Will in Wien "Dinge sagen, wie sie sind", und sich nicht wegducken: der Ökonom Gabriel Felbermayr.

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Der 45-jährige Gabriel Felbermayr hat eine beachtliche Karriere als Forscher hinter sich. Der künftige Chef des österreichischen Forschungsinstituts Wifo, der gern pointiert formuliert, hat vor allem zu Globalisierungsfragen geforscht. Er gilt als Verfechter eines schlanken Staates und hat zuletzt in Deutschland die vielkritisierte Schuldenbremse verteidigt.

STANDARD: Kritische Stimmen sagen, Sie werden der wirtschaftsliberalste Chef, den das Wifo bisher hatte.

Felbermayr: Ich bin kein Dogmatiker. Die Welt ist verdammt komplex geworden, da kommt man mit holzschnittartiger Analyse nicht weiter. Zum Beispiel wird behauptet, marktliberale Ökonomen wären der Ansicht, die Klimakrise ließe sich allein mit einem CO2-Preis in den Griff bekommen. Dem ist nicht so. Wir werden Subventionen brauchen, wir werden mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung brauchen. Der Staat wird bei Komplementärinvestitionen benötigt: Wir können nicht von Unternehmen erwarten, dass sie neue E-Autos bauen, wenn es keine Ladeinfrastruktur gibt und die Netze jeden Abend zusammenbrechen, wenn die Menschen ihre Autos einstöpseln.

STANDARD: Bleiben wir bei der Rolle des Staates. In Steyr kämpft die MAN-Niederlassung ums Überleben. Die SPÖ schlägt vor, der Staat soll beim Betrieb einsteigen. Wäre das sinnvoll? Die öffentliche Hand könnte im Betrieb den Klimaschutz vorantreiben.

Felbermayr: Der Staat muss die Rahmenbedingungen möglichst attraktiv machen für die Art von Mobilität, die zukunftskompatibel ist. Diesel verbrennen muss teurer werden, das ist klar. Aber MAN ist schon teilverstaatlicht: Der niedersächsische Ministerpräsident sitzt beim Mutterkonzern VW mit an Bord, das Land ist dort mit 11,8 Prozent beteiligt. Und genau das ist Teil des Problems vom Standort Steyr.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Felbermayr: Wenn Anpassungen notwendig sind bei einem Konzern, der von der deutschen Politik maßgeblich mitbestimmt wird, dann ist die Gefahr groß, dass die Anpassungen zuletzt in Niedersachsen oder München stattfinden. Das ist ein wenig das Schicksal des österreichischen Wirtschaftsstandorts. Wenn MAN wirklich eine Zukunft haben kann, ist die relevante Frage: Wieso gibt es abseits von Siegfried Wolf kein Interesse von privaten Investoren? Offenbar sind private Geldgeber nicht bereit, hier ins Risiko zu gehen. Wenn sich Geld verdienen ließe, würden sie Schlange stehen. Jetzt zu sagen, "Okay, dann soll der Staat einsteigen", scheint mir eine riskante Wette zu sein mit hohem Potenzial für ein Scheitern.

STANDARD: Die klassische Autoindustrie war in Europa lange nicht bereit, Verbrenner aufzugeben, obwohl das für den Klimaschutz notwendig wäre. Kann das die Industrie allein?

Felbermayr: Wir haben in Deutschland die CO2-Bepreisung im Verkehr am 1. 1. 2021 eingeführt. Die Weichenstellungen, um der Industrie klare Leitplanken aufzuzeigen, wie es weitergehen soll, die sind ganz jung. Der Staat soll sich nicht wundern, dass die Industrie lange braucht, wenn er selbst langsam ist.

STANDARD: Die Regeln fallen doch nicht vom Himmel. Die Autoindustrie ist eine der einflussreichsten Lobbykräfte in Deutschland.

