Fledermäuse sind ein möglicher Ausgangswirt von Sars-CoV-2. Über einen Zwischenwirt könnten Menschen infiziert worden sein.

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Ein kleiner Raum im Robert-Koch-Institut in Berlin, fünf Ultratiefkühlschränke, minus 80 Grad Celsius. Hier lagern sie, die Proben, die helfen sollen, die nächste Pandemie zu verhindern: Kot, Urin, Blut und Gewebe.

Fabian Leendertz (48), ein Mann in Wollpullover und Wanderschuhen, wirft die schwere Tür des Kühlschranks zu und verschließt sie mit einem Hebel. Leendertz leitet am Robert-Koch-Institut die Arbeitsgruppe "Epidemiologie hochpathogener Erreger". Sein Spezialgebiet sind Zoonosen, Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen überspringen und umgekehrt. Weltweit gibt es mehr als 200 solcher Krankheiten, unter ihnen Tollwut, Aids, Ebola, Sars, Mers, Gelbfieber – und vermutlich auch Covid-19.

Im besten Fall findet Leendertz sie, ehe sie mit Menschen in Kontakt kommen. Oft sind die Erreger aber schneller. Die Grippe sprang von Wasservögeln auf den Menschen über, die Masern von Rindern, Aids von Menschenaffen. Malaria, eine Parasitose, war vermutlich ursprünglich eine Affenkrankheit. In Tieren, schätzen Fachleute, könne es mehr als 320.000 Viren geben, die der Menschheit gefährlich werden könnten.

Verhandlungen mit China

Leendertz gehört zu der Gruppe aus zehn Expertinnen und Experten, die im Auftrag der WHO den Ursprung der Covid-Pandemie erforscht. Das Team soll herausfinden, wie das Virus in die Welt kam. Fast ein Jahr lang hatte die WHO mit China über die Entsendung der Delegation verhandelt.

Die chinesische Regierung hatte lange gezögert, dann Ende Dezember überraschend zugestimmt. Gerüchte, wonach die WHO nur untersuchen darf, was China freigegeben hat, will Leendertz nicht bestätigen. "Ich sag es mal so: Wir haben eine Liste mit Orten vorgelegt, die wir sehen wollen, und die wurden alle genehmigt", sagt er. Er wägt seine Worte ab, wenn es um politische Fragen geht, ganz so, als wollte er die Mission nicht zusätzlich erschweren.

Die Suche nach dem Ursprung der Pandemie ist schwierig genug. Weil nicht alle Menschen, die mit dem Coronavirus infiziert sind, Symptome zeigen, sei es so gut wie unmöglich, von Patient zu Patient zurückzugehen, bis der erste Infizierte gefunden sei, sagt Leendertz. Doch genau das versucht das WHO-Team: Die Forscherinnen und Forscher wollen herausfinden, wo das Virus zum ersten Mal auf den Menschen übersprang.

Arbeit in Wuhan

Dafür sprechen sie in Wuhan mit Ärztinnen und Ärzten der ersten Stunde, besuchen Labore, prüfen Krankenakten und Listen mit Wildtieren, die auf dem Markt gehandelt wurden. Leendertz’ Aufgabe ist es, sich die möglichen Kontakte zwischen Tier und Mensch genauer anzuschauen: Woher kamen die Tiere, die auf dem Markt gehandelt wurden? Wo hätten sich die Menschen außerhalb des Tiermarkts infizieren können?

Warum Zoonosen für Menschen so gefährlich sein können, erklärt Leendertz so: Unser Immunsystem hat dem einen Erreger, der von einem Tier auf einen Menschen überspringt, nichts entgegensetzen. Ein Virus, das bei einer Fledermaus keine oder nur leichte Symptome auslöst, kann einen Menschen töten.

Forscherinnen und Forscher untersuchen daher regelmäßig Tiere, die als Reservoire für Krankheitserreger gelten, besonders jene, die sich häufig in der Nähe menschlicher Siedlungen aufhalten: Nagetiere, Fledermäuse und Flughunde. Und sie untersuchen Spuren von Kot und Urin sowie Aasfresser und Schmeißfliegen, die mit Wildtieren in Kontakt kommen. Im Falle von Sars-CoV-2 ist noch unklar, ob das Virus direkt auf einen Menschen übersprang oder den Weg über einen Zwischenwirt nahm.

Eine Frage der Zeit

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Fabian Leendertz erforscht Zoonosen.
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"Es war nur eine Frage der Zeit, dass eine Pandemie ausbricht", sagt Leendertz. "Es wird in Zukunft immer öfter passieren." Der Mensch dringe tiefer in den Lebensraum der Tiere ein, es werde immer wahrscheinlicher, dass ein Virus überspringt.

Und: "Noch nie waren die Menschen so gut vernetzt. Das Tempo, mit dem sich ein Erreger verbreitet, erhöht sich stetig." Den Ursprung eines Ausbruchs zu kennen werde deshalb immer wichtiger. Je mehr die Forschenden wissen, desto besser können sie das Spektrum an neuen Erregern und Varianten bekannter Erreger eingrenzen und mögliche Hotspots benennen.

Neue Erreger könnten so womöglich noch vor dem Überspringen gestoppt werden. Danach sei es extrem schwierig, Viren wie Ebola oder Sars-CoV-2 aufzuhalten, sagt Leendertz, das habe die Corona-Pandemie gezeigt.

Langwierige Rückverfolgung

Doch ist es im Falle von Sars-CoV-2 nicht ein bisschen spät, um die Fährte aufzunehmen? Leendertz sagt, grundsätzlich gelte: Je frischer die Spur, desto leichter lasse sie sich zurückverfolgen. Auf dem Tiermarkt von Wuhan können heute keine Proben mehr genommen werden; der wurde bereits im Jänner 2020 abgesperrt und desinfiziert. Trotzdem lohnten die Ermittlungen auch jetzt noch, sagt Leendertz.

Wie das Virus auf den Huanan-Markt kam, konnte die WHO-Delegation bisher nicht klären. Die Laborthese halten die Forscherinnen und Forscher weiterhin für "extrem unwahrscheinlich".

Tierischer Ursprung

Alle Daten weisen in eine andere Richtung, nämlich auf Wild- oder Nutztiere als Ursprung. Zudem hat die Sequenzierung des Virus-Erbguts gezeigt, dass das neue Virus bereits bekannten Coronaviren ähnelt. Und nahe Verwandte des Erregers wurden auch in freier Wildbahn gefunden – in Fledermäusen in einer südchinesischen Höhle.

Am Ende einer lang geplanten Mission steht also bisher noch keine bahnbrechende neue Erkenntnis. Fabian Leendertz ist dennoch zuversichtlich, noch viel mehr über den Ursprung des Virus herausfinden zu können.

Er sieht sich nun die Verwandten des Virus genauer an. Außerdem will er mehr über die Nutzung von Fledermausguano herausfinden. Der stickstoffreiche Dünger wird aus den Exkrementen der Tiere gewonnen. Auch nach Kambodscha und Vietnam will der Zoonosenfachmann schauen. Das werde Wochen, Monate dauern, vielleicht Jahre. (Friederike Oertel, 26.4.2021)