Dramas brachten ihr selbstbetiteltes Album Anfang April heraus.

Foto: Adrian Bidron

"Mit Argumenten ist sie besser. Ich sag einfach Nein und bin voll grantig", schmunzelt Mario Wienerroither. Bei musikalischen Detailfragen können sich die beiden Sturschädel Wienerroither und Viktoria Winter dann schon auch mal in die Haare kriegen. Finden sie gar keinen Kompromiss, kommt ein Lied halt nicht aufs Album. Größere künstlerische Differenzen haben Dramas trotz ihres Pitzeleien verkündenden Namens aber längst nicht mehr.

Dass ihr gerade erschienenes zweites Album genauso heißt wie die Band, ist ja auch ein Zeichen dafür, dass man Konsens und damit seinen Sound gefunden hat. Der Weg war weit. Zehn Jahre ist es her, dass Winter Wienerroither auf einer Party im Rahmen des Ars-Electronica-Festivals in Linz ansprach, "weil er irgendwie spannend wirkte". Dass er dann nicht nur spannend war, sondern auch Musikproduzent mit Fokus auf Elektronik, war ein günstiger Zufall, denn Winter hatte einige Demos der Marke folkiger Singer- Songwriter-Pop in der Schublade liegen.

DRAMAS

Musikalisch kamen die beiden, die nun schon lange Wien statt Oberösterreich ihr Zuhause nennen, aus unterschiedlichen Welten. Den gemeinsamen Sound, für den sie sich den Begriff "Düsterpop" gefallen lassen, mussten sie erst finden. Zuerst probierten sie es zu fünft in Bandkonstellation, aber da hatte jeder ganz andere Vorstellungen. "Wären wir doch nur zu zweit", sagten sich Dramas und ließen dem Wunsch Taten folgen.

Die nächste Show spielen Amger in Wien am Wir sind Wien Festival. Eröffnung im Stadtpark Wien, 31.5.21.
Foto: Stefan Plank

So ähnlich war es wohl auch bei Anger aus Brixen, die man übrigens bergig deutsch ausspricht wie die Königsangerspitze und nicht wie den englischen Zorn. Nora Pider und Julian Angerer spielten zusammen in einer Band mit ihm als Frontmann, bevor sie sich zum Duo gesundschrumpften. "In Wahrheit wolltest du auch einfach Frontfrau sein", sagt Angerer zu seiner langjährigen Freundin Pider, die das nicht verneint. Seitdem stehen sie nebeneinander, singen beide mal auf Englisch, mal auf Deutsch über verstrahlten Elektrobeats.

ANGER

Wie sie ihre romantische Beziehung vom gemeinsamen Musikprojekt abgrenzen könnten, ist immer wieder Thema, bei dem bis jetzt aber "eh nix" rausgekommen ist. Ständig wird beides vermischt, vor allem wenn man Lockdown-bedingt in der gemeinsamen Wiener Wohnung aufeinanderpickt. "Wär schon gut, wenn jeder ein eigenes Frustkammerl hätte", lautet das Fazit. Aber grundsätzlich herrscht bei Anger genauso wie bei Dramas, Leyya und dem Zwillingspaar Mynth meistens Harmonie. Und alle haben dafür dasselbe Rezept: Kommt ein Teil des Duos mit einer Idee daher, die für den anderen Teil erst mal sinnbefreit klingt, muss man sich darauf einlassen. Dann sieht und hört man eh, ob es funktioniert oder nicht.

Zu zweit im Schlafzimmer

Das Duo ist die kleinstmögliche Bandform und besonders beliebt, seit man auf kleinen MacBooks im Schlafzimmer Musik auf internationalem Klangniveau herstellen kann. Bedroom-Production ist der Terminus technicus dafür. Gerade in den 2010er-Jahren schossen Künstlerinnen und Künstler, die ihre Musik in den eigenen vier Wänden auf nahmen, wie Schwammerln aus dem Boden – hier eben vor allem Solo -Artists oder Duos, denn zu dritt oder viert im Schlafzimmer wird es dann doch schnell eng.

