Gedanken an ein Lavendelfeld: Beim Riechtraining soll man sich Gerüche intensiv vorstellen, während man sie wahrzunehmen versucht.

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In dem luftdichten Behälter sind getrockneter Lavendel, Rosenblätter oder Zimt. Vielleicht sind es auch ein paar Tropfen von ätherischen Ölen, die nach Orange, Zitrone oder Pfefferminz riechen.

Vier solche Behälter mit unterschiedlichen Gerüchen sind jeden Tag jeweils morgens und abends zu öffnen, um intensiv daran zu riechen: Man atmet zweimal tief ein, gleichzeitig soll man sich den vorgesetzten Geruch intensiv im Geiste vorstellen. Dinge, Erlebnisse, Erinnerungen, die man damit assoziiert, sollen abgerufen werden.

So sieht der Vorgang eines Riechtrainings aus. Menschen, die ihren Geruchssinn teilweise oder vollständig verloren haben, sollen auf diese Art längerfristig eine Besserung erreichen. Die Gründe für eine beeinträchtigte Funktion des Sinnesorgans sind vielfältig. Sie reichen von Entzündungen und Infektionen über Kopfverletzungen bis zu Polypen oder Allergien. Mit der Corona-Erkrankung ist zudem eine neue Ursache dazugekommen, die viele Menschen betrifft.

Dauerhafte Riechschädigung

Meistens kommt der Geruchssinn von allein wieder zurück. Man lernt ganz von selbst, wieder zu riechen. Doch in manchen Fällen bleibt die Schädigung bestehen. Solche Patienten wurden im Rahmen des vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Projekts "Von der Nase zum Gehirn" zu einer Studie eingeladen. Über sechs Monate sollten sie in der beschriebenen Art mit vier Gerüchen trainieren, um zu erproben, ob sich damit eine signifikante Verbesserung erzielen lässt.

Projektleiter Florian Fischmeister vom Institut für Psychologie der Universität Graz hat mit Kolleginnen und Kollegen die Studienteilnehmer über die Dauer dieser Trainings begleitet. Zu Beginn, Halbzeit und am Studienende wurde nicht nur die Geruchsfähigkeit der Probanden überprüft, sondern auch untersucht, ob es in jenen Regionen des Gehirns, in denen Gerüche verarbeitet werden, zu Veränderungen gekommen ist.

Nasen-Mikrobiom

Gleichzeitig stand aber noch ein anderer Einflussgeber im Fokus der Studie – das Mikrobiom der Nase. Ähnlich wie im Darm, auf der Haut und anderen Schleimhäuten wird auch das Innere der Nase von unzähligen Mikroorganismen – Bakterien, Pilzen, Archaeen und auch Viren – besiedelt.

"Wir wollen unter anderem herausfinden, ob und wie sich das nasale Mikrobiom eines Menschen, der an Anosmie, also der Unfähigkeit zu riechen, erkrankt ist, von einem gesunden unterscheidet", erklärt Fischmeister. "Im Vergleich zum Mikrobiom im Magen- und Darmtrakt gibt es zu jenem in der Nase noch recht wenige Forschungsarbeiten. Hier wollen wir aufholen."

Mikroorganismen im Riechorgan

Das Darmmikrobiom, dem Einfluss auf alle möglichen Erkrankungen – von Diabetes bis Demenz – nachgesagt wird, hat zuletzt in der medizinischen Forschung besonders viel Aufmerksamkeit bekommen. Fischmeister, der in der Projektleiterrolle der Nachfolger von Kollegin Veronika Schöpf ist, arbeitet mit Christine Moissl-Eichinger vom Zentrum für Mikrobiomforschung der Medizinischen Universität Graz zusammen, um dem Nasen-Mikrobiom auf die Spur zu kommen.

