Stephan Stock als Vater des ermordeten Teenagers in "Twin Speaks" von der Gruppe vorschlag:hammer.

Paula Reissig

Workshop-Plakat der Gruppe "vorschlag:hammer" zum Stück "Twin Speaks".

Foto: Plakat vorschlag:hammer

Theater ist mit Beginn der Pandemie ins Internet übersiedelt. In Windeseile entstanden digitale Formate, die es trotz widriger Umstände ermöglichen, Theater und Publikum zusammenzubringen. Inzwischen sind so viele Arbeiten am Markt, dass sie ein erstes genuines Netztheater-Festival rechtfertigen. Dieses wurde soeben vom deutschen Theaterfeuilleton nachtkritik.de ausgetragen und versammelte unter dem Titel "Zoom In" eigens fürs Netz produzierte Inszenierungen aus der freien Szene (15.–17. 4.). Auch die Wiener Gruppe Nesterval war dabei (Goodbye Kreisky; DER STANDARD berichtete).

Wird das Netztheater als "Nebenspielstätte" bleiben? Welches Terrain konnte mit ihm gewonnen werden? Und welche Vorbehalte gibt es? In Diskussionsrunden, Künstlergesprächen und Workshops wurden entsprechende Fragen erörtert. Alles kostenfrei und auch nach Ende des Festivals nachzuschauen.

Computerspielästhetik

Kollektive wie Swoosh Lieu, vorschlag:hammer, punktlive oder eben auch Nesterval haben – so viel lässt sich nach dem Festival sagen – mit ihren die Ästhetik und die Kommunikationsoptionen diverser Plattformen nützenden Stücken der digitalen Praxis eine neue Stoßrichtung gegeben.

Abgefilmtes Theater ist dabei nur mehr ein Element von vielen. Wir sehen Computerspielgrafiken und VR-Identitäten (wie sie Pionierin Susanne Kennedy bereits im ganz normalen präpandemischen Saaltheater eingesetzt hat). Wir blicken auf die "Bühne" wie auf unser Tablet – Theater wird smart! Und so sitzen auf den Panels nunmehr auch Filmregisseure und Experten für digitale Medien wie Lorenz Tröbinger, der bei Goodbye Kreisky zum maßgeblichen Kompetenzträger wurde.

Bei der fabelhaften "Aufführung" von Twin Speaks war wiederum Expertise in Sachen Messengerdiensten zentral. Das Erzähltheater von vorschlag:hammer läuft auf der Plattform Telegram und geriet in Anlehnung an den Mystery-Klassiker Twin Peaks von David Lynch zu einem Kriminalfall mit übernatürlicher Schlagseite. Er bewegt sich neben Chatnachrichten, Audiodateien, Memes usw. vor allem in geposteten Filmszenen fort, die in ihrer stoisch-absurden Skulpturalität wahres Vergnügen im Geiste Aki Kaurismäkis bereiten.

Fragwürdige Messenger

Dass die digitale Welt auch nach Ende der Pandemie als Spielstätte bleiben wird, ist längst ausgemacht. Die Entwicklung steht indes erst am Anfang, und Widersprüche tun sich auf. Viele finden es beispielsweise problematisch, dass man sich (vorläufig) auf Tools von Firmen stützen muss, deren Interessen keineswegs durchschaubar sind. Ein eigener Messengerdienst jenseits neoliberaler Marktlogiken wäre also wünschenswert.

Auch sei der Traum von der Publikumserweiterung im Internet ein frommer Wunsch. Man bleibe unter sich, in der eigenen Bubble, so Amelie Deuflhard, Leiterin der Spielstätte Kampnagel in Hamburg. Und Regisseurin Sahar Rahimi von der Gruppe Monster Truck vermisst mattscheibenbedingt den Schmutz, den Staub und die Reibung mit dem Publikum. Distanz bleibt eben doch Distanz. (Margarete Affenzeller, 20.4.2021)