Sachverständige erfüllen eine wichtige Rolle vor Gericht, zu immer schlechteren Rahmenbedingungen. Das kann Folgen haben.

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Innsbruck – Vor genau einem Jahr eskalierte der Obsorgestreit, den Frau W. mit ihrem Ex-Partner seit der Trennung 2013 vor Gericht austrägt. Acht Beamte kamen zur Wohnung der Frau in Innsbruck, um die zehnjährige Tochter abzuholen und zum Vater zurückzubringen. Nach jahrelangem Hin und Her wollte das Mädchen nicht mehr zu ihm, wo es auf Anordnung des Gerichts leben sollte. Die Szenen haben sich bei W. eingebrannt, wie sie erzählt. Insgesamt zwei Stunden dauerte die Abholung. Die Frau wurde am Boden fixiert und im Kinderzimmer eingesperrt. Derweil hatte sich die Zehnjährige auf den Balkon ausgesperrt. "Sie hat sich mit Händen und Füßen gewehrt", erzählt die Mutter.

Basis der Amtshandlung war ein Gutachten, wonach das Kind fremd- oder "subsidiär" beim Vater untergebracht werden sollte. Erstellt worden war es vom Psychologen Daniel Gutschner, der in Vorarlberg sowie in der Schweiz "forensische Institute" betreibt. Wie Gutschner selbst erklärt, ist er "hauptberuflich Gerichtssachverständiger" – und als solcher wurde er in der Schweiz vom Berufsverband verurteilt. In Österreich arbeitet er weiter.

Sein Werdegang: Ende der 1990er-Jahre absolvierte er das Doppelstudium Pädagogik und Psychologie in Innsbruck – wobei er nur in Pädagogik eine Diplomarbeit, zusammen mit einer Kommilitonin, geschrieben hat, sich den Abschluss aber auf beide Fächer anrechnen ließ. Dann ging er in die Schweiz, wo er im Jahr 2000 zum Doktoratsstudium Psychologie zugelassen wurde, das er 2005 erfolgreich abgeschlossen hat, wobei seine 123-seitige Doktorarbeit aktuell Gegenstand von Plagiatsprüfungen ist, die Gutschner selbst an der Uni Basel veranlasst hat, um dahingehende Vorwürfe zu entkräften.

Schnell und umstritten

In der Schweiz erarbeitete er sich den Ruf, schnell zu begutachten, was ihn bei den Behörden beliebt machte. Rund 30 Gutachten erstellte Gutschner nach eigenen Angaben jährlich in der Schweiz, "zwischen acht und 15" sind es pro Jahr in Österreich.

Doch mittlerweile hat Gutschner die beiden Institute in Fachpraxen umbenannt. Und in der Schweiz erstellt er vorerst gar keine Gutachten mehr. Hintergrund sind massive Vorwürfe, die Betroffene gegen ihn vorbringen. Sie alle ähneln sich: Gutschner verhalte sich unwirsch, sei voreingenommen und nehme sich keine Zeit zuzuhören. Er widerspricht allen Anschuldigungen entschieden, darf aber wegen der Verschwiegenheitspflicht nicht näher zu den Fällen Stellung beziehen.

Fremdunterbringungen sorgten für Aufregung

Vor allem jene Fälle, in denen er Fremdunterbringung von Kindern gegen deren Willen anordnete, sorgten für Aufregung. Die Schilderungen der Betroffenen ähneln den Erzählungen von Frau W. – Kinder wurden von der Polizei abgeholt. 2020 war der Fall Gutschner groß Thema in Schweizer Medien. Denn die Berufsethikkommission des Berufsverbands der Schweizer Psychologen, wo sechs Beschwerden gegen Gutschner eingebracht wurden, hat ihn in vier Fällen – noch nicht rechtkräftig – zu Geldbußen verurteilt. Er legte Rekurs ein und trat aus dem Verband aus.

In Österreich ist Gutschner weiter tätig. Betroffene, in deren Fall er aktuell vom Landesgericht Feldkirch als Gutachter bestellt wurde, hatten versucht, Beschwerde einzulegen – ohne Erfolg. Zwar lief zeitgleich gegen Gutschner ein Justizverwaltungsverfahren am Landesgericht Feldkirch. Doch die Eingaben, deren Inhalt nicht näher genannt werden, hätten keine Anhaltspunkte ergeben, ihn von der Liste der Sachverständigen zu nehmen, heißt es vonseiten des Gerichts.

Schwierige Situation der Sachverständigen

Gutschner selbst fühlt sich als Opfer von Verleumdung und einer medialen Kampagne. Beim Hauptverband der Gerichtssachverständigen kennt man den Fall, darf dazu aber inhaltlich ebenfalls nichts sagen. Grundsätzlich sei anzumerken, dass es einerseits wichtig sei, dass Gutachter nicht einfach aufgrund von Beschwerden Betroffener abberufen werden können.

Anderseits hält man fest, dass die Sachverständigentätigkeit nicht als Hauptberuf gedacht sei. Allerdings herrsche im Obsorgebereich, wo die Streitigkeiten sehr emotional geführt werden, Mangel an Gutachtern. Mit ein Grund sei die schlechte Vergütung. Seit 2007 wurden die Tarife nicht mehr erhöht, daher lassen sich viele Sachverständige als solche von den Gerichtslisten streichen.

Frau W. darf ihre Tochter mittlerweile jedes zweite Wochenende sehen. Das Kind ist nach wie vor "subsidiär" beim Vater untergebracht. Das Mädchen wird im Sommer zwölf Jahre alt, mit 14 darf sie selbst entscheiden, wo sie leben will, darauf wollen die beiden nun warten. (Steffen Arora, 21.4.2022)