Drei Familienmitglieder müssen sich im Verhandlungssaal 211 des Landesgerichts für Strafsachen Wien vor einem Schöffengericht verantworten.

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Wien – Drei Mitglieder der Familie G. sind es, die als Angeklagte vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Daniel Schmitzberger erscheinen müssen. Dem 41-jährigen Vater und seinen beiden Söhnen, 21 und 15 Jahre alt, wird von der Staatsanwaltschaft beinahe Unglaubliches vorgeworfen: Sie sollen am 6. Jänner versucht haben, den 20-jährigen Freund der Tochter beziehungsweise Schwester zu vergewaltigen, da sie die Familienehre durch die Beziehung beschmutzt sahen. Der Vater soll einen Tag darauf darüber hinaus noch versucht haben, den Freund zur Zwangsheirat zu nötigen.

Stimmt nicht, sagt Verteidiger Johannes Fouchs. "In dieser Intensität hat sich das nicht zugetragen", erklärt er im Eröffnungsplädoyer. Es habe zwar "unschöne Szenen" gegeben, eine Vergewaltigungsabsicht habe aber nie bestanden. Der Hintergrund sei, dass der Vater mit dem Freund seiner 17-jährigen Tochter nicht einverstanden gewesen sei. "Das führte zum Exzess. Er sieht seine Tochter nicht für reif genug", erklärt er.

"Ressourcenstark und unauffällig"

Zur Vorgeschichte: Vater G. kam vor acht Jahren aus der afghanischen Stadt Kandahar nach Österreich, drei Jahre später holte er seine Frau und die vier gemeinsamen Kinder nach. Er ist, wie seine Söhne, unbescholten und arbeitet als Lieferfahrer. Die Jugendgerichtshilfe beschreibt die Familie als "ressourcenstark und unauffällig", der 20-jährige Zweitangeklagte schämt sich laut Bericht dafür, Afghane zu sein, da diese oft unangenehm auffallen würden – der Lehrling hat daher auch kaum afghanische Freunde.

Die 17-Jährige lernte dagegen Anfang 2020 ihren 20-jährigen Landsmann kennen und lieben, hielt das aber vor der Familie geheim. Im November erfuhr der Vater davon, besuchte den unerwünschten Schwiegersohn in spe und forderte, er solle die Finger von seiner Tochter lassen. Das Opfer K. sagt als Zeuge, dass er daraufhin für zehn bis 15 Tage den Kontakt abbrach, ihn seine Freundin dann aber wieder kontaktierte.

Am 6. Jänner flog die Beziehungsfortsetzung auf. Der Zweitangeklagte war bei seiner Familie zu Besuch, als die Schwester am Nachmittag heimkam. Auf die Frage, wo sie denn gewesen sei, antwortete sie: "Im Deutschkurs." Der große Bruder wurde misstrauisch – wusste er doch, dass es sich um einen Feiertag handelte. Die Schwester bot an, er solle den Lehrer anrufen – er machte das, schaltete auf Lautsprecher, der Vater erkannte K.s Stimme.

"Ich werde dir den Schwanz abschneiden"

Da die drei Angeklagten nacheinander getrennt vernommen werden, hört man unterschiedliche Versionen, was danach geschah. Der 15-jährige Schüler schildert zunächst, er sei nur aus Neugier mit seinem Vater und dem älteren Bruder zu K.s nahe gelegener Wohnung gefahren. Der 20-Jährige sei mehr oder weniger freiwillig eingestiegen, auf der kurzen Rückfahrt habe der Vater K. ein Stanleymesser gezeigt und gleichzeitig angemerkt: "Ich werde dir den Schwanz abschneiden." Der Bruder habe mit der Faust gegen K.s Kopf geschlagen.

In der Wohnung der Familie G. sei K. ins Schlafzimmer gebracht worden, er habe seinen Vater sagen gehört, dass er K. androhte, ihn zu vergewaltigen. Der Vater habe auch nach Vaseline verlangt, die der ältere Bruder gebracht habe. Der Drittangeklagte selbst will großteils im Wohnzimmer geblieben sein. Er habe nur registriert, dass sein Bruder kurz mit einem Hackbeil ins Schlafzimmer gegangen, aber rasch wieder zurückgekommen sei.

Opfer hat "richtig gezittert"

Nach 15, 20 Minuten habe man K. zurück zu dessen Wohnung gefahren, dabei habe der "richtig gezittert", beschreibt es der Drittangeklagte. Der K. tags darauf nochmals sah: Denn die Schwester hatte ihr Geldtascherl in K.s Auto vergessen, der bot an, es vorbeizubringen. "Ich bin hinuntergegangen, mein Vater hat K. dann aber gesagt, er soll nochmals hinaufkommen." Dort habe der Vater von K. verlangt, dass er die 17-Jährige heiraten müsse. "Er hat Ja gesagt, aber meine Schwester wollte nicht", erinnert sich der Drittangeklagte.

Der noch etwas anfügt: "Meine Schwester ist psychisch nicht ganz normal." – "Und das wäre dann kein Problem, wenn sie heiratet?", ist Vorsitzender Schmitzberger irritiert. "Ich weiß nicht." – "Ich auch nicht. Deshalb frage ich ja."

