Am Areal Nordwestbahnhof entsteht ein Ausweichquartier für das Brut und andere Aktivitäten.

Foto: APA

Kira Kirsch und Veronica Kaup-Hasler bei einer Begehung des Areals.

Foto: APA

Innen steht bereits eine Bühne bereit.

Foto: APA

Wien – Ein Textilunternehmen residierte hier, später ein Getränkegroßhandel. Zuletzt stand das Industrie- und Büroareal am ehemaligen Nordwestbahnhof in Wien-Brigittenau leer. Nun prangt seit wenigen Tagen ein großer Schriftzug auf der Fassade: "New Art on Stage". Der Pfeil weist in den Innenhof. Hier entsteht gerade ein Zentrum für die freie Performance-, Tanz- und Theaterszene. Federführend ist das Koproduktionshaus brut wien. Mit an Bord sind aber auch WUK und Wiener Festwochen.

Als "brut nordwest" wird das brut hier bis Ende 2023 ein 1.600 Quadratmeter umfassendes temporäres Hauptquartier mit Aufführungs- und Probenraum, Büro- und Lagerräumen aufschlagen. Anfang 2024 soll das brut dann in der neuen festen Spielstätte in der ehemaligen Zentralbankzweigstelle St. Marx im dritten Bezirk einziehen. "Wir sind an beiden Orten ganz nahe dran an spannenden Transformationen", freute sich die Künstlerische Leiterin Kira Kirsch heute im Gespräch mit der APA über die Chance, lebendiges Theater mitten in Zentren des urbanen Umbruchs entwickeln und zeigen zu können. Die Frage, ob man in zweieinhalb Jahren dann nicht am liebsten gleich hierbleiben will, wird sich nicht stellen: Das Gebäude soll als Teil eines großen Immobilienentwicklerplans auf dem Nordwestbahnhof-Gelände abgerissen werden und Wohnhäusern Platz machen.

400.000 Euro für Zwischennutzung

Rund 400.000 Euro steckt das brut für Adaptierung und Miete des von ihm entdeckten Areals aus dem eigenen Budget hinein. Eine gute Investition, betonte der Kaufmännische Geschäftsführer Richard Schweitzer: "Wir geben in diesen drei Jahren dafür gleich viel Geld aus wie für Anmietungen in der ambulanten Phase." Seitdem 2017 die Hauptspielstätte im Künstlerhaus verlassen werden musste, lag der Fokus von brut auf wechselnden temporären Spielstätten und ortsspezifischen Projekten.

Auch die Wiener Festwochen investieren nun in dem Areal. Derzeit werden von ihnen ehemalige Büroräumlichkeiten im straßenseitig gelegenen Trakt in vier Proberäume umgebaut, die zunächst von den Festwochen genutzt, ab September der Freien Szene dann – mit Ausnahme der jeweiligen Festwochen-Monate Mai und Juni – zur Verfügung gestellt werden sollen. "Die Nutzung durch die Freien Gruppen soll unentgeltlich und selbst organisiert sein", so Schweitzer.

Temporäres Kulturzenstrum

Im hofseitigen Trakt wird das WUK, dessen Sanierung ansteht, ebenfalls Proberäume nutzen können. "Es entsteht hier ein richtiges temporäres Kulturzentrum, mit dem wir die kulturelle Entwicklung dieses Stadtteils fördern", begeisterte sich Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) bei der Begehung am Montagvormittag. Mit dem nur wenige hundert Meter entfernt gelegenen und derzeit leer stehenden Atelier Augarten könnte sogar ein richtiger Kultur-Cluster entstehen, doch über das Atelier verfüge der Bund, so die Stadträtin: "Sonst hätten wir schon längst etwas daraus gemacht."

Der Rundgang führt im Erdgeschoß in eine große Industriehalle, in der das brut Künstlergarderoben und Waschräume eingebaut hat. Im Zentrum der Halle mit dem grauen Betonboden wurde eine 14 mal 14 Meter große Bühne samt Zuschauertribüne für 180 Personen eingebaut und mit schwarzen Vorhängen vom Rest des Raumes getrennt: Eine "Black Box" in einem "Grey Space", heißt das hausintern, und die neben den Corona-Richtlinien affichierten Plakattexte können wohl durchaus programmatisch genommen werden: "Can somebody please fix this?" – "Nobody but you."

"Not macht erfinderisch"

Für Kaup-Hasler ist das sehr kurzfristig entwickelte Projekt "ein Beweis, dass Not erfinderisch macht" und eine Fortführung bisheriger Kulturpolitik: "Wir suchen in der Stadt immer wieder neue Räume für die Produktion von Kunst." Kira Kirsch versicherte: "Die Künstler, die bisher hier gearbeitet haben, waren begeistert." Bisher konnte diese Arbeit jedoch nur mittels Stream an die Öffentlichkeit gelangen. Wann sich das ändern wird, hängt vom neuen Lockdown-Öffnungsfahrplan ab, der von der Regierung für Ende der Woche angekündigt wurde. "Wir haben in weiser Voraussicht für den Frühsommer ohnedies einige Freiluft-Aufführungen geplant. Es wird also ziemlich sicher zumindest draußen etwas stattfinden können." Der große Innenhof darf jedenfalls bespielt werden. Eine Produktion von Claudia Bosse könnte auf der nebenan gelegenen Brachfläche stattfinden. Auch das dahinterliegende große Bahnhofsgelände könnte eventuell temporär bespielt werden, zeigte sich Schweitzer zuversichtlich.

Vielleicht eröffnen aber auch die Wiener Festwochen das neue Kulturareal. Das "brut nordwest", das bereits als Schauplatz der in der Vorwoche wieder abgesagten Programm-Pressekonferenz auserkoren war, ist jedenfalls eine der Spielstätten der Festivaledition 2021. "Das neue Gelände bietet eine Infrastruktur, die in dieser Form nicht allzu häufig in Wien in vergleichbarer Weise zu finden ist. Das Areal bietet sich für verschiedenste Formate an, als 'klassische' Spielstätte, aber auch für diskursive Formate und Workshops und als sozialer Ort für Austausch und Begegnungen", wird Intendant Christophe Slagmuylder in einer Presseunterlage zitiert. Ab Mai haben sich die Festwochen hier eingemietet. Wer nun tatsächlich als Erster zu Vorstellungen mit Zuschauern hierher einladen darf, sei aber nicht spielentscheidend, versicherte Kira Kirsch: "Wir arbeiten sehr kollegial zusammen." (APA, 19.4.2021)