Wichtiger Protest oder doch mehr PR? Österreichs Fußballnationalmannschaft vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Dänemark.

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Der Politikwissenschafter und Chefredakteur des Fußballmagazins "Ballesterer", Jakob Rosenberg, und Journalistin Nicole Selmer fordern im Gastbeitrag konkretere Protestaktionen gegen das Regime in Katar.

"Menschenrechte schützen", stand auf dem Transparent, das die Fußballer des Nationalteams vor dem Match gegen Dänemark am 31. März zeigten. Darauf stand nicht, an wen sich dieser Appell richtete. War es ein Appell an die EU, die menschenverachtende Unterbringung von Flüchtlingen zu beenden, an die ungarische Regierung, die Presse unabhängig arbeiten zu lassen, oder an die belarussische, Regimegegner nicht zu verhaften? Ähnlich generische Botschaften verbreiteten die Teams aus Dänemark, Deutschland und den Niederlanden bei ihren Qualifikationsspielen für die WM 2022. In der Öffentlichkeit ist auch ohne Adressat klar, dass nicht Moria, Ungarn oder Belarus gemeint sind, sondern Katar, das Ausrichterland der WM.

Fehler mit Folgen

Das ist ein erster Erfolg der Proteste von Gewerkschaften, NGOs und Fans. Wenn es im Fußball derzeit um Menschenrechtsverletzungen geht, geht es um Katar. Das Emirat hat keine demokratischen Strukturen, Frauen werden systematisch unterdrückt, Homosexualität ist verboten. Dazu kommen die miserablen Arbeitsbedingungen, die an feudale Zwänge erinnern.

Die WM in Katar steht in der Tradition anderer Sportevents. Sie dienen den Veranstaltern zur Inszenierung der eigenen Größe – und bieten sozialem, zivilgesellschaftlichem und staatlichem Protest eine Bühne. Das gilt für die Umsiedlung indigener Dörfer bei der WM 2014 in Brasilien ebenso wie für den Ausnahmezustand bei der EM in Frankreich 2016 und die Diskriminierung Homosexueller bei der WM in Russland 2018. Zuletzt wurden auch in den USA Stimmen laut, die aufgrund der Verfolgung der Uiguren einen Boykott der Olympischen Winterspiele 2022 in China forderten. Das Weiße Haus ruderte zwar schnell zurück, die außenpolitische Debatte dient aber zur innenpolitischen Unterscheidung zwischen Demokraten und Republikanern.

Starke Geste und vage Botschaft

Die Sportwelt tut sich mit diesen Auseinandersetzungen schwer. Das Nebeneinander von starker Geste und vager Botschaft wie im Fall Katar ist typisch. Egal ob man ÖFB-Präsident Leo Windtner, den deutschen Teamspieler Joshua Kimmich oder den norwegischen Teamchef Ståle Solbakken fragt – darauf, dass die Vergabe der WM an Katar ein Fehler war, können sich alle einigen. Doch was folgt daraus? Zumindest jetzt erkennen, dass ein Boykott die einzig richtige Antwort ist, wie es einige norwegische Erstligisten und ihre Fans fordern? Dafür sei man zehn Jahre zu spät dran, meint Kimmich. Und auch Windtner will nicht boykottieren, denn das werde die Situation nicht verbessern, sagt er. Der ÖFB wolle die Chance nutzen, die Aufmerksamkeit auf Menschenrechtsverletzungen zu richten.

Aus der Debatte über Katar ist mittlerweile auch eine Debatte über die Debatte geworden. Sind Protestgesten mehr als Lippenbekenntnisse, wenn niemand bezweifelt, dass das Turnier in Katar stattfinden wird? Sind Profis des FC Bayern München, der sich von Katar sponsern lässt, Heuchler, wenn sie Kritik äußern? Und bringt ein Boykott – ob sportlich, wirtschaftlich oder diplomatisch – überhaupt irgendetwas?

Die unterstellte Zahnlosigkeit von Boykotten im Sport wird von der Geschichte sowohl bestätigt als auch revidiert. Bei den Olympischen Spielen 1964 und der Qualifikation für die Fußball-WM 1966 protestierten die afrikanischen Länder gegen ihre schlechte Behandlung und die Teilnahme des Apartheidstaats Südafrika. Vier Jahre später war Südafrika suspendiert, der afrikanische Verband erhielt zudem erstmals einen fixen WM-Startplatz. Die wechselseitigen Boykotte zwischen den USA und der Sowjetunion bei den Olympischen Spielen 1980 und 1984 hingegen bleiben als das in Erinnerung, was sie von Anfang an waren: Ersatzdiplomatie. Dass die Sowjetunion den Krieg in Afghanistan überdenken würde, weil Carl Lewis nicht zum 100-Meter-Lauf in Moskau antrat, war nie zu erwarten.

Was die Geschichte ebenfalls zeigt, ist, dass der Glaube von ÖFB-Präsident Windtner, mit dem Eventscheinwerfer in die dunklen Ecken von Autokratien leuchten zu können, richtig ist. Und falsch. Ohne die WM-Vergabe und die folgende öffentliche Kritik hätte es in Katar wohl gar keine Reformen gegeben. Doch häufig bleibt diese Hebelwirkung aus. So war es bei Olympia 2008 in Peking, den Formel-1-Rennen in Aserbaidschan und der Fußball-WM in Russland.

Klare Ziele

Die Debatte über Katar wird nicht vorankommen, solange sie bei der Frage nach einem Boykott verharrt. Statt um das Mittel muss es um den Zweck gehen: Soll die Fifa reformiert werden, damit ihre Funktionäre sich nicht mehr von reichen Regimen kaufen lassen? Sollen sich die Verhältnisse in Katar ändern? Will ich als Fan, Unternehmen oder Verband etwas mit dieser WM zu tun haben? An diesen Fragen müssen sich Protestaktionen ausrichten, die es zu setzen gilt. In Dänemark hat eine Gewerkschaftsbank eine Antwort gefunden: Sie steigt aus dem Sponsoring des Nationalteams aus.

Um Forderungen an klar benannte Adressaten zu richten, braucht es auch Klarheit über die eigenen Beweggründe. Sind die Protestnoten die Begleitmusik eines Handelskriegs? Soll ein kritisches Transparent einfach für gute PR sorgen? Ist es ein Einknicken vor öffentlichem Druck? Eine Entlastungsgeste, um 2022 sagen zu können, man habe ja eh etwas getan? Oder besteht ein genuines Interesse, die Situation zu verbessern? Letzteres gilt zumindest für diejenigen, die den Protest gegen Katar auf die große Bühne gebracht haben: Er ist kein Mittel der Diplomatie von oben, sondern von NGOs und Gewerkschaften, die ihre Arbeit machen, und Fußballfans, die nicht wollen, dass ihr Sport ausschließlich zum Geschäft wird.

Wenn sich der ÖFB und andere Verbände diesen Motiven und Zielen anschließen wollen, müssen ihre Aktionen das widerspiegeln – zum Beispiel indem sie bei den nächsten Länderspielen Transparente tragen, auf denen sie Straffreiheit für Homosexualität und die Einführung von Mindestlöhnen in Katar fordern. (Jakob Rosenberg, Nicole Selmer, 19.4.2021)