Felbermayr: Klar ist das so. Aber da helfen Verstaatlichungen sicher nicht. Trotz der staatlichen Beteiligung bei VW ist der Dieselskandal passiert. Ich sehe im großindustriellen Bereich kein Beispiel dafür, dass ein staatliches Engagement die Dekarbonisierung beschleunigt hätte. Sehen Sie sich nur einmal die französischen Unternehmen an, an denen der Staat beteiligt ist: Der Staat streicht die Dividende des Gaskonzerns Gas de France ein. Der französische Finanzminister sagt: Ich bin doch nicht verrückt und stelle mir meine Cashcow ab.

Der VW-Konzern in Wolfsburg kann seinen Einfluss auch in der Politik nutzen.
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STANDARD: Einen anderen Vorschlag für die Ökologisierung unterstützen Sie: Sie fordern einen Klimazoll. Wie soll dieser aussehen?

Felbermayr: Was mir vorschwebt, ist es, einen Klimaklub zu gründen. Damit ist gemeint, dass sich die EU vordringlich mit dem Vereinigten Königreich, der Schweiz und hoffentlich den USA zusammentut, um einen CO2-Mindestpreis zu vereinbaren. Die Tonne CO2 kostet im Jahr 2023 dann 50 Euro, im Jahr danach fünf Euro mehr und so weiter. Die Länder, die unter sich so einen Mindestpreis vereinbaren, verzichten auf jede Grenzausgleichsmaßnahme. Aber gegenüber allen übrigen Staaten wird ein Klimabeitrag erhoben. Wird also chinesischer Stahl in die EU eingeführt, muss der Exporteur eine Abgabe in der Höhe abführen, die anfallen würde, wenn ein europäischer Erzeuger den Stahl hergestellt hätte.

STANDARD: Was ist der Charme hinter dem Vorschlag?

Felbermayr: Wenn dieses Unternehmen aus China nach Europa exportiert, wird der Ausgleich an der Grenze fällig: Die Mittel landen in Europa. Würde China einen CO2-Preis einführen, könnte das Geld dortbleiben. Somit besteht ein Anreiz, dem Klub beizutreten und selbst eine Klimaabgabe einzuführen. Dann kann jeder Grenzausgleich entfallen. Die Klimaklub-Idee, allerdings mit Strafzoll statt Grenzausgleich, geht übrigens auf den Ökonomienobelpreisträger William Nordhaus zurück.

STANDARD: Sie haben vor allem zu einem Aspekt der Idee, dem "Carbon-Leakage", viel geforscht.

Felbermayr: Unter "Leakage" ist gemeint, dass Emissionen, die wir im Inland unter Anstrengungen einsparen, im Ausland neu aufpoppen. Wenn wir die Linzer Stahlindustrie dichtmachen und dafür Stahl aus der Ukraine importieren, dann würden die Emissionen in Österreich sinken, global aber steigen, weil Stahl in der Ukraine schmutziger erzeugt wird. In meiner Forschung habe ich nach Belegen für diesen Leakage gesucht. Bei dem niedrigen CO2-Preis, den wir lange hatten, war das nur mit der Lupe zu finden. Wenn der Preis steigt, werden wir mehr Leakage sehen, und Verlagerungen werden interessanter.

STANDARD: Würde dieser Klimazoll für alle Produkte kommen, Stahl aus der Ukraine und Zwiebeln aus Peru?

Felbermayr: In der Theorie sollte das so sein, sogar für Dienstleistungen. In der Realität ist das aber nicht umsetzbar. So lässt sich schwer eruieren, wie hoch der wahre CO2-Gehalt vieler Waren ist. Damit wäre eine enorme Bürokratie verbunden. Deswegen sollten im ersten Schritt nur jene Güter erfasst werden, die in der Herstellung CO2-intensiv sind, also Stahl, Zement, elektrischer Strom, Aluminium, aber noch nicht Autos oder Zwiebeln. Wenn man die großen Blöcke erfasst hat, hat man 75 Prozent der Emissionen, die im internationalen Handel stecken, einen Preis gegeben. Der Transportsektor wäre dann auch noch wichtig.

STANDARD: Ist die Umsetzung realistisch? Die EU als große Exportregion fürchtet sich ja davor, das Wort Zoll zu offensiv in den Mund zu nehmen.

