Das Urteil wurde mit Spannungen, teils aber auch mit Trauer erwartet.

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Nur einen Tag haben sie schließlich gebraucht, nicht einmal zehn Stunden an Netto-Debattenzeit. Dann kamen am Dienstag die Geschworenen im Prozess rund um die Tötung von George Floyd in Minneapolis mit einem Urteil aus jenem Hotel zurück, wo sie abgeschirmt von der Öffentlichkeit beraten hatten. Es lautet: Der Ex-Polizist Derek Chauvin ist in allen Punkten schuldig – Mord zweiten Grades, Mord dritten Grades und Totschlag.

Die Geschworenen kamen damit zu dem Schluss, dass Chauvin Floyd getötet habe, während er selbst dabei war, eine weitere Straftat zu begehen – im konkreten Fall einen tätlichen Angriff auf Floyd. Ein Tötungsvorsatz muss nicht zwingend nachgewiesen werden. Ein genaues Strafmaß wird in etwa zwei Monaten verlautbart. Die Maximalstrafe, die der Staat Minnesota vorsieht, liegt allein für Mord zweiten Grades bei 40 Jahren – durchschnittlich werden für Unbescholtene rund zehn Jahre verhängt. Chauvin wurde unmittelbar nach Verlesung des Urteils in Handschellen abgeführt. Die Verteidigung könnte noch Berufung gegen das Urteil einlegen.

Biden fordert Reformen

US-Präsident Joe Biden sprach von einem "Mord bei hellem Tageslicht", der die Scheuklappen für die ganze Welt weggerissen habe. Er begrüßte den Schuldspruch, er markiere einen Umbruch in einem Land, das von systemischem Rassismus geprägt sei. Ein solches Urteil komme aber viel zu selten vor, und "es sollte nicht ein Jahr dauern, es zu erreichen", sagte Biden. Er rief zu weiterem Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt auf. Reformen seien notwendig. Struktureller Rassismus sei "ein Schandfleck auf der Seele unserer Nation".

Auch Vizepräsidentin Kamala Harris – die die erste Schwarze in dem Amt ist und am Dienstag unmittelbar vor Biden sprach – begrüßte das Urteil, die Arbeit müsse aber weitergehen. "Wir müssen immer noch das System reformieren", sagte Harris. Die Aufgabe der Vereinigten Staaten sei es nun, George Floyds Vermächtnis und ihn als Person zu ehren. Sie warb für einen Gesetzesentwurf für weitreichende Polizeireformen und nannte Rassismus "ein Problem für jeden Amerikaner". Es halte die gesamte Nation