Die Lebenszyklen der Robben auf den friesischen Inseln, zu sehen am Dienstag in ORF 2, sind beim Publikum in Zeiten von Corona ein gefragter Stoff, wie sich bei der Mip TV bestätigte.

Foto: ORF / Flying Pangolin Film / Doclights /M. Riegler

Drehstopps, Corona-Regeln, Reiseverbote und Lockdowns sorgen bei der Herstellung von Filmen und Serien nach wie vor für Verzögerung. Besonders betroffen sind fiktionale Produktionen. Unter den erschwerten Bedingungen leiden aber ebenso Dokumentarfilmer. Genau zum falschen Zeitpunkt, denn wie sich bei der Lizenzmesse Mip TV zeigt, ist die Nachfrage nach nonfiktionalem Programm so hoch wie schon lange nicht. Die Mip TV ist Europas größter Umschlagplatz für TV- und Streamingformate und gilt als Trendmesser für internationales Fernsehen und Bewegtbild. Sie findet zweimal jährlich in Cannes statt, im Herbst als Mipcom und soeben im Frühjahr als Mip TV – dieses Jahr Corona-bedingt wieder nur digital.

Armin Luttenberger, Chefverkäufer der ORF Enterprise, sieht "eine neue Blütezeit" für Dokumentationen und Dokumentarfilme. Die Pandemie habe eine "Sensibilität für Inhalte befördert, die sich kritisch mit vielen Bereichen des menschlichen Tuns auf dieser Welt auseinandersetzt", sagt Luttenberger. Und zwar über bereits zuvor präsente Themen wie dem Klimawandel hinaus.

Mehr Corona-Dokus

Die gesteigerte Nachfrage nach Dokus zum Infektionsgeschehen drückt das erhöhte Informationsbedürfnis des Publikums in unsicheren Zeiten aus. Filme über langfristige Auswirkungen des Virus auf Mensch und Tier wurden heiß gehandelt, etwa London Zoo von eOne oder Netflix’ The Year Earth Changed. Ein anderes Beispiel ist Cape Town, Gang Town, Lock Down vom niederländischen Sender VPRO, der sich mit den Auswirkungen des Virus auf ärmere Gebiete in Südafrika beschäftigt.

Aber auch abseits von Corona-Themen ist das Interesse an Dokumentationen hoch. Aufgrund dessen und wegen produktionsbedingter Verzögerungen investieren Netflix, Discovery Plus, Youtube und Sky kräftig, um drohende Lücken im Angebot zu vermeiden.

Um Nachschub im ORF kümmert sich Universum-Chef Gernot Lercher. "Es kam zu erheblichen Verzögerungen bei vielen Produktionen", sagt Lercher auf STANDARD-Anfrage. "Vor allem bei jenen Dokus, die tatsächlich in fernen Ländern hergestellt werden. Wie etwa in Kolumbien, in Vietnam oder an ähnlichen Schauplätzen." Immer wieder habe man Drehpläne verworfen oder überarbeitet, weshalb verstärkt lokale Crews zum Einsatz kämen. Ein Bild davon kann man sich am 25. Mai bei der Universum Spezial-Sondersendung zum Thema Artenschutz machen. Kamerateams aus Costa Rica, Simbabwe und Indien lieferten Material für die Beiträge. Diese Form der Koproduktion werde in Zukunft an Bedeutung gewinnen – auch hinsichtlich eines umweltbewussteren Produzierens, führt Lercher an.

Für den ORF sind Universum-Produktionen traditionell Verkaufsschlager. Auf die Preisstruktur schlägt sich die hohe Nachfrage jedoch vorerst offenbar nicht nieder: "Trotz schlagartig gestiegener Nachfrage und hohen Bedarfs an Katalogware gehen die Preise leider nicht spürbar nach oben", sagt Luttenberger.

Ende der Idylle

Welche inhaltlichen Trends sieht Lercher bei Naturfilmen? "Das absolute 'Reinheitsgebot' im Naturfilm, also den Fokus nur auf die Idylle, auf unberührte Landschaften und Tierwelten zu legen, wird es künftig so wohl nicht mehr geben", sagt der Universum-Chef. An Dokus im Spannungsfeld zwischen Zivilisation und Wildnis werde "künftig kein Weg vorbeiführen. Auch um dem Zuschauer zu zeigen, was er im besten Fall zur Rettung seiner Umwelt, aber auch geschützter Naturräume beitragen kann."

In diese Kategorie fallen etwa Angebote wie Netflix’ Down to Earth with Zac Efron, in der der Schauspieler um den Globus reist und gesunde und nachhaltige Lebensweisen für sich und das Publikum entdeckt. Oder Earthshot: How to Save our World in Verbindung mit Prinz Williams Earthshot Prize, der Lösungsvorschläge für die größten Umweltprobleme der Welt bringen soll.

Stark gefragt bleiben True-Crime-Storys. Auffallend gut im Rennen scheinen weiters Dokumentationen, in denen es um Aufrichtigkeit und Geständnisse geht, etwa eine biografische Doku über den Suizid der britischen TV-Moderatorin Caroline Flack. Im postfaktischen Zeitalter ist von dieser Sorte durchaus mehr zu erwarten. (Doris Priesching, 20.4.2021)