Der Markt in der schwer zerstörten Stadt Ariha in der Provinz Idlib. Die Menschen in Syrien leiden überall schwere Not. Im Ramadan gibt es ein paar Sozialmärkte, aber es gibt kaum das Nötigste zum Überleben.

Foto: Omar HAJ KADOUR / AFP

Am 26. Mai sollen die Menschen in Syrien zum zweiten Mal seit dem Ausbruch des Aufstands gegen das Assad-Regime vor zehn Jahren, aus dem ein verheerender Krieg wurde, zu Präsidentschaftswahlen gehen: Es sind laut der Verfassung von 2012, die bereits bei den Wahlen 2014 gegolten hat, zwar Gegenkandidaten zugelassen, aber das darf man getrost als Augenauswischerei bezeichnen.

Bewerber müssen die vergangenen zehn Jahre in Syrien gelebt haben, was Oppositionelle im Ausland – wo alle von Bedeutung sind – ausschließt. Die Hürde von 35 Unterstützungserklärungen aus dem Parlament ist nicht besonders hoch, kann aber trotzdem als Instrument gegen Missliebige beziehungsweise zur Bestellung harmloser Gegenkandidaten eingesetzt werden. Bisher haben sich drei angemeldet – unter anderem erstmals eine Frau, Fateh Ali Nahar, sie ist weitgehend unbekannt.

Bashar al-Assad, dessen Vater Hafiz al-Assad im März vor 50 Jahren per Plebiszit erstmals zum Präsidenten avancierte, wird demnach wieder auf sieben Jahre gewählt werden. 2014 erreichte er 88,7 Prozent, damals hatte er formal zwei Mitbewerber, und gewählt wurde nur in vom Regime kontrollierten Gebieten. Seitdem hat das Regime mit russischer und iranischer Hilfe fast ganz Syrien rückerobert.

Not und Wut

Triumphale Gefühle dürften bei dem mittlerweile 55-jährigen ehemaligen Augenarzt, der seinem Vater im Jahr 2000 ins Amt nachfolgte, aber auch nach gewonnener Wahl nicht aufkommen. Syrien steht wirtschaftlich am Abgrund, auch in Assad-loyalen Gebieten ist die Wut der Menschen auf das Regime so groß wie ihre bittere Not. Die Leute stehen um Brot – oft das einzige Nahrungsmittel – an, vor den Tankstellen sind die Schlangen manchmal mehrere Kilometer lang, Strom gibt es kaum. Dazu kommt eine dramatische Corona-Lage.

Vor ein paar Tagen hat Assad den Zentralbankchef gefeuert, aber den dramatischen Währungsverfall wird ein anderer auch nicht stoppen können. Vor zehn Jahren zahlte man für einen US-Dollar 47 Pfund, heute sind es schon einmal 4600.

Angst vor Staatskollaps

Gerade die katastrophale Lage trägt aber dazu bei, dass es zuletzt mehr regionalpolitische Aktivitäten gibt, Syrien aus der Sackgasse zu holen. Auch explizite Gegner Assads, die früher Rebellen unterstützt haben, befürchten einen Staatskollaps und ein Vakuum nach einem Sturz Assads. Russland bemüht sich verstärkt darum, die Araber dazu zu bringen, Assad wenigstens als Übergangsfigur zu akzeptieren – und Syrien, dessen Mitgliedschaft 2011 suspendiert wurde, wieder in die Arabische Liga aufzunehmen.

Dazu müsste allerdings auch Assad seinerseits Schritte setzen: vor allem durch Konzessionen im von der Uno geleiteten Verfassungskomitee, in dem auch die Opposition sitzt und das nach Ende des Ramadans wieder zusammentreten soll. Dabei geht es um die Umsetzung von Uno-Resolution 2254 aus dem Jahr 2015, die eine politische Lösung für Syrien fordert. Uno-Beauftragter Geir Pederson hat dafür einen neuen Fünf-Punkte-Fahrplan vorgelegt und hofft, dass Russland Druck auf Assad ausübt, mitzutun.

Was die Araber davon hätten, Syrien wieder an sich zu ziehen, ist klar: immerhin die Hoffnung, den iranischen, aber auch den wachsenden türkischen Einfluss – den Ankara durch die Unterstützung von Rebellen ausübt – zurückzudrängen. Wenn Syrien kollabiert, könnten sich die Türken und die Iraner endgültig in Syrien festsetzen.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow absolvierte im März eine Tour in den arabischen Golfstaaten und war vor wenigen Tagen in Ägypten, um eine russisch-arabische Zusammenarbeit zum Thema Syrien zu schmieden. In Doha gab es auch ein russisch-katarisch-türkisches Treffen zu Syrien, immerhin mit einer gemeinsamen Stellungnahme, in der eine politische Lösung verlangt wird.

Abu Dhabi führt an

Während Saudi-Arabien und Katar noch zu zögern scheinen, sind die lautesten Verfechter einer Normalisierung die Vereinigten Arabischen Emirate. Sie haben ihre Botschaft in Damaskus bereits 2018 wieder geöffnet und loben Russlands Bekämpfung islamistischer Rebellen und des Islamischen Staats als "Kampf gegen einen gemeinsamen Feind". Dass der IS in Syrien noch immer präsent ist, zeigte am Montag ein russischer Luftangriff auf IS-Stellungen bei Palmyra, laut Moskau mit 200 Toten.

Ägypten und Algerien – wo der nächste Gipfel der Arabischen Liga stattfinden soll – sind ebenfalls für die Normalisierung mit Syrien. Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi ist auch Teil eines Dreierformats gemeinsam mit dem jordanischen König Abdullah und dem irakischen Premierminister Mustafa al-Kadhimi. Laut Berichten von Asharq al-Awsat will sich auch Syrien selbst mit einem mit "Arabische Tiefe" übertitelten Vorschlag einbringen.

Um den Iran auszubooten, müssten laut Russland auch arabische Wirtschafts- und Finanzhilfe an Damaskus fließen. Das wird jedoch erschwert durch ein unter US-Präsident Donald Trump eingeführtes Syrien-Sanktionspaket, den "Caesar Act". Es gibt keine Anzeichen, dass Präsident Joe Biden vorhat, diese Politik zu revidieren. Auch die EU bleibt dabei, sich in Syrien nicht engagieren zu wollen, solange es keine Konzessionen von Assads Seite gibt. Vielleicht gibt es sie ja nach den Präsidentschaftswahlen. (Gudrun Harrer, 20.4.2021)