STANDARD: Darf ich kurz stören?

Peter Filzmaier: Ich glaub, ich weiß, warum Sie anrufen. Es ist ja fast wie in der Politik nach dem Ibiza-Video.

STANDARD: Das Ibiza des Fußballs ist die Super League. Sie sind in Österreich einer der größten Barcelona-Fans. Was würden Sie von einer Super League halten?

Filzmaier: "Empörung steht jetzt nur jenen zu, die auch schon strikt gegen die Champions League waren."
Foto: Regine Hendrich

Filzmaier: Ich bin dagegen. Aber mehr aus sportlichen als aus scheinmoralischen Gründen. Schließlich wurde auch die jetzige Form der Champions League geschaffen, damit die Großen und Reichen noch mehr Geld machen. Empörung, finde ich, steht jetzt nur jenen zu, die auch schon strikt gegen die Champions League waren. Alles andere wäre doppelmoralisch.

STANDARD: Was würde Sie in sportlicher Hinsicht stören?

Filzmaier: Vor allem dass es keine Aufsteiger und Absteiger geben soll und nie mehr die Kleinen gegen einen Großen spielen und wenigstens theoretisch gewinnen können. Das ist ja auch der Charme des Fußballs. Im Prinzip gleicht das dem System der US-amerikanischen Ligen, es werden aber nur die Nachteile und nicht die Vorteile importiert. Dort gibt es insofern einen Ausgleich, als die schlechteren Teams im Draft als erste an die Reihe kommen und so die größten Talente verpflichten können. Sogar in der Champions League werden die Milliarden wenigstens so aufgeteilt, dass kleinere Vereine – wobei klein freilich sehr relativ ist – ein paar hundert Millionen bekommen. In der Super League wären die Reichen nur noch unter sich und würden den Spielermarkt leerkaufen.

STANDARD: Aber schauen Sie sich nicht schon jetzt hauptsächlich Barcelona-Spiele in der Champions League an, gegen Teams wie Chelsea, Bayern oder Paris Saint-Germain? Oder geben Sie sich auch Barcelona gegen Getafe?

Filzmaier: Ich wäre kein echter Fan, wenn ich mir nicht auch das Spiel gegen Getafe reinziehen würde. Auch da fiebert man mit, auch da kann man sich an besonderen Aktionen von Messi erfreuen. Vielleicht sieht man gegen Getafe sogar mehr solcher Aktionen.

STANDARD: Der Fußball lebt davon, wie Sie selbst sagen, dass der Kleine gegen den Großen zumindest eine Chance hat. Wenn die Großen völlig unter sich blieben, ginge das Wesentliche verloren?

Filzmaier: So ist es. Wie gesagt, schon die Champions League wurde gegründet, damit die Reichen reicher werden. Aber sie hat noch dieses Element, dass Außenseiter etwas erreichen können. Ich kann mich erinnern, dass der rumänische Meister Cluj vor gut zehn Jahren einmal sehr überraschend mit einem Sieg gegen AS Roma und einem Remis gegen Chelsea eingestiegen ist. Red Bull Salzburg – zugegeben kein gutes Beispiel für "nicht reich" – durfte in einer Gruppe mit Liverpool immerhin bis zum letzten Gruppenspieltag vom Aufstieg träumen, und selbst der LASK war nicht meilenweit von der Champions League entfernt. Es geht um die Hoffnung, dass der Kleine etwas ausrichten kann. Sie ist über die Jahre immer kleiner geworden. Und mit der Super League würde sie sterben.

STANDARD: Hatte der Plan der zwölf Vereine eine gewisse Logik angesichts der Tatsache, dass Fußball die populärste Sportart weltweit ist, aber US-amerikanische Profivereine wirtschaftlich besser dastehen?

Filzmaier: Ich bin alt genug, um die Idealisierung des Fußballs durchaus infrage zu stellen. Früher war nicht alles besser. Ich weiß noch, dass 1987 in der ersten Meistercuprunde Real Madrid gegen Napoli gelost wurde. Da haben sich viele aufgeregt, weil einer dieser tollen Klubs gleich ausscheiden musste, entweder Real mit Butragueno und Co oder in dem Fall leider Napoli mit Ma-Gi-Ca, also Maradona, Giordano und Careca als Sturmtrio. Dann wurde das System optimiert, jetzt sind aus den großen Ligen mehrere Vereine dabei, und es gibt praktisch Setzlisten fast wie im Tennis, wo man ja auch nicht will, dass Thiem gleich zum Turnierauftakt gegen Djokovic antreten muss.

STANDARD: Ist es skurril, dass die Uefa, die Fifa und ein Verein wie Bayern München, der vor nicht allzu langer Zeit viel Geld für ein Freundschaftsspiel in Saudi-Arabien kassierte, jetzt quasi eine Achse der Guten gebildet haben?

Filzmaier: Dass die Uefa jetzt einen auf Moral macht, ist tatsächlich schräg. Ausgerechnet sie, die parallel von den EM-Städten verlangt, tausende Zuseher in die Stadien zu lassen – als würde es keine Pandemie geben. Hat es nicht auch in der Fifa mehrere Megaskandale gegeben? Und sind Bayern München oder Paris Saint-Germain etwa karitative Einrichtungen? Ich warne vor scheinheiligen Argumenten und einem Gut-Böse-Schema.

STANDARD: Die Uefa und die Fifa drohten den beteiligten Vereinen mit Ausschlüssen etwa aus der laufenden Champions League und Spielern dieser Vereine mit einer Sperre für Nationalteams.

Filzmaier: Da sieht man, wie überrascht die waren. Die wurden überrumpelt, deshalb gingen jetzt die Wogen so hoch. Doch das sieht nach einem Um-sich-Schlagen mit beschränkter Glaubwürdigkeit aus. Ich hätte mir kaum vorstellen können, dass Spieler gesperrt werden. Ich bin kein Jurist, aber das würde der Grundidee der EU widersprechen. Und die Uefa hat auch kein Monopol, eine Gruppe von Vereinen hat sicher das Recht, einen eigenen Wettbewerb zu gründen. Das Schlimmste wären jahrelange Prozesse gewesen. Vielleicht hätten wir erst im Jahr 2025 erfahren, wer die heurige Champions League gewonnen hat! Bedenklich auch, dass sich jetzt sogar Regierungschefs wie Johnson oder Macron eingemischt haben und festlegen wollten, wie der Fußball organisiert ist. Soll Herr Johnson wirklich Fußballern "die Wadln viererichten" dürfen? Und in der Champions League lassen sie sich im Stadion filmen. Die stehen natürlich unter Populismusverdacht.

STANDARD: Glauben Sie, dass es irgendwann doch noch zur Abspaltung und zu einer Super League kommen wird?

Filzmaier: Vielleicht gibt es auch etwas dazwischen. Aber wenn nicht einmal Gary Lineker weiß, ob noch ein Kompromiss möglich sein wird – wie soll es dann Peter Filzmaier wissen? (Fritz Neumann, 21.4.2021)