Dominic Thiem spricht momentan über Tennis. Im Mai will er dann wieder auf dem Platz Taten setzen, sich mit der Weltklasse messen.

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Dominic Thiem bereitet sich in Traiskirchen auf sein Comeback vor. Anfang Mai will er in Madrid wieder in die Tennistour einsteigen, die persönliche Sandplatzsaison starten. Der 27-Jährige ist physisch etwas angeschlagen, zudem hinterlässt die Corona-Pandemie Spuren in der Seele. "Es will 2021 einfach nicht laufen", sagt er. Der Weltranglistenvierte hat heuer erst neun Partien absolviert (fünf Siege, vier Niederlagen). Thiem, Gewinner der US Open 2020, wirkt nachdenklich.

STANDARD: Wissen Sie noch, wann Sie Ihr letztes Tennisspiel bestritten haben?

Thiem: Das genaue Datum weiß ich nicht, es muss vier oder fünf Wochen her sein.

STANDARD: Es war am 16. März, eine 3:6-, 4:6-Auftaktniederlage gegen Lloyd Harris in Dubai.

Thiem: Dubai und Harris weiß ich noch.

STANDARD: Sie wirken angeschlagen, mussten nach Monte Carlo auch fürs Turnier in Belgrad absagen. Wie geht es Ihnen körperlich?

Thiem: Es sind kleine Problemchen, jetzt ist es das linke Knie. Im Vorjahr, während des ersten Lockdowns, habe ich das Gleiche im rechten Knie gehabt. Da war es wurscht, ich musste keine Turniere absagen, weil es keine gab. Ich hatte ewig Zeit, es auszuheilen. Es ist eine angeborene Falte in den Knien, die sich hin und wieder meldet. Jetzt bekommt die Öffentlichkeit das halt mit. Es dauert ein paar Wochen, um schmerzfrei zu sein. Mich plagt das schon seit Australien, aber es ist nur ein Wehwehchen, das heilt wieder aus.

STANDARD: Wie geht es Ihnen psychisch? Die Pandemie belastet uns alle. Sorgt Corona dafür, dass Ihnen Tennis weniger Freude bereitet, eine gewisse Entfremdung stattgefunden hat?

Thiem: Ich glaube schon, dass die Pandemie ein Zusatzteil vom Ganzen ist. Hätte ich im Vorjahr die US Open in der Normalität gewonnen, wäre es normal weitergegangen, und ich wäre vermutlich auch in dem Zustand, in dem ich mich jetzt befinde. Wenn man sein ganzes Leben seinem ganz großen Ziel hinterherläuft, ihm alles unterordnet und es dann erreicht, ist es eine Weile nicht mehr so, wie es vorher war. Das ist normal. Das Problem im Tennis ist, dass es so schnelllebig ist und Woche für Woche weitergeht.

STANDARD: Das ist aber im Moment zumindest für Sie nicht so, es ist eher entschleunigt. Es wird in leeren Stadien gespielt. Novak Djokovic und Rafael Nadal sagten dieser Tage beim Sandplatzklassiker in Monte Carlo, es sei schwierig, sich zu motivieren, es fehle der Applaus, eine Form von Bedeutungslosigkeit sei nicht zu leugnen. Beide sind frühzeitig gescheitert.

Thiem: Das ist sicher so. Aber abgesehen von der Tatsache, dass keine Zuschauer da sind, ist die Tour relativ normal weitergegangen. Man hat keine Zeit, den Sieg aufzuarbeiten. Wenn man nicht zu hundert Prozent fit ist, hat man verloren. Bei mir war das heuer bei den Australian Open und vor allem in Doha und in Dubai der Fall. Die Gegner sind viel zu stark, das Niveau ist zu hoch, da verlierst du in der ersten oder zweiten Runde. Da ist es gescheiter, wenn du dich rausnimmst. Du sollst erst zurückkommen, wenn es Sinn macht. Wäre ich mit Knieschmerzen nach Belgrad gefahren, hätte ich wieder in der ersten Runde verloren. Und dann steckst du mitten drin im Negativstrudel. Das muss ich vermeiden. Also bleibe ich besser daheim. Ich bin nicht der Erste und auch nicht der Letzte, der das so handhabt.

STANDARD: Aber stellt sich nicht doch, von der Verletzung abgesehen, die Sinnfrage? Sie üben Ihren Beruf ja nicht aus, um Ihr Können unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu zeigen. Das war zuletzt in der Kindheit so.

Thiem: Es fallen Riesenteile weg. Corona hat die schönen Sachen genommen, vom Reisen angefangen, das freie Bewegen. Die schlechten Sachen bleiben. Es ist schwierig, Woche für Woche unter diesen Umständen durchzuspielen. Es gibt Typen, die das wegstecken, für die ist das Leben in der Bubble wahrscheinlich sogar ein Vorteil, etwa für Evans oder Bublik. Die haben Probleme, sich in normalen Zeiten auf den Sport zu fokussieren. Für die ist es super, die konzentrieren sich ausschließlich aufs Tennis, es gibt nichts anderes.

