Häuser müssen in Österreich unterschiedliche Erdbebenstärken aushalten, abhängig von der Erdbebengefährdung in der Region, in der sie sich befinden.

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Montagnacht bebte die Erde im niederösterreichischen Neunkirchen. Das Erdbeben mit der Stärke 4,4 war auch in Wien zu spüren. Es riss manche Menschen aus dem Schlaf und brachte Gläser in vielen Küchen zum Klirren.

Dem Wiener Statiker Martin Haferl macht ein Beben mit einer solchen Stärke keine Sorgen. Umdrehen und weiterschlafen, rät er in einer solchen Situation: "Die Häuser in Wien halten das aus."

Häuser müssen in Österreich unterschiedliche Erdbebenstärken aushalten. Das hängt von der jeweiligen Erdbebengefährdung in der Region ab. Hier geht es um die maximale Beschleunigung des Bodens, die ein Haus aushalten muss. Südlich der Donau muss ein Haus in Wien also beispielsweise mehr aushalten als nördlich.

Erdbeben im Hochhaus

Bei einem Erdbeben kommt es vorwiegend zu horizontalen Bodenbewegungen, die sich auf das Haus übertragen. Wie das Haus reagiert, hängt vom Baumaterial und von der Konstruktion, aber auch von der Bauhöhe ab: Ein niedriges Haus bewegt sich stärker mit als ein höheres Haus. Ein Hochhaus reagiert laut Haferl elastisch und ist biegsam. Das bedeutet: "Bis das oberste Stockwerk das Erdbeben bemerkt, ist es unten schon wieder ruhig."

Diese strengen Standards, die an Neubauten gestellt werden, erfüllen Gründerzeithäuser in der Regel nicht. Ein altes Haus muss mindestens ein Viertel des modernen Erdbebenstandards einhalten, erklärt Haferl. Bei einem Hausumbau – etwa bei einem Dachgeschoßausbau – muss die Standfestigkeit bei Erdbeben überprüft und notfalls nachgebessert werden. "Aber normalerweise können die Häuser mehr", sagt Haferl. Die Bauweise in Ziegeln sei nämlich günstig, "das ist ein sehr gutmütiger Baustoff", so Haferl. "Den kann man ordentlich schütteln, und er versagt nicht gleich."

Wird ein Gründerzeithaus umgebaut, wird beispielsweise ein Blick auf die Fundamente geworfen. Hier kann man nachbessern – etwa indem im Nachhinein eine Bodenplatte aus Stahlbeton betoniert wird, damit das Haus wieder stabil steht. In manchen Gründerzeithäusern stellt sich dann heraus, dass irgendwann in der Vergangenheit jemand den Lehmboden abgetragen hat, um einen höheren Raum zu schaffen. "Wenn da jemand 30 oder 40 Zentimeter weggegraben hat, kann das schon gefährlich werden."

Kleinere Risse

Risse können nach einem Erdbeben wie jenem von Montagnacht schon auftreten, sagt Haferl: "Aber solche Risse sind in der Regel kein Problem für die Tragfähigkeit." Generell würde es bei Unsicherheiten nie schaden, einen Statiker mit einem Ingenieursbefund zu beauftragen.

Statistisch tritt in Wien alle 500 Jahre ein stärkeres Erdbeben auf. Es ist die Bemessungsgrundlage für die Statiker: "Und wenn so ein Erdbeben kommt und die Statik alles richtig gemacht hat, sollten die Häuser stehen bleiben, auch wenn Baufirmen am nächsten Tag einiges mit Ausbesserungsarbeiten zu tun hätten."

1972 stürzten Häuser ein

Das letzte starke Erdbeben in Ostösterreich war am 16. April 1972, damals auch in derselben Gegend wie kürzlich: in Seebenstein, unmittelbar neben Neunkirchen. Das Beben hatte eine Stärke von 5,3 auf der Richterskala. "800 Feuerwehren waren im Einsatz", erzählt Wolfgang Lenhardt von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG).

In Guntrams und in Schwarzau stürzten damals zwei ältere Gebäude ein, viele weitere wurden schwer beschädigt. Gesimse und Kamine stürzten in Wiener Neustadt auf die Bundesstraße, weshalb diese stundenlang gesperrt war.

Auch in Wien richtete das Beben damals gehörige Schäden an. An der Universität Wien brachen 20 Meter der Balustrade herab. "Weil es ein Sonntagvormittag war, gab es keine Verletzten. Einen Tag später hätte es da Todesopfer geben können", so Lenhardt.

Zwentendorf pushte historische Erdbebenforschung

Eines der stärksten bisher gemessenen Erdbeben auf heutigem österreichischem Staatsgebiet ereignete sich im Jahr 1590 in Ried am Riederberg im Tullnerfeld. Man weiß heute relativ viel darüber, denn im Zuge des Baus des Kernkraftwerks Zwentendorf kam die Frage der Erdbebensicherheit auf. Das Epizentrum lag damals vermutlich ganz in der Nähe von Zwentendorf.

Aus zahlreichen historischen Quellen wurden damals die Schäden dieses starken Bebens erforscht, das wahrscheinlich eine Stärke von knapp 6 auf der Richterskala erreichte. Davon gab es auch in Wien einige: "Die Türme der Michaelerkirche und der Schottenkirche stürzten zum Teil ein und beschädigten die Kirchendächer", heißt es in einem Bericht dazu auf der Website der ZAMG.

Seismische Lager in Japan

Dass Gebäudeschäden auftreten, ist heutzutage aber auch durchaus gewollt. Bautechnisch wird nämlich bei sehr starken Erdbeben, wie sie im Ausland immer wieder auftreten, die Energie des Bebens abgebaut, indem sich Träger und Stützen im Haus stark verformen und an definierten Punkten "plastisch, aber nicht spröde", so Haferl, brechen: "Dabei wird die Energie in Wärme umgewandelt." Das wird in Erdbebengebieten so auch berechnet – und ist eingeplant, damit das Haus nicht einstürzt und die Bewohnerinnen und Bewohner unter sich begräbt.

In Japan, wo es immer wieder zu stärkeren Erdbeben kommt, stehen Häuser daher auf sogenannten seismischen Lagern, die das Beben dämpfen. "Dann rutscht das Haus auf diesem Dämpfer hin und her und wird beim Beben nicht beschädigt", sagt Haferl. Das koste viel, dafür treten in der Regel auch keine Schäden auf. (Martin Putschögl, Franziska Zoidl, 20.4.2021)