Leyya ist wohl das erfolgreichste aktuelle Duo des Landes.
Foto: Gabriel Hyden

Die Vorteile des Duos gegenüber der Band und dem Dasein als Solokünstlerin oder -künstler liegen auf der Hand. Sophie Lindinger von Leyya fasst zusammen: "In einer Band mit vier Personen muss man immer Kompromisse eingehen, allein zu arbeiten ist dagegen absolut kompromisslos, aber irgendwann steht man an und wiederholt sich. Das Duo ist ,best of both worlds‘: Der Vision folgen können, aber mit Input von jemandem, der einen weiterbringt."

LeyyaMusic

Zu den logistische Vorteilen – von der Proben- bis zur Tourplanung, die man sich zu zweit leichter ausschnapsen kann als im größeren Kollektiv – kommen auch finanzielle Vorteile: Von einer durch zwei geteilten Gage bleibt dem oder der Einzelnen mehr.

Es ist also nicht verwunderlich, dass es international und national gerade so viele Duos im weiten Feld des Elektropops gibt – neben den vier hier vorgestellten wären auf nationaler Ebene auch noch Elis Noa, Lea Santee oder Cari Cari zu nennen. Etwas auffällig ist vielleicht, dass es sich bei allen genannten Duos um Frauen/Männer-Gespanne handelt.

"Sobald Frau und Mann ein Duo bilden, wird man recht schnell miteinander verglichen und in dieselbe Genreschublade gesteckt, auch wenn man ganz unterschiedliche Musik macht", beobachtet Giovanna Fartacek von Mynth.

Das dritte Album von Mynth, "Shades", erschien vorigen November.
Foto: Patricia Narbon

Tatsächlich hat deren theatraler Sound, den man live sogar mit Orchester umsetzen kann, wenig mit dem DIY-Retro-Gefühl, das Anger mit einem Augenzwinkern verbreiten, zu tun. Und auch der Drama’sche Gloom-Pop unterscheidet sich ganz gewaltig von den Collagen, die Leyya mit Sounds und Samples aus aller Herren Ländern zusammenbauen und die zuletzt sogar Richtung Grunge driften.

Singende Beiwagerl

Doch die Erfahrung, dass in Frauen/Männer-Duos die Männer als Mastermind wahrgenommen werden, während die Frau gern als singendes Beiwagerl gesehen wird, haben alle der befragten Duos gemacht. "Wir mussten die letzten drei Jahre immer wieder betonen, dass wir gleichberechtigt unsere Songs schreiben und gleichberechtigt an der Front stehen", sagt Nora Pider von Anger. Kollege Angerer ergänzt: "Am Anfang haben Medien bei den Interviewantworten immer nur meinen Namen hingeschrieben, das war einfach nur frech!"

Auch Lindinger bestätigt, dass es gerade am Anfang "sehr zach" war, ständig gegen Klischees ankämpfen zu müssen. Wenigstens war sie damit nicht allein. "Es war sehr an genehm, mit Marco jemanden an meiner Seite zu haben, der das genauso empfindet", erzählt Lindinger. "Heute ist es etwas anders: In Österreich haben wir uns beide schon einen Namen gemacht. Ich habe Projekte, bei denen ich in der Produktion im Vordergrund stehe. Aber als Frau muss man sich immer zehnmal mehr beweisen, bis einem die Leute das glauben."

Assim Records

Sich blind verstehen

Bei Mynth und Dramas war es anfänglich so, dass der männliche Part produzierte und der weibliche für Melodien und Texte zuständig war, aber bei beiden Duos wurden die Grenzen hier auch längst aufgebrochen. "Mittlerweile hat Vicky auch ein komplettes Set-up zum Produzieren zu Hause, und ich greife beim Songwriting stärker ein. Ich denke, bei unserem vierten Album werden wir beide genau das Gleiche machen", sagt Wienerroither von Dramas.

So unterschiedlich die Musik der österreichischen Elektropop-Duos auch klingt, so wichtig ist allen, kompromisslos, gleichberechtigt und aus langjährigem Vertrauen zum anderen heraus Musik machen zu können. Man versteht sich blind. "Duospezifisch" tauschen sich die verschiedenen Minikollektive übrigens nicht aus. Na gut, aber das war auch eine dumme Frage. "Der Markt ist sehr überschaubar, wir sehen uns und kennen uns alle, das ist eine gute Stimmung und sehr freundschaftlich", sagte Giovanna Fartacek.

Na, wenn das so ist ... Vielleicht gründen die acht ja irgendwann doch noch zusammen eine Super-Group. (Amira Ben Saoud, 22.4.2021)