STANDARD: Sie leiden unter der Bubble, der Blase, den Quarantänevorschriften extrem?

Thiem: Ja, sicher. In Dubai war es extrem, wir waren eingesperrt, außerhalb herrschte aber normales Leben. Du wurdest um 21 Uhr aus dem Hotel gelassen und durftest in ein leeres Stadion einlaufen. Das ist nicht so toll.

STANDARD: Spitzensportler haben ein sehr strukturiertes Leben. Sie wissen ganz genau, wann wo was passiert. Nun ist die Planbarkeit weg. Man weiß nicht einmal sicher, ob Ende Mai die French Open oder Ende Juli die Olympischen Spiele überhaupt stattfinden.

Thiem: Stimmt. Seit ich denken kann, habe ich ein komplett durchgeplantes Leben. Jeder Tag, jede Woche, jeder Monat ist eingeteilt. Ich fühle mich besser, wenn ich weiß, was am nächsten Tag passiert. Das ist momentan weg.

STANDARD: Hat das Scheitern im Achtelfinale der Australian Open im Februar Wunden hinterlassen, die noch nicht verheilt sind?

Thiem: Es war sehr viel Aufwand für relativ wenig Ertrag. Da spiele ich gegen Lokalmatador Kyrgios eines der denkwürdigsten Matches in meinem Leben, hole einen 0:2-Rückstand auf. Die Atmosphäre in Melbourne war unglaublich, obwohl die Leute nicht zu mir gehalten haben. Und auf einmal war Lockdown. Ich kam spätabends verschwitzt in die Umkleide, und die Anlage wurde währenddessen evakuiert – wie bei einem Atomunfall. Am übernächsten Tag gegen Dimitrow herrschte extreme Mittagshitze in der Einsamkeit. Ich habe es nicht geschafft, das durchzudrücken, mit der Situation fertigzuwerden.

STANDARD: Selbstmitleid?

Thiem: Nein, das nicht. Eine gewisse Leere ist vorhanden, aber das ist echt kein Drama. Ich habe in der vergangenen Woche nicht einmal Fußball-Champions-League geschaut, sie ist einfach ein Trauerspiel. Das Tennisturnier in Monte Carlo habe ich auch kaum verfolgt.

STANDARD: Sie haben angekündigt, wenn Corona überstanden ist, kürzertreten zu wollen – raus aus dem Hamsterrad. Sie sind aber erst 27. Haben Sie einen zu hohen Aufwand getrieben, um an die Spitze zu kommen?

Thiem: Zu viel war es nicht. Ich bin 15 Jahre dem großen Ziel hinterhergelaufen, ohne nach links oder nach rechts zu schauen. Wie gesagt, ich habe es erreicht – unter komischen Umständen, aber das ist nicht so wichtig für mich. In gewisser Art und Weise sind da einige Sachen auf der Strecke geblieben – das Privatleben, das Befassen mit anderen Dingen, die Erweiterung des Horizonts. Man muss etwas für den Kopf, fürs Hirn tun. Es gab nur Tennis. Das will ich ein bisserl ändern.

STANDARD: Ist das einzige Positive an der Pandemie, dass man Zeit hat nachzudenken, Dinge zu hinterfragen? Sie sind im Natur- und Tierschutz aktiv, setzen sich für Bienen ein.

Thiem: Ja. Die Bienen interessieren mich aber auch, wenn sich das Rad normal dreht.

STANDARD: New York, 13. September 2020, dieses Datum werden Sie nie vergessen. Hat der Triumph in New York gegen Zverev doch nicht zur erhofften Lockerheit geführt?

Thiem: Danach war ich in einer Euphorie, die Ergebnisse passten noch, ich stand im Endspiel der ATP-Finals in London. Aber in der Vorbereitung auf diese Saison bin ich in ein Loch gefallen. Ob die Lockerheit kommt, wird man sehen, ich weiß es nicht, ich hoffe es.

STANDARD: Stecken Sie sich neue, andere Ziele?

Thiem: Nein, die French Open sind mein großes Ziel. Natürlich habe ich einen großen Trainingsrückstand aufgerissen. Ich hatte lange keine Matches gegen absolute Spitzenspieler, sie fehlen. Ich weiß nicht, wo ich stehe. Ich hoffe, das kommt in Madrid und in Rom. Ich will in Paris voll wettbewerbsfähig sein, das ist mein Anspruch. Eine Medaille bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio wäre ein absoluter Traum – sofern sie stattfinden. Ich wüsste es gerne, aber das entscheidet die Pandemie. Die Lust am Tennis lasse ich mir jedenfalls nicht nehmen. Denn irgendwann kommt die Normalität zurück. (Christian Hackl, 19.4.2021)