Als Nächster kommt der 20 Jahre alte Zweitangeklagte an die Reihe. Er sagt, sein Vater habe im Auto zu K. gesagt: "Hab ich dich nicht vorgewarnt?", als er das Stanleymesser zückte. Der Zweiangeklagte behauptet, das Opfer sei unwillig und aggressiv gewesen – daher habe er ihn auch auf den Kopf geschlagen. "Er hat sich auf den Beifahrersitz gesetzt und den gleich nach hinten geschoben. Er hat mich am Knie erwischt. Ich war so schockiert, dass ich ihm auf den Kopf geschlagen habe. Leicht", behauptet er.

"Sei ruhig, sonst bring ich dich um!"

In der Wohnung habe er auf des Vaters Wunsch das Gleitmittel gebracht, der Vater habe aber erst danach mehrmals "Ich ficke dich!" zu K. gesagt. Das sei aber keine Vergewaltigungsdrohung, sondern eine Unmutsäußerung gewesen. K. sei auch in der Wohnung laut gewesen, daher hatte der Angeklagte Angst vor Beschwerden der Nachbarn. "Ich war in der Küche beim Zwiebelschneiden, bin mit dem Hackbeil ins Schlafzimmer gegangen und habe gesagt: 'Sei ruhig, sonst bring ich dich um!' Das war aber nicht ernst gemeint", beteuert der 20-Jährige.

Als letzter Angeklagte wird der Vater befragt. Der sagt, er habe im November K. lediglich darauf hingewiesen, dass seine Tochter noch minderjährig und jung sei. Ein Problem habe er mit der Beziehung nicht gehabt, behauptet der Erstangeklagte zunächst. Am 6. Jänner sei er aber "in Rage geraten". "Warum?", fragt Schmitzberger. "K. hat damals mit meiner Tochter nicht rechtens Verkehr gehabt", lässt der Vater übersetzen. "Was meinen Sie mit 'nicht rechtens'? Vorehelichen Geschlechtsverkehr?" – "Ja. Das hat mir meine Tochter an diesem Tag erzählt."

Geplante Überprüfung der Jungfräulichkeit

Was ein wenig verwirrend ist, denn als es am 7. Jänner ums Heiraten ging, habe die Tochter wiederum beteuert, noch nie Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Daher will der Vater mit seinem Bruder, also dem Onkel des Mädchens, telefoniert haben, der ihm einen Arzt aus dem Internet suchte, der die Jungfräulichkeit untersuchen sollte. Apropos Arzt: Der Schöffe fragt, ob es für die angebliche Entwicklungsverzögerung der 17-Jährigen eigentlich eine Diagnose gebe. Gibt es nicht. Der Vater weiß auch nicht, warum seine Tochter nicht mehr in die Schule geht: "Das weiß ich nicht genau, da müssen Sie meine Tochter fragen. Sie wurde von der Schule zum AMS geschickt."

Die 17-Jährige und ihre Mutter machen von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Er schildert die Vorfälle so, wie er es bereits bei der Polizei ausgesagt hatte. Im Schlafzimmer habe der Vater mit Vergewaltigung gedroht, sich den Gürtel geöffnet und dem Opfer die Hose einige Zentimeter heruntergezogen. "Ich werde dir die Ehre nehmen, so wie du mir und meiner Tochter die Ehre genommen hast!", habe der 41-Jährige angekündigt. Erst als die Ehefrau ins Zimmer kam und ihren Gatten anbettelte, er solle nichts tun, habe er gehen dürfen, sagt der Zeuge.

Warum er am darauffolgenden Tag nochmals in die Wohnung gekommen sei? "Gute Frage. Ich habe mir gedacht, man kann es friedlich regeln." Als aber der Vater die Hochzeit forderte, habe er beschlossen, die Sache anzuzeigen, erklärt der Zeuge. Ob der Drittangeklagte aktiv gewalttätig geworden sei, kann K. nicht sagen.

"Verzerrte Grundhaltung" des 20-Jährigen

Die eingangs erwähnten Erhebungen der Jugendgerichtshilfe verraten noch, dass das Umfeld der beiden Söhne über die Vorwürfe überrascht war, da sie als unauffällig gelten. Gleichzeitig wird beim 20-Jährigen festgestellt, dass er eine "verzerrte Grundhaltung zu Ehre, Gewalt und Frauen" habe und ihm ebenso wie seinem jüngeren Bruder Therapie bei der Männerberatung empfohlen wird.

Die juristisch entscheidende Frage ist, ob es sich bei den Fall um einen Vergewaltigungsversuch gehandelt hat. Der Schöffensenat scheint sich diesbezüglich nicht ganz einig zu sein – statt der avisierten 20 Minuten dauert es fast eine Stunde, bis ein Urteil verkündet wird.

In dem der Vergewaltigungsversuch verneint wird – es habe sich lediglich um eine Nötigung gehandelt, begründet der Vorsitzende. Der Vater wird wegen versuchter Zwangsheirat zu 15 Monaten teilbedingt verurteilt, die drei unbedingten hat er bereits in der Untersuchungshaft verbracht. Sein 20-jähriger Sohn erhält wegen Körperverletzung, Nötigung und gefährlicher Drohung acht Monate, davon ebenfalls verbüßte zwei unbedingt. Der 15-Jährige fasst einen Monat bedingt für Nötigung aus. Während die Familie die Entscheidung akzeptiert, gibt die Staatsanwältin keine Erklärung ab, die Urteile sind daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 20.4.2021)