Da stand er, der erste Turnschuhminister Österreichs. Oder sollte man im Jahr 2021 nicht eher Sneaker-Minister sagen? Dunkler Anzug, aufgeknöpftes Hemd, hellgraue Sneaker von New Balance: Wolfgang Mückstein blieb bei seiner Angelobung der urbane "Hausarzt aus Wien-Mariahilf".

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Ein Ausrutscher war der legere Auftritt des Mittvierzigers aus dem Bobobezirk nicht, genauso wenig eine Überraschung. Dr. Mückstein trägt nicht erst seit gestern Turnschuhe, egal ob in der Arztpraxis oder in der Talkshow. Warum also nicht auch bei der Angelobung, zumal es mit Joschka Fischer einen bekannten Polit-Influencer im Sneaker-Metier gibt?

Wolfgang Mückstein wurde mit Sneakern in der Hofburg angelobt
Foto: APA/APA-POOL/ROLAND SCHLAGER

Zur Erinnerung: Anno 1985 trug der deutsche Grüne während seiner Vereidigung zum hessischen Umweltminister "schneeweiße Nike-Turnschuhe zu 149,90 Mark", wie der Spiegel damals spöttelte. Über drei Jahrzehnte später hat Österreich nun ebenfalls einen Sneaker-Minister – sogar mit Doktortitel und auf Bundesebene! Zwischen den Auftritten der beiden Grünen liegen nicht nur 36 Jahre, sondern auch ein völlig anderes Modeverständnis: Während Fischer einst in ausgebeultem Sakko und Turnschuhen sowohl das bürgerliche wie auch das Parteilager der Ökolatschenträger provozierte, wirkte Mückstein in Anzug und New Balance wie ein Minister aus dem Katalog.

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Joschka Fischer 1985 in Turnschuhen von Nike
Foto: picture-alliance/ dpa/ Heinz Wieseler

Selbst wenn sich der neue Gesundheitsminister nicht eine absurde modische Fehlleistung wie der einstige BZÖ-Mandatar Stefan Petzner leistete, der sich 2012 mit geflügelten Designermodellen von Jeremy Scott für Adidas als parlamentarischer Götterbote inszenierte – die Wahl seiner Sneaker-Marke war zwar günstig (rund 60 Euro kostet das Modell), dürfte aber eher zufällig erfolgt sein.

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Stefan Petzner mit geflügelten Sneakern
Foto: ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com

Ohne grüne Botschaft

Trug Mückstein bislang vorwiegend den grünen Mariahilfer "New-Economy-Schick" in Form von Sneakern des nachhaltigen französischen Labels Veja, begab er sich in einem Modell von New Balance zum Bundespräsidenten in die Hofburg.

Warum er ausgerechnet zu einer US-Marke griff, die in der Vergangenheit von Rechten vereinnahmt und von Trump-Fans gefeiert worden war, ist nicht bekannt. Dabei wäre die Angelobung doch die optimale Gelegenheit gewesen, Schuhen eines österreichischen Labels zu mehr Öffentlichkeit zu verhelfen, meint Michael Paul vom Wiener Sneakershop Stil-Laden. Seine Empfehlung für den Minister: Die in Österreich designten Schuhe von Dachstein, die machten mittlerweile "richtig gute" Schuhe.

Vermutlich hat Mückstein die Aufmerksamkeit, die seinen Sneakern zuteil wurde, unterschätzt. Dabei hätte er es besser wissen können. Nicht erst seit gestern werden die Outfits von Politikern und Politikerinnen filetiert.

Am Tag danach: Sozial- und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein und Gesundheitsstadtrat Peter Hacker am Dienstag, den 20. April 2021
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

So kam es am Tag der Angelobung, wie es kommen musste: Die legeren Schuhe und die tief sitzende Hose wurden auf Social Media zur willkommenen Ablenkung von Mutationen und steigenden Inzidenzen – und stahlen ihrem Träger kurzerhand die Show. Die heimischen Medien machten aus dem Mückstein einen Elefanten: Die einen attestierten ihm einen "Schuhfetisch, der Etikette-Experte Thomas Schäfer-Elmayer bemängelte den lockeren Sitz des Anzugs und die fehlende Krawatte, witterte gar mangelnden Respekt "gegenüber der Umgebung und dem Bundespräsidenten". Auf Twitter machte der Hashtag #sneakergate die Runde, sogar über die Reinigung von hellen Turnschuhen wurde debattiert. Es war, als habe die Welt noch nie einen Politiker in Sneakern gesehen.

Wahlkampf in Chucks

Dabei war Mücksteins vermeintlicher "Fehltritt" kein Vergleich zum Sneaker-Gate der amerikanischen Vizepräsidentin Kamala Harris Anfang des Jahres. Sie posierte auf dem Cover der amerikanischen Vogue in schwarzer Hose und einem dazupassenden Blazer, an den Füßen trug sie schwarze Chucks, ihr Markenzeichen. Die Demokratin sah aus, als sei sie von einer Wahlkampfveranstaltung vor die Kamera der Vogue gehüpft. Die Empörung war aus unterschiedlichen Gründen groß, ein Vorwurf an die US-Vogue lautete: Diese Inszenierung sei der ersten schwarzen Vizepräsidentin der USA nicht angemessen.

Foto: AFP Fotograf/ TYLER MITCHELL

Dabei hatte Kamala Harris’ Entscheidung für Chucks im Wahlkampf noch einwandfrei funktioniert. Sie signalisierten Dynamik wie Bodenständigkeit: Ich bin authentisch, eine Frau der Tat, ich bin eine von euch! Mit den erschwinglichen Sneakern von Converse, von denen sie übrigens eine stattliche Sammlung besitzt, sprach Harris die Jungen wie die Generation X an, also die Jahrgänge zwischen 1965 und 1980, die das Tragen von Chucks noch als rebellische Geste verstanden. In den Neunzigerjahren war der Converse-Sneaker fester Bestandteil jeder Grunge-Uniform.

Während Sneaker in den USA vergleichsweise selbstverständlich als Wahlkampfoutfit eingesetzt werden (die abgetragenen &-Other-Stories-Sneaker von Alexandria Ocasio-Cortez landeten im Museum, selbst die 71-jährige Demokratin Elizabeth Warren bekundete, am liebsten Sportschuhe mit weißen Sohlen zu tragen), gehen solche Auftritte im deutschsprachigen Raum oft in die Hose. Zu aufgesetzt, lautet in den meisten Fällen der Vorwurf an die Träger. Man erinnere sich an den bayerischen CSU-Politiker Günther Beckstein: 2007 bekam er zum Antritt als Ministerpräsident von Parteikollegen weiß-blaue Laufschuhe von Adidas geschenkt, die Bilder gingen durch die Medien. Die Wähler ließen sich von dem jugendlichen Accessoire nicht beeindrucken. Becksteins Amtszeit als Ministerpräsident? Wenig mehr als eine zweijährige Fußnote. Ähnlich unglaubwürdig: der Auftritt des deutschen Außenministers Heiko Maas in Lederjacke, Wollschal und High-Top-Sneakern. Die Medien jaulten auf, es blieb bei diesem Auftritt.

Wolfgang Mückstein wird sich hoffentlich nicht beirren lassen. Er dürfte noch einige Modelle im Kasten haben. (feld, 20.4.2021)