Blühende Baumkronen und duftende Frühlingsblumen heben das Gemüt. Nicht nur die gesteigerte Lichtintensität, sondern auch die Geruchskulisse tragen laut Glücksforschung dazu bei, dass viele Menschen den Frühling als Zeit des Aufbruchs erleben.

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Wie angenehm der Frühling doch duftet – oder etwa doch nicht? Hätten wir keine emotionale Bindung an die Jahreszeit, die das Leben wieder sprießen ließe, würde unseren Nasen vielleicht etwas weniger Wohltuendes auffallen: Fäulnis.

Tatsächlich zeigt eine nüchterne Analyse schnell, dass die olfaktorische Signatur des anbrechenden Lenzes von Zersetzung bestimmt wird. Eine der Komponenten bildet die von Mikroorganismen produzierte und erdig-modrig riechende Substanz Geosmin.

Der menschliche Geruchssinn ist für diese Duftmarke äußerst empfänglich und erkennt Geosmin ab einer Konzentration von fünf Molekülen in einer Billion. So fällt schon lange vor den ersten sonnengeküssten Tagen der Satz: "Es riecht nach Frühling."

Veränderte Geruchskulisse

Dieser typische Duft ist tief im Hippocampus, einer der stammesgeschichtlich ältesten Hirnregionen, gespeichert. Er ist Teil des limbischen Systems, in dem Gefühle sowie Erinnerungen abgelegt sind und das in enger Verbindung mit dem Geruchssinn steht.

Schneller als alle anderen Einflüsse können Gerüche daher emotional gefärbte Erinnerungen wachrütteln. Sie wecken die Vorfreude auf die bevorstehende warme Jahreszeit und können dadurch die Laune verbessern.

Ausschlaggebend ist die deutliche Veränderung der Geruchskulisse, wie Stefan Höfer von der Med-Uni Innsbruck erklärt. "Wenn man ständig in derselben Duftwolke ist, schwindet die Bedeutung des Geruchs. Verändern sich im Frühjahr die Gerüche, nehmen wir das wahr und reagieren darauf", sagt der Glücksforscher.

Einflussreicher Kontrast

Frühlingsgefühlen und dem Glück ist gemein, dass sie für ihr Entstehen einer gewissen Abwechslung bedürfen. "Menschen sind darauf ausgelegt, vor allem Veränderungen wahrzunehmen, was konstant vorhanden ist, verschwindet in der Wahrnehmung", erläutert Höfer. Das Besondere am Frühling sei, dass er keine Achtsamkeit erfordere, sondern uns überrollt. "Die Natur zwingt uns ihren Ablauf auf, wir müssen nichts dazu beitragen und erleben ein passives Glück."

Die merklichen Kontraste zum düsteren Winter äußern sich in einer Reihe von Reizen, etwa der verstärkten Lichtintensität, die als wesentliche Einflussgröße für unser saisonal verändertes Verhalten gilt. Während an Wintertagen das Licht etwa 3000 Lux hat, kommen schöne Frühlingstage mit einer Lichtstärke von 10.000 Lux daher.

Folglich steigt der Pegel des Neurotransmitters Dopamin, während die Produktion des Schlafhormons Melatonin sinkt. Verändert sich das Verhältnis der körpereigenen Botenstoffe, fühlen wir uns deutlich kommunikativer und unternehmungslustiger. Erhöhte Konzentrationen von Dopamin treten übrigens auch auf, wenn wir verliebt sind.

Aufwärtsspirale

Obwohl der Frühling den Hormonspiegel verändert, bewirkt er keine überbordende Ausschüttung von Sexualhormonen, wie oft gemutmaßt wird. Zwar belegen Studien, dass der Testosteronspiegel leichten saisonalen Schwankungen unterliegt, doch löst der Anstieg im Frühjahr keine hormonellen Rauschzustände aus.

Zudem ist auch die Wirkmacht körpereigener Botenstoffe begrenzt. "Nur Hormone umzustellen zaubert keine Frühlingsgefühle herbei", sagt Höfer. Vielmehr ist es eine positive Aufwärtsspirale, in der sich körperliche und psychische Faktoren ergänzen.

"Wir sind nicht mehr auf die dunkle Höhle angewiesen, es ist wärmer, das eröffnet neue Möglichkeiten, tut uns gut und beeinflusst wiederum den Hormonhaushalt", sagt er. In der Glücksforschung hat sich die Maienzeit tatsächlich als besonders freudvolle Saison hervorgetan, wie der Forscher berichtet.

Aufbruchsstimmung

Die Aufbruchsstimmung zu Frühlingsbeginn kennt auch die Psychologin und Psychotherapeutin Birgit Maurer, die eine Praxis in Wien betreibt. Der Lenz spricht mit Vogelgezwitscher, wärmender Sonne, huschenden Eichhörnchen und sprießenden Blumen alle Sinne an, der Mensch orientiert sich wieder mehr nach außen. "Durch die Stimulierung unserer Sinne werden die Sinnlichkeit und die Fantasie aktiviert," erklärt sie. Dadurch steigen die Liebes- und Erlebnisbereitschaft, man möchte hinaus in die Natur und Menschen treffen.

Beim Entstehen von Frühlingsgefühlen spielen Maurer zufolge reaktivierte Erinnerungen und das Mehr an sensorischen Eindrücken zusammen. Gerüche haben einen hohen Stellenwert, da sie den stärksten Einfluss auf den logischen Teil des Hirns haben.

Ältester Sinn

Bei Säugetieren ist der Geruchssinn der älteste Sinn, die Nase ein lebenswichtiges Spürorgan, um die Welt wahrzunehmen. Er schützt vor Gefahren und entscheidet nicht zuletzt auch bei der Partnerwahl. Bevor wir sehen und hören, können wir im Mutterleib schon riechen, unterstreicht Maurer die Bedeutung des Geruchssinns.

"Definitiv beeinflussen Gerüche die Laune, sie rufen positiv besetzte Bilder in Erinnerung, können aber auch Traumata zurückbringen", sagt die Psychologin.

Verlangen nach Sozialkontakten

In der Praxis von Birgit Maurer sind Frühlingsgefühle gerade jetzt in Pandemiezeiten ein großes Thema. Denn dem Verlangen nach Sozialkontakten stehen derzeit notwendige Schutzmaßnahmen im Weg. "Die Leute lechzen nach positiven Eindrücken und freuen sich in der aktuellen Situation noch viel mehr auf den bevorstehenden Frühling", schildert sie.

Neben einem Kontrast zum tristen Winter sehnen viele einen Kontrapunkt zur virtuellen Welt des Homeoffice und der Onlinekonferenzen herbei. Darin könne auch ein Grund für die Pandemiemüdigkeit liegen. Schließlich läuft die nötige Kontaktreduktion dem Aufbruch zugegen, den uns die Natur nun anzeigt. Oder unter die Nase reibt. (Marlene Erhart, 27.4.2021)