen soll es Zuschauerhöchst- und Quadratmetermindestzahlen geben, präzisierte Kogler.

Konzepte für Öffnungen in diversen Bereichen existierten bereits, etwa jene aus dem vergangenen Jahr für die Wiener Freibäder, erklärte dazu der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) – diese müsste man aufgrund der neuen, ansteckenderen Virusvariante nur anpassen. Was immer man tun werde: "Wir müssen behutsam vorgehen und vorsichtige Schritte setzen", betonte Ludwig.

Möglich sind die geplanten Liberalisierungsschritte laut Kurz und Kogler auf Basis der "stabilen Infektionslage" mit Hinweisen auf einen weiteren Rückgang der Inzidenzen in allen Bundesländern außer Vorarlberg.

Dass sich die Situation trotz Verzichts auf einen bundesweiten dritten Lockdown positiv entwickelt habe, sei der FFP2-Masken-Pflicht und den Massentests zu verdanken: "Ich bin froh, dass die, die einen Weltuntergang vorhergesagt haben, nicht recht hatten" – und dass sich sechs der neun Länder weitere Schul- und Handelsschließungen erspart hätten, sagte der Kanzler.

Hochinzidenzgebiete aussparen

Die Innsbrucker Virologin Dorothee von Laer hält die österreichweit synchrone Öffnung der Branchen in Grundzügen für richtig, wie sie dem STANDARD sagt. Allerdings mit Einschränkungen: "Hochinzidenzgebiete sollte man weiterhin aussparen."

Von Öffnungen absehen sollte man zudem in Gebieten, in denen immunevasive Virusvarianten grassieren – also solche, die sich dem Impfschutz in beträchtlichem Maße entziehen. Das gilt vor allem für die Mutation E484K in Kombination mit der britischen Variante B.1.1.7, die in einigen Bezirken Tirols kursiert.

Um deren Verbreitung einzudämmen, müsse man in Tirol – selbst wenn die gesamte Corona-Inzidenz auf niedrigem Niveau ist – mancherorts "eine Extrameile gehen" und Öffnungen womöglich hintanstellen, sagt von Laer.

Große Hoffnungen setzen Kurz und Kogler in die Impfkampagne, die ab Mai in allen Bundesländern an Fahrt aufnehmen soll, sodass unter anderem auch Polizistinnen und Polizisten schwerpunktmäßig immunisiert werden können.

Der Umstand, dass in dem von der südafrikanischen Coronavirus-Mutation betroffenen Tiroler Bezirk Schwaz nach Durchimpfung der Bevölkerung die Sieben-Tage-Inzidenz auf unter 60 gefallen sei – im Bundesdurchschnitt beträgt sie derzeit 198,7 –, zeige, dass eine großflächige Impfaktion hervorragend wirke.

Unterschiedliche Signale

Der Kanzler kam auch auf die, wie er erneut betonte, "zusätzliche" Million Biontech/Pfizer-Impfstoff zu sprechen, die Österreich erhalte. Die Opposition hatte sich an dem Begriff gestoßen, die Lieferung sei schon länger vereinbart. "Zusätzlich" sei die Lieferung insofern, als sie aus dem vierten ins zweite Quartal vorgezogen worden sei, versuchte sich Vizekanzler Kogler hier als Übersetzer.

Vor den Beratungen der Bundesregierung mit den Landeshauptleuten waren aus den Bundesländern höchst unterschiedliche Signale zum bevorzugten weiteren Vorgehen zu vernehmen gewesen. In Vorarlberg, das bereits vor einem Monat sogar die Indoor-Gastronomie geöffnet hat, will man den Status als Modellregion so lange wie möglich beibehalten. Laut den Daten der Ampelkommission, die am Donnerstag tagte, ist das Ländle derzeit die einzige Region, die den Höhepunkt der dritten Corona-Welle noch nicht überschritten hat.

Drängen auf Öffnungsschritte

Das Nachbarland Tirol drängte auf baldige Öffnungsschritte. Es sei "entscheidend", dass es zu solchen Maßnahmen komme, auch damit sich der Wirtschaftsstandort Tirol erholen könne, erklärte Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) in Innsbruck. Und auch in Kärnten gab man sich optimistisch, zeitnah Lockerungen umsetzen zu können. Salzburgs türkiser Landeschef Wilfried Haslauer befürwortete ebenso Öffnungsschritte – jedoch nur für den Fall, dass sie "wissenschaftlich und virologisch vertretbar" seien.

Ein bundesweit einheitliches Vorgehen wünschten sich Stadtchef Ludwig und Oberösterreichs Landeschef Thomas Stelzer (ÖVP). Ihre Regionen stehen allerdings vor grundlegend unterschiedlichen Situationen: Während in Oberösterreich wie im großen Rest des Landes derzeit Handel und Dienstleister geöffnet, die Gastronomie geschlossen ist, ist in Wien alles zu.

Tatsächlich könnten bundesweit einheitliche Anti-Corona-Maßnahmen jedoch einigen Kontrolldruck aus der aktuellen Lage nehmen. So etwa im Osten. Dort verharren Wien und Niederösterreich bis 2. Mai im Lockdown. Das Burgenland hingegen wird am Montag aus dem konzertierten Vorgehen der Ostregion ausscheren und Schulen, körpernahe Dienstleister und Handel wieder öffnen.

Polizeikontrollen im Burgenland

Die Polizei hat diesbezüglich angekündigt, verstärkt bei burgenländischen Einkaufszentren – rund um das Outletcenter Parndorf wohl besonders – zu kontrollieren. Wienern und Niederösterreichern drohen Anzeigen bei der Gesundheitsbehörde sowie der Bezirkshauptmannschaft und Strafen in der Höhe von bis zu 1.450 Euro, sollten sie ihre 24-stündigen Ausgangsbeschränkungen ohne Ausnahmegrund brechen.

An den Neusiedler See dürfen freilich alle. Das gehört zu den Ausnahmen der Ausgangsbeschränkungen. Zwischendurch zum Friseur – das ist Wienern und Niederösterreichern verboten. Burgenländer brauchen dafür ab Montag einen negativen Corona-Test.

An die bis Freitag 9.843 gezählten Corona-Toten in Österreich hatte die Staatsspitze bei einem Gedenkakt in der Aula der Wissenschaften am Vormittag erinnert. Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Kurz bezeugten – namens der Republik – den Hinterbliebenen ihr Mitgefühl und dankten dem medizinischen und Pflegepersonal für ihren "fast schon übermenschlichen" Einsatz in der Pandemie.

Van der Bellen hob die "tiefe menschliche Weisheit" hervor, die hinter der Unwiderruflichkeit des Todes steht: "Das Leben ist wertvoll. Unendlich wertvoll", sagte er. Neben dem persönlichen Leid habe Corona auch tiefe Gräben in der Gesellschaft gerissen, die es nun zu überwinden gelte, sagte Kurz. (Theo Anders, Irene Brickner, Vanessa Gaigg, Oona Kroisleitner, Wolfgang Weisgram, 17.4.2021)