Es kriecht an allen Ecken und Enden ein Tierchen: Joel (Dylan O’Brien) macht sich auf den Weg zu seiner Liebsten.

Foto: Netflix

Wer jemals die Welt unter dem Vergrößerungsglas studiert hat, der weiß, dass sich hinter dem gewohnten Sichtfeld noch weitere Wirklichkeiten verbergen. Das Kino hat sich diese Elastizität von Wahrnehmungsweisen von Anfang an zunutze gemacht und damit auch dem Monströsen ein Fenster in unsere Welt geöffnet. Man denke nur an die Heerscharen von Insekten und Amphibien, die in der Zeit des Kalten Krieges über die Leinwände gekrochen sind. Tarantula (1955), der Klassiker für Arachnophobiker, sei hier stellvertretend genannt. Wer benötigt da noch außerirdisches Ungetier?

Paramount Pictures

Dieser Tradition folgend, hat US-Regisseur Michael Matthews für Love and Monsters nicht in der Ferne, sondern eher in Bodennähe nach Inspiration gesucht. In der postnuklearen Zukunft dieses kleinen, spaßigen Monsterdramas hat man zwar die Auslöschung der Menschheit durch einen Asteroiden abwenden können, allerdings kriechen und winden sich seitdem unliebsame Kreaturen über die Erde, die man in handlicher Größe gerade noch in Kauf nahm. Mutiert heißt in diesem Fall aber größer und – das wissen wir alle inzwischen genau – leider auch viel aggressiver. Wenige Menschen haben das überlebt. Sie hausen seitdem meist in unterirdischen Höhlen, das Freie sucht man nur zur Jagd.

Love and Monsters hätte man auch gut Love for Monsters nennen können. Denn die eigentlichen Stars sind die Ungeheuer, die Matthews mithilfe des Concept Artist Andrew Baker zu Leben erweckt. Diese sind immer noch genug als Kleingarten- und Meeresbewohner identifizierbar, um ihre Monstrosität mit einer Dosis Vertrautheit abzumildern.

Eklig, aber familientauglich

Matthews setzt bei den Amphibien und Insekten auf originelle Details, sei es eine zig Meter lange Klebezunge oder ein verdutzt-unfreundlicher Riesenschneckenblick. Dieser Sinn fürs Handwerkliche, für Charaktertupfer hebt den Film, den Paramount an Netflix verkaufte, von gleichförmiger Ware aus der Blockbusterwerkstatt ab. In den besten Momenten darf man sogar an alte Jules-Verne-Adaptionen denken. Trotz einer guten Portion Ekel und schleimiger Absonderungen taugt der Film als Familienunterhaltung.

Die Handlung bleibt streng generisch. Teenagerschwarm Dylan O’Brien (Maze Runner) spielt den kampfunerprobten, träumerischen Joel, der es wagt, sein Habitat zu verlassen und den Marsch zu seiner 85 Meilen fernen Jugendliebe Aimee (Jessica Henwick) anzutreten. Der Weg ans Meeresufer gerät für ihn zum Reifeprozess, bei dem er couragiertes Einschreiten und mit den Gefahren auch die veränderte Welt neu einzuschätzen lernt.

Rekurs auf die 80er-Jahre

Der kurze Schreck, nicht der konstante Nervenkitzel wird im Film großgeschrieben. Wenn es brenzlig wird, kommt immer jemand rechtzeitig zur Hilfe – Joels begabter Hund Boy oder ein Einzelgänger, der sich mit seiner Tochter durch die Wildnis schlägt. Love and Monsters hält sich in seiner Mischung aus Adrenalinstößen und dem Sinn fürs Erhabene vor allem an das Kino der 1980er-Jahre, die Stephen-King-Verfilmung Stand by Me wird sogar mit Ben E. Kings Evergreen zitiert. Ein humanoider Roboter könnte aus der Rumpelkammer von Steven Spielberg sein. Nicht alles, was monströs erscheint, ist es am Ende auch. Man muss eben doch genau hinschauen, am besten in die Augen. (Dominik Kamalzadeh, 19.4.2021)