Felbermay: Ich nehme das Wort auch nicht gern in den Mund. Mit einem Zoll will der Staat ausländische Anbieter diskriminieren. Wir haben in Europa einen Importzoll auf Autos von zehn Prozent, damit haben eingeführte Autos einen sehr deutlichen Kostennachteil. Ein Grenzausgleich diskriminiert aber gerade nicht, er sorgt dafür, dass CO2-Emissionen im In- und Ausland gleichviel kosten.

STANDARD: Wofür sollten die Einnahmen des Zolls verwendet werden?

Felbermayr: Da haben wir unendlich viel Fantasie. Etwa für die Förderung von grünem Strom.

STANDARD: Die Corona-Krise hat die staatlichen Schulden hochgetrieben. Bleibt künftig überhaupt Spielraum, um grüne Investitionen zu bezahlen?

Felbermayr: Die Krise ist insofern in einem günstigen Augenblick entstanden, als wir uns zusätzlich verschulden können, ohne dass die Zinskosten für das Budget insgesamt steigen, weil die Zinsen aktuell so niedrig sind. Daher ist realistisch, dass wir aus den Schulden zum Teil herauswachsen. Klar ist, dass es nicht mit dem gleichen Tempo bei der Neuverschuldung weitergehen kann. Wir müssen zu einem normalen Budget zurückkehren.

STANDARD: Es gibt Rufe, Vermögenssteuern zu erheben, um etwa Klimainvestitionen zu finanzieren.

Felbermayr: Das wird auch ohne Vermögensabgaben gehen. Wir können Strom- und Ladenetze ohne neue Steuern ausbauen. Österreich hat mit der Autobahnbetreibergesellschaft Asfinag ein super Beispiel, wie das gehen kann. Wieso nicht eine Bundesgesellschaft gründen, die sich verschulden darf, um Ladesäulen zu errichten? Das ist öffentliche Infrastruktur, dafür staatliches Geld auszugeben, finden alle Ökonomen richtig. Man müsste Benützungsentgelte einheben, das muss sich selbst finanzieren. Ich bin keiner, der sagt, wir dürfen keine Schulden machen. Dort, wo sie für Investitionen eingesetzt werden, machen Schulden Sinn. Derzeit liegen die Zinsen bei null, da rentieren sich Investitionen schnell. Wir dürfen den mühsam gefundenen sozialpolitischen Kompromiss nicht mit der Keule zerschlagen.

STANDARD: Zum Schluss zum Wifo. Wie wollen Sie ihre Zeit dort anlegen? Angesichts der großen staatlichen Interventionen ist fundierte Kritik an Regierungsmaßnahmen extrem wichtig. Zugleich hängt das Wifo von öffentlichen Aufträgen ab. Geht sich das aus?

Felbermayr: Es ist absolut meine Zielsetzung zu informieren und Dinge zu sagen, wie sie sind. Ich gehe auch unter diesen Vorzeichen nach Wien. Ich habe außerdem nicht den Eindruck, dass sich mein Kollegen Martin Kocher als Chef des IHS oder Christoph Badelt am Wifo verbogen haben.

STANDARD: Manchmal wären mehr kritische Stimmen gut gewesen: Zum Beispiel dazu, ob die Ausgestaltung der Unternehmenshilfen nicht falsche Anreize geboten hat. Kocher ist dann auch in die Regierung gewechselt. Würde er der ÖVP nicht nahestehen, wäre sich das nicht ausgegangen.

Felbermayr: Zu den Unternehmenshilfen habe ich eine relativ klare Ansicht, die ich auch in Medien kundgetan habe und auch dem Finanzministerium kommuniziert habe. Für die Stabilisierung zu zahlen, war richtig, im Detail wurden aber viele Fehler gemacht. Ich glaube aber nicht, dass sich die Politik wünscht, dass da einer kommt, der sich ängstlich wegduckt. Jedenfalls wissen alle, was sie kriegen an mir. (András Szigetvari, 17.4.2021)