Die Covid-19-Pandemie und die von ihr ausgelöste Wirtschaftskrise sorgen nicht nur in der Finanz- und Sozialpolitik in den meisten Industrieländern für Erschütterungen, sondern auch in der von Ökonominnen und Ökonomen geführten Debatte über die Rolle des Staates, die Zukunft der Arbeit und das Gleichgewicht zwischen notwendigem Wirtschaftswachstum und den Erfordernissen zur Bekämpfung der globalen Erwärmung.

Ökonom Daniel Gros war einer der vier Gäste, (siehe Infobox) die im Rahmen der Reihe "Europa im Diskurs", einer Kooperation des Burgtheaters, des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), der ERSTE Stiftung und DER STANDARD, aufs Podium geladen waren. Gefragt, ob es eine Revolution im ökonomischen Denken brauche, sagte er: "Manche Dinge sollten überdacht werden. Aber wir übertreiben, wenn wir über Revolution sprechen." Die Wirtschaft werden nach der Krise mehr oder weniger so funktionieren wir vorher. Dass die nachpandemische Wirtschaft digitaler und grüner sein wird, nannte Gros, der Vorstandsmitglied am Centre for European Policy Studies ist, "Evolution".

Die Podiumsdiskussion im Burgtheater.
IWMVienna

Lehrbuchbeispiel Klimawandel

Harald Oberhofer, Ökonomieprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien, pflichtete bei. Die Theorie negativer externer Effekte sei 100 Jahre alt und die Klimakrise ein "Lehrbuchbeispiel für externe Effekte". Ökonomen wüssten seit 100 Jahren, wie man Treibhausgasemissionen reduzieren könne, beispielweise durch sinnvolle Besteuerung von Emissionen. Die Gründe dafür, dass die Probleme nicht entsprechend angegangen werden, lägen eher auf Seiten der Politik als auf Seiten der Wirtschaftswissenschaft.

Lisa Herzog, Professorin für politische Philosophie an der Universität Groningen, wandte ein, dass der ökonomische Werkzeugkasten womöglich nicht ausreiche, um die grüne Wende herbeizuführen. Schließlich würden die Treibhausgasemissionen pro Kopf mit dem Einkommen von Individuen steigen. "Reiche Menschen konsumieren mehr CO2".

Mit CO2-Steuern könne man die Emissionen reicherer Menschen – etwa der Menschen in Europa – reduzieren. Ein großer Teil der Weltbevölkerung könne sich einen europäischen Lebensstil noch gar nicht leisten, wolle aber den Lebensstandard der Menschen im globalen Norden erreichen. Will man allen Menschen der Welt den gleichen Wohlstand ermöglichen und gleichzeitig das Klima schützen, müssten die westliche Gesellschaften auf viel verzichten – eine CO2-Steuer allein reiche dann vielleicht nicht, auch nicht, wenn man die Einnahmen an den globalen Süden umverteilt. Man könne die ökonomischen Fragen nur im Zusammenhang mit Fragen der Verteilungsgerechtigkeit angehen, sagte die Wirtschaftsphilosophin.

Zielkonflikt

Als einziger Podiumsgast sprach Albena Azmanova wörtlich von "wirtschaftlicher Revolution". Die Politologin, die an der Universität Kent politische Theorie lehrt, diagnostiziert zwei Entwicklungen, die sie revolutionär nennt. Zum einen sei zuletzt ein breiter Konsens für den Kampf gegen den Klimawandel entstanden. Auf der anderen Seite besinne sich die Europäische Union auf soziale Gerechtigkeit. Allerdings warnte Azmanova, dass man beide Ziele nicht zugleich erreichen könne, wenn man sie nicht zusammendenkt.

Das Podium (v. l. n. r.): Lisa Herzog, Daniel Gros, Eric Frey, Albena Azmanova, Harald Oberhofer
Foto: Andy Urban

Wer Klimapolitik ernst nimmt, muss Ressourcen sparen. Wer möglichst viele Menschen aus der Armut holen will, braucht viel zum Verteilen – der Wohlfahrtsstaat der Vergangenheit basiere auf starkem Wirtschaftswachstum, das wiederum die Klimaziele zu unterminieren droht. (Azmanova gab DEM STANDARD zu diesem Thema ein Interview). Die Politikwissenschaftlerin plädierte deshalb für ein Umdenken vom Massenkonsum hin zu einem Konsum, der die wichtigsten materiellen Bedürfnisse abdeckt aber auf Verzichtbares teils auch wirklich verzichtet. Es brauche eine Abkehr vom Dogma des Wirtschaftswachstums, sagte Azmanova. Wachstum sei nicht per se schlecht, aber Politik müsse in erster Linie Ziele wie soziale Sicherheit, Klimagerechtigkeit und Lebensqualität verfolgen. (luis, 9.5.2021)