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Burger bekleidete auf für Österreich fast schon untypische Weise die Rolle des öffentlichen Intellektuellen.

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Die Einsicht, dass Denken und Klarheit zusammengehören, verdankte der Wiener Rudolf Burger einer schreiberischen Dringlichkeit, die manche seiner Leser frösteln machte. Seine philosophische Prosa schien mit äußerster Sorgfalt formuliert, voller Bedacht auf Haltbarkeit und kristalline Härte. Man durfte Burger, dem gelernten Physiker, zustimmen, weil seine Urteile viel zu sorgsam erwogen waren, als dass man sie schnöde hätte abtun können. Dafür musste man auf Entgegennahme äußerst unliebsamer, mitunter sogar "skandalöser" Mitteilungen gefasst sein.

Der Denker, dem eine natürliche Eleganz eignete, die vom Scheitel bis zur Lederschuhsohle reichte und im blauen Dunst des starken Rauchers besonders wirksam zur Geltung kam, stieß das heimische "milieu juste" verlässlich vor den Kopf.

Indem Burger annahm, dass ein solcher das Tragen besonders heikler Lasten auszuhalten habe, stilisierte er sich früh zum Überbringer schlechter Nachrichten. Unvergessen die geradezu mitleidlose Kälte, mit der er in den 1980er-Jahren den Naturbegriff der Grünen als Neigung zu gartenseligem Kitsch demaskierte. "Die geschützte Natur ist keine Natur. Sie ist ein Artefakt", registrierte der Denker.

Burger nahm dabei die Pose des Dandys ein, der die Abklärung auch noch so heikler Sachlagen zu leisten habe: in einsamer Stellvertretung für die Allgemeinheit. So jemand sucht nicht den Widerspruch. Er verwundert sich aber auch nicht über die Borniertheit derer, die mit dem Verlust ihrer liebsten Denkklischees zugleich die Geschäftsgrundlage auf dem Meinungsmarkt einbüßen.

Quellen des Nonkonformismus

Wenn man sich heute scheut, Burger einen linken Denker zu nennen, so unterschlägt man damit dennoch die Quellen dieses Nonkonformisten. Wiewohl Physiker, habilitierte sich Burger 1979 als Wissenschaftssoziologe. Zu Marx wusste der spätere Hochschullehrer und Rektor – an der Universität für angewandte Kunst – einiges Endgültige anzumerken.

Seinem Gepräge nach aber blieb Burger sozusagen unverbesserlicher Links-Hegelianer: Wer die unnachahmliche stilistische Eleganz dieses famosen Essayisten überprüfen will, sozusagen ihren zahllosen Nuancen nachschmecken, der lese zum Beispiel "Ein herrlicher Sonnenaufgang", Burgers wissenden Nachvollzug einer Wechselwirkung von Tugend und Terror, erörtert im Zusammenhang von Hegels "Phänomenologie des Geistes" (in "Jenseits der Linie", bei Sonderzahl neu erschienen 2020).

Es gehört gewiss nicht zu den unlösbaren Rätseln eines gleichbleibend scharfen Denkens, dass es sich Rudolf Burger hierzulande mit fast allen "verdarb". Prägungen wie die von Außenminister Alois Mock als "kriegsgeilem Kiebitz" wurden zunächst verwundert aufgenommen. Als Burger sich gegen die seiner Meinung nach unproduktiven Seiten der Gedenkkultur wandte (in "Plädoyer für das Vergessen"), konnte er die geharnischten Beschwerden gar nicht alle aufnehmen. Fast schien es, als wechselten ehemalige Sympathisanten nunmehr die Straßenseite, wenn sie des "literarischen Philosophen" (Bernhard Kraller) ansichtig wurden.

Tugendprotzen begegnete Burger persönlich mit zurückhaltender Höflichkeit, in der Sache aber anhaltend kompromisslos. Dass die "dauerhafte Memorierung von Großverbrechen" seiner Meinung nach neue Verbrechen eben nicht verhindere, sondern allenfalls weitere nach sich ziehe, schien für viele der eine abklärende Gedanke zu viel.

Hitzegrade der Erregung

Festlegungen misstraute Rudolf Burger grundsätzlich, ebenso allzu systematischen Überlegungen. Die Kritik an der schwarzblauen Regierung unter Wolfgang Schüssel (ÖVP) zu Anfang des Jahrtausends wies er nicht rundweg zurück; er beklagte nur den Hitzegrad der Erregung und tat die gewohnheitsmäßigen Märsche der Protestierer als "antifaschistischen Karneval" ab.

Die Einsamkeit, die rund um den Einzelgänger entstand, mochte diesen womöglich befriedigt haben: die "Disinvolture", das erwünschte Unbeteiligtsein, schien belastbar geworden und zur Ethik ausgehärtet. Um Härte bemüht sich jedoch vornehmlich derjenige, der am Blech der anderen: den schlecht vorgebrachten, den vollends nicht zu Ende gedachten Gründen, schon aus Liebe zur Zweckmäßigkeit und zur Schönheit verzweifelt.

Aus heutiger Sicht bilden Rudolf-Burger-Essaybände wie "Überfälle" (1993) oder "Ptolemäische Vermutungen" (2001) den nicht immer erfreulichen Gang der Dinge in der Spätmoderne getreulicher ab als so manches, ehemals in den Himmel gelobtes Werk. Hier, auf Erden, drängen die Verhältnisse zu größerer Bescheidenheit: Da ist man mit der Einhegung der eher bestialischen Anteile des Menschen gut beschäftigt. So und nicht anders wollte Burger auch seinen Staatsrechtler Hobbes verstanden wissen: als Verfechter eines Staates, der "das Ergebnis der begründeten Angst des Volkes vor sich selbst ist."

Burger hat in der Abwehr des Schlimmsten das für alle Beste erkannt. Die Abwehr von Rohheit und Barbarei hat er als schöne Kunst betrieben: diejenige des Denkens. Jetzt ist Rudolf Burger 82-jährig in einem Wiener Spital gestorben. (Ronald Pohl, 20.4.2021)