Fly-by-Pizza beim Hauptbahnhof: Die Disco Volante hat ab jetzt eine kleine Take-away-Schwester beim Südtiroler Platz.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Dass die Pizza als Protagonistin mediterraner Ernährung wahrgenommen wird, kann nur ein Missverständnis sein. Bloß weil Neapel am Mittelmeer liegt, kann dieses Machwerk aus Teig, tierischem Fett und einem Löffelchen schamroter Paradeisersalsa doch unmöglich als Heilsversprechen gesunder und geschmackvoller Ernährung wahrgenommen werden! Oder doch?

Unsereins ist bekanntlich darauf konditioniert, den Italienern noch die absurdesten Verirrungen als Darbietungen ihrer immerwährenden gastronomischen Überlegenheit zu verbuchen. Okay, das Fladenbrötchen bietet unleugbares Befriedigungspotenzial und erfreut sich dementsprechend von Pjöngjang bis Mar-a-Lago weltweiter Verehrung. In Wien hat das Flach-auf-den-Boden-Werfen vor der neapolitanischen Pizza im vergangenen Jahrzehnt aber speziell bemerkenswerte Ausmaße angenommen.

Ein Ende ist nicht abzusehen, im Gegenteil. Die Macherinnen der auch designmäßig auffälligen Pizzeria Volante an der Gumpendorfer Straße etwa haben sich schon vergangenen November darauf besonnen, dass Pizza als Take-away-Essen in Neapel am besten in frittierter Form funktioniert.

So wird der Teig knusprig, fluffig und fettig, geht auf wie ein flacher Krapfen, und das Innere ergießt sich beim Hineinbeißen wie zartrosa glühendes Magma über die Mundschleimhaut. Natürlich nur, wenn man kein gelernter Neapolitaner, sondern käsefüßiger Germano-Slawe von der falschen Seite der Alpen ist und gleich hineinbeißt, statt mit dem Verzehr ein paar Minuten (etwa für den Weg nach Hause) zu warten.

Seit ein paar Wochen hat die Volante eine kleine Schwester, die explizit auf Take-away macht. In der Kolschitzkygasse, gleich beim Südtiroler Platz, wurde der frühere Servus-Imbiss übernommen, mit Pizza-Gasofen versehen und auch sonst adrett hergerichtet. Neben herkömmlicher Pizza ist die Fritta hier das eigentliche Thema. Jene mit eher schüchtern gegrilltem Gemüse und mächtig Ricotta gemahnt in ihrer topfigen Geilheit und geschmacklichen Zurückhaltung fast an ein Dessert. Jene mit Mozzarella und pikanten Salamischnipseln ist dagegen definierter.

Fritta ist in der Kolschitzkygasse das eigentliche Thema.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Das Teigkissen erinnert auch in dieser Version an eine Art salzigen Krapfen, außen knusprig, fett, innen teigig, elastisch, für Teigfreaks zweifellos der Abteilung schuldhaftes Vergnügen zuzuordnen. Dass es die klassisch neapolitanische "fritta completa" mit viel Ricotta, Provola, Pfeffer und gehackten, an sehr schweinische Grammeln erinnernden "cicoli" (also allem, was beim Fleisch-, Fett- und Käsemachen übrig bleibt) hier nicht gibt, könnten cisalpine Napoli-Fanatiker bekritteln. Wer Frittiertes meidet und dennoch Take-away-Pizza will, dem sei das Teigkissen aus dem Ofen, Ripiena vulgo Calzone, empfohlen: In dieser Form bleibt’s, wie Neapologen wissen, am ehesten warm.

Fritz da Napoli

Auch sonst wird die subvesuvische Kunst, aus Restln (und hier vorzugsweise aus noch mehr Teigwaren!) ein Essen zu zaubern, gepflogen: Frittatine, frittierte Pasta-Überbleibsel, werden wahlweise mit Pesto oder Erbsen und Schinken vermengt, in zylindrischer Form eingebacken und frittiert. Gerät dank Béchamel (hurra, noch mehr Stärke!) hübsch cremig, das Backfett schmeckt dezidiert nach Schinken und Schmalz, auch das kennt man so aus Neapel.

Frittierte Salbeiblätter und Arancini (genau, die knusprig gebackenen Risotto-Restln!) gibt es auch, spätestens da wird aber der eine oder andere Sprizz, ob mit Campari oder, verdauungsanimierend, mit Cynar, unvermeidlich. Nach dem Lockdown, wenn auch der Gastgarten vor der Bude fertig sein soll, wird es das auch vor Ort geben. (Severin Corti, RONDO, 23.4.2021)

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