Matteo Salvini ist angeklagt – und darf sich darüber freuen.

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Im Rahmen seiner "Politik der geschlossenen Häfen" hatte Italiens damaliger Innenminister Matteo Salvini vor zwei Jahren mehrfach privaten und auch staatlichen Schiffen, die im Mittelmeer Flüchtlinge gerettet hatten, die Einfahrt in die sizilianischen Häfen verwehrt. Im Fall der Open Arms der gleichnamigen spanischen Hilfsorganisation dauert die Blockade drei Wochen – 147 Flüchtlinge waren im August 2019 von der Maßnahme betroffen. Ein Untersuchungsrichter von Palermo entschied am Samstag, dass sich der heutige Senator und Chef der rechtsnationalen Lega mit seinen Anordnungen des Amtsmissbrauchs und der Freiheitsberaubung schuldig gemacht habe und dass er sich deswegen einem Strafprozess stellen müsse.

Allerdings: Nur wenige Tage zuvor war der Staatsanwalt von Catania – keine 200 Kilometer von Palermo entfernt – im Fall des staatlichen Rettungsschiffs Gregoretti zum gegenteiligen Schluss gekommen: Salvini habe bei der Blockade der Gregoretti mit ihren 131 Flüchtlingen nur seine Pflicht als Innenminister getan, die Grenzen Italiens geschützt und im Rahmen seines Mandats der illegalen Immigration einen Riegel geschoben. Eine strafbare Handlung sei weit und breit nicht zu erkennen. Der damalige Innenminister habe außerdem einen gemeinsamen Entschluss der damaligen populistischen Regierung aus Lega und Fünf-Sterne-Protestbewegung umgesetzt und nicht allein gehandelt, erklärte der Staatsanwalt von Catania.

Politische Urteile?

Wie konnte es bei zwei weitgehend identischen Fällen zu einer diametral entgegengesetzten juristischen Würdigung kommen? Der Verdacht liegt nahe, dass bei der juristischen Beurteilung von Salvinis Schiffsblockaden auch politische Vorlieben der Richter hineingespielt haben: Die Staatsanwaltschaft von Catania gilt als eher "rechts" und hat mehrfach – aber ohne Erfolg – gegen die privaten Hilfsorganisationen ermittelt, denen sie Komplizenschaft mit den Schlepperbanden unterstellte.

Das Gericht von Palermo dagegen gilt als eher "links". Die widersprüchlichen Gerichtsentscheide der letzten Woche stellen die Unabhängigkeit der Justiz infrage und machen es Salvini leicht, das in Palermo auf ihn wartende Verfahren als "politischen Prozess" zu geißeln.

Grillini im Kreuzfeuer

Eine schlechte Figur macht bei der Aufarbeitung von Salvinis Politik der geschlossenen Häfen aber nicht nur die Justiz, sondern auch die Politik und ganz besonders die Fünf-Sterne-Bewegung. Die "Grillini" hatten Anfang 2019, als sie noch zusammen mit Salvini an der Regierung waren, im Senat gegen die Aufhebung der parlamentarischen Immunität des Lega-Chefs gestimmt und ihn vor einem Prozess im Zusammenhang mit dem ebenfalls blockierten Küstenwache-Schiff Dicotti geschützt. Kaum hatte Salvini die gemeinsame Regierung im August 2019 platzen lassen, schwenkte die Protestbewegung um und stimmte danach bei der Gregoretti und schließlich auch bei der Open Arms für die Aufhebung von Salvinis Immunität.

Widersprüchliche Urteile der Justiz und politischer Opportunismus der Parteien: Der demokratische Rechtsstaat Italiens wirkt beim Umgang mit der Causa Salvini/geschlossene Häfen überfordert. Der größte politische Nutznießer dieses Chaos ist Salvini selbst, dem während der Pandemie sein Lieblingsthema, die Immigration, abhanden gekommen war und der in den Umfragen stark zurückfiel. Nun kann er sich wieder als Retter der Nation und, wie einst Silvio Berlusconi, als Justiz-Märtyrer aufspielen. Der Prozess gegen ihn in Palermo wird am 15. September beginnen – mitten im Wahlkampf um die großen Städte Rom, Mailand, Neapel und Turin. Etwas Besseres als der Entscheid vom Samstag, ihm den Prozess zu machen, hätte Salvini nicht passieren können. (Dominik Straub aus Rom, 18.4.2021)