SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagners Geduldsfäden sind zweifellos elastisch, aber nicht unzerreißbar. Genosse Hans Peter Doskozil, der burgenländische Landeshauptmann, hat sie überstrapaziert.

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Dass in der SPÖ der Haussegen schief hängt, ist bekannt. Neu ist, dass die Protagonisten zum Streiten wieder auf den Balkon gehen; zum Gaudium der Nachbarn zweifellos. Teller fliegen und Hackeln; da und dort hat es einer schon klirren gehört. Kann gut sein, dass die Streithanseln und -greteln schon dabei sind, Porzellan zu zerschlagen.

Auslöser war der burgenländische Sonderweg in der Ostregion. Bundeschefin Pamela Rendi-Wagner kritisierte ihren Parteifreund Hans Peter Doskozil unverhohlen. Michael Ludwig, Wiener Bürgermeister, gab seiner Parteichefin recht, wenn auch unter Bedachtnahme auf die ihm eigene Zurückhaltung. Doskozil retournierte. Corona sei, richtete er Rendi-Wagner spitz aus, "kein Spielfeld für parteipolitische Profilierungsversuche". Und weil Ludwig meinte, Doskozil sei schon solidarisch, aber eben mit dem Bundeskanzler, erinnerte ihn Doskozil an seine vielen gemeinsamen Pressekonferenzen mit Sebastian Kurz.

Das Kopfschütteln

Ludwig ist keiner, der in der Öffentlichkeit poltert. Deutlich wurde aber schon, dass man in Wien alles andere als glücklich ist über den Alleingang des Parteikollegen, der vor wenigen Wochen, als die Neuinfektionen in die Höhe geschossen sind, noch die Öffnung der Thermen herbeigesehnt hat. Solche Aussagen erzeugen in Wien bei vielen Kopfschütteln.

Dass der Abgang von Ludwigs Weg nicht aus dem türkisen Niederösterreich, sondern dem roten Burgenland kommt, schmerzt wohl noch ein wenig mehr. Umgekehrt merkt man hinter vorgehaltener Hand an, dass Wien halt auch seine Sonderwege gehe. Und nicht einsehen wolle, dass im Burgenland nicht einfach aufgesperrt werde, sondern mit einer immensen Testoffensive das getan werde, was in fünf Bundesländern gelte. Gastro wie in Vorarlberg werde ohnehin nicht aufgesperrt.

Das i-Tüpferl

Nicht bloß sorgfältige Beobachter konnten am Wochenende den Eindruck gewinnen, man habe in der SPÖ angefangen, einander i-Tüpferl-reitend die Haare zu spalten. Jeder kennt so etwas aus der eigenen Familie: Angelegenheiten, die lange vor sich hinköcheln, gehen irgendwann eben hoch. Wenn man Glück hat, ist das dann ein reinigendes Gewitter. Wenn man Pech hat, kommt die Scheidung. Und tatsächlich gibt es im Burgenland Rote, die schon von einer Art CSU-Modell träumen. Ein Traum, den so manche Wiener ebenfalls träumen. Nur vice versa.

Das hat, wie ein Blick auf Deutschland zeigt, weder mit Corona noch mit den hiesigen Protagonisten zu tun. Es geht ein tiefer Graben durch die Sozialdemokratie. Die Burgenländer drängen mit vielen Bundesländergenossen auf einen klassischen, materialistischen sozialdemokratischen Auftritt der SPÖ. In der Hauptstadt muss Michael Ludwig Rücksicht auf die hier starke "Lifestyle-Linke" nehmen, wie man im Burgenland boshaftelt.

Dieser Konflikt marginalisiert gerade die SPD. Und auch die SPÖ grundelt national bei etwas mehr als 20 Prozent. Jedenfalls dort, wo keine Kanzlerträume wachsen können. Und darum geht es.

Die Eigentlichkeit

Im Burgenland, wo die SPÖ absolut regiert, ist man es ein wenig satt, dauernd ausgerichtet zu bekommen, "eigentlich" keine Sozialdemokraten zu sein. Umgekehrt magerlt der stete, nicht nur pannonische Vorhalt, nur die Einwohner von Bobostan (Burgenlands Landesgeschäftsführer Roland Fürst sprach von jenen, die "Yoga auf der Dachterrasse machen") umschmeicheln zu wollen.

Ende Juni ruft die SPÖ zu ihrem Bundeskongress. Das ist eine erste Gelegenheit für den Showdown. Im September folgt die Landtagswahl in Oberösterreich. Dann wird in Niederösterreich gewählt. Das seien, sagt ein hochrangiger pannonischer Genosse, die eigentlichen Prüfsteine für Pamela Rendi-Wagner. In Wien wird man dem "Parteifreund" diesbezüglich nicht widersprechen.

Der sagt weiter: "Die Regierung hält, die sind ja aneinandergekettet. Aber die Pandemie wird irgendwann vorbei sein. Und dann? Will sie darauf hoffen, dass sie wiederkommt? Nur weil sie darin eine Expertin ist?" Mit Bill Clinton fügte er an: "It’s the economy, stupid." Stupid – das ist längst Familienjargon. (Wolfgang Weisgram, Oona Kroisleitner, 19.4.2021)