Noch ist es nicht ausgeschlossen, dass das Lkw-Werk in Steyr doch noch weitergeführt wird.

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Steyr/Wien – Eines ist unbestritten: Für Oberösterreich und im besonderen die Stadt Steyr und das Umland in Steyr-Land wäre die angedrohte Schließung des Lkw-Werkes von MAN die schlechteste aller Varianten. Denn Ende 2023 wäre in der Stadt mit einem Schlag fast ein Viertel der 6.000 Arbeitsplätze in der Kfz-Branche perdu – und der große Rest in Umlandgemeinden ausstrahlend bis in den Bezirk Amstetten, von wo drei Viertel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einpendeln.

Das geht aus einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) im Auftrag der Arbeiterkammer Oberösterreich hervor. Mit dieser Größenordnung ist die traditionsreiche und zuletzt massiv gewachsene Kfz-Industrie außerhalb der Stadt proportional noch wichtiger als Arbeitgeber als alle anderen Branchen, deren Beschäftigte nur zu 60 Prozent aus dem Umland kommen.

Abhängig von Kfz

Je Umsatzmilliarde sind in Steyr rund 1.700 Personen direkt in der Kfz-Branche tätig, rechnet Studienautor Gerhard Streicher vor. Weitere 1.600 Personen sind über Zulieferverflechtungen indirekt von der Kfz-Industrie abhängig, die mit dem BMW-Motorenwerk in Steyr über einen zweiten Großbetrieb verfügt. Wie viele von diesen bei einem allfälligen ersatzlosen Rückzug von MAN tatsächlich für immer weg wären, sei nicht abschätzbar. Dass alle 2.000 Stellen bei MAN von anderen Betrieben aufgefangen würden, davon könne man nicht ausgehen, sagt der Wifo-Experte. Dazu gebe es schlicht zu wenige dieser Jobs.

Der regionale Arbeitsmarkt vor Corona gibt da wenig Hoffnung: Der Bezirk Steyr (Stadt und Land) sei schwächer als die meisten anderen Bezirke in dieser Großregion, die Arbeitslosenquote höher – auch mit einem höheren Anteil an Langzeitarbeitslosen.

Wie Streicher vermisst auch der Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung der Arbeiterkammer Wien, Markus Marterbauer, ein industriepolitisches Konzept in Österreich. Das sei angesichts des allgemeinen Strukturwandels – und jenes in der Kfz-Branche im Besonderen – dringend notwendig. Bildung und Ausbildung, Forschung, Umwelt und Regionalpolitik, da fehle es an Ideen und Vorstellungen für den Wirtschaftsstandort in zehn bis zwanzig Jahren, sagt der frühere Wifo-Mitarbeiter Marterbauer.

Industriestrategie?

Bei der Erstellung solch einer Strategie müssten alle eingebunden sein, insbesondere vorausblickende Manager und auch Arbeitnehmervertreter. Denn die Sachgütererzeugung sei mit dem Dreifachen an Beschäftigten standortpolitisch nicht weniger wichtig als der Tourismus, sagte Marterbauer. "Bei den Banken ist in der Finanzkrise auch niemand auf die Idee gekommen, sie einfach pleitegehen zu lassen."

Für die anstehende Transformation – Stichwort Elektromobilität – brauche es einen Plan, eventuell Startkapital vom Staat und das Rüstzeug, um mit der Pleitewelle nach Auslaufen der staatlichen Covid-Hilfen fertigzuwerden, mahnt der AK-Makroökonom. Hilfreich könnte auch ein Industriebeteiligungsfonds sein, der gegebenenfalls als stiller Gesellschafter vorübergehend einspringe oder für Anschubfinanzierung sorge.

Industrie stark durch die Krise

Das sei unerlässlich, weil Österreichs Industrie die Delle durch die Corona-Pandemie längst überwunden habe, Österreichs Industrie habe in der Krise gezeigt, wie stark sie sei. Auch die Investitionen sieht Marterbauer auf gutem Niveau.

Die Kfz-Industrie in Österreich habe traditionell eine hohe Produktivität, eine große Wertschöpfung und biete gut bezahlte Jobs, führte Streicher aus. An jeder Milliarde, die in der Steyrer Autoindustrie erwirtschaftet wird, hängen 5.500 Arbeitsplätze: 1.700 direkt in der Kfz-Branche, weitere 1.600 bei Zulieferern und 2.200 durch induzierte Effekte. Bundesweit seien somit fast 20.000 Jobs mit der Autoindustrie verknüpft.

Neue Märkte gesucht

Konkret auf MAN bezogen geht das Wifo auf Basis der Zahlen von 2016 bis 2018 – im Schnitt 2.100 Beschäftigte (davon 300 Zeitarbeiter) und 1,1 Milliarden Umsatz – davon aus, dass Lohnkosten von 170 Millionen Euro eine geschätzte Wertschöpfung von 280 Millionen Euro gegenübersteht. Durch indirekte Effekte hängen weitere 1.800 Beschäftigte bei Zulieferbetrieben in ganz Österreich daran, die weitere rund 350 Millionen Euro an Wertschöpfung generieren. Rechnet man Konsum- oder Investitionseffekte auch noch mit ein, kommt das Wifo auf 5.900 Beschäftigte bundesweit, die mit dem Werk in Steyr verbunden sind und bei einer Schließung bedroht sein könnten, sofern die Zulieferer nicht andere Absatzmärkte finden.

Traton mit überraschend guter Bilanz

Die VW-Nutzfahrzeugholding Traton, die auch das von der Schließung bedrohte MAN-Werk in Steyr betreibt, blickt indes nach einem überraschend guten Jahresstart etwas optimistischer auf 2021. Die operative Umsatzrendite dürfte nun bei fünf bis sieben Prozent liegen, teilte das Unternehmen am Montagabend in München mit. Bisher war Traton von fünf bis sechs Prozent ausgegangen.

In der Prognose seien keine Aufwendungen und Ausgaben für das Restrukturierungsprogramm von MAN Truck & Bus sowie aus der geplanten Übernahme des US-Lastwagenbauers Navistar enthalten, hieß es weiter. Die Pandemie und die damit verbundenen Gegenmaßnahmen der jeweiligen Länder sowie mögliche Auswirkungen auf Produktion und Lieferketten sorgen laut Traton noch immer für Unsicherheit. Vorläufigen Zahlen zufolge lag der Umsatz der Holding im ersten Quartal bei 6,5 Milliarden Euro. (ung, 19.4.2021)