Dass es Zusammenhänge zwischen der Riechfähigkeit eines Menschen und der Zusammensetzung des Mikrobioms am Riechorgan gibt, konnten die Forschenden bereits zeigen. In einer Pilotstudie wurden die Mikroorganismen am sogenannten olfaktorischen Epithel analysiert, also jenem Gewebe im oberen Bereich der Nasenhöhle, das auf die Erfassung von Gerüchen spezialisiert ist.

Dabei zeigte sich, dass das Mikrobiom von Menschen, die unter Hyposmie – dem teilweisen Verlust des Geruchssinns – leiden, eine höhere Diversität aufwies als jenes von Personen mit normaler Riechfähigkeit.

Veränderungen im Gehirn

Besonders fiel den Forschenden eine Spezies Buttersäure produzierender Bakterien auf, die eigentlich üblicherweise zum Darmmikrobiom gehört und die im Zusammenhang mit dem geringeren Riechvermögen stehen könnte. "Warum diese Bakterien dort sind und wie sie dort hinkommen, ist noch unklar", sagt Fischmeister.

Das Riechtraining zielt auf die Weitergabe und Verarbeitung der Geruchsinformationen im Gehirn ab. Dank der Neuroplastizität des Gehirns sollen neue Verbindungen im olfaktorischen Kortex entstehen, um eine bessere Sinneswahrnehmung zu erlauben. Teil der Untersuchungen an den Probanden der Trainingsstudie waren deshalb MRT-Aufnahmen, die man durchgeführt hat, während den Patienten Gerüche präsentiert wurden. Auf diese Art sollen das Training und die Veränderungen im Mikrobiom in Zusammenhang mit Entwicklungen im Gehirn gesetzt werden.

Das Nasenmikrobiom selbst ist nicht für den Verlust des Geruchssinns verantwortlich, betont Fischmeister. Es habe aber als Teil eines komplexen Wechselspiels beim Riechvorgang eine "modulierende Wirkung". Das tägliche, bewusste Riechen, das auf die neurologischen Anpassungen zur Verbesserung der Riechfähigkeit abzielt, zeigt letzten Endes auch hier Auswirkungen. "Dem Training folgt auch eine Veränderung des Mikrobioms", sagt Fischmeister.

Trainingserfolge

Die bisherigen Ergebnisse der Studie, bei der etwa 20 Teilnehmer die vollen sechs Monate absolviert haben, zeigen für Fischmeister sehr erfreuliche Erfolge. Im Vergleich zur Kontrollgruppe zeigte sich bei fast allen Probanden eine positive Wirkung. "Über 90 Prozent konnten eine Verbesserung erreichen", betont der Forscher. Wer ein beeinträchtigtes Riechvermögen hatte, näherte sich wieder einer normalen Sinnestätigkeit an.

Viele der Patienten, die an einem vollkommenen Verlust des Geruchssinns litten, verbesserten sich in Richtung des hyposmischen, also nur beeinträchtigten Bereichs. Die MRT-Aufnahmen bestätigen für Fischmeister, dass die "mit dem Riechen assoziierten Netzwerke im Gehirn zum Teil wiederhergestellt werden". Ein ähnliches Bild zeigt die Zusammensetzung des Mikrobioms: Auch hier weisen die Probanden nach dem Training verstärkt Merkmale von Menschen mit normalem Geruchssinn auf.

Untersuchungen dieser Art, die Veränderungen des Mikrobioms der Nase berücksichtigen und in den Fokus nehmen, sollen künftig – ähnlich der Forschung am Darmmikrobiom – häufiger werden. Wenn der Einfluss von Bakterien & Co in der Nase im Detail verstanden wird, könnten sie künftig vielleicht auch helfen, gezielte Therapien zu entwickeln. Fischer sagt dazu: "Probiotika-Therapien für den Magen-Darm-Trakt sind heute sehr verbreitet. Von einem Pendant für die Nase sind wir aber noch weit entfernt." (Alois Pumhösel, 29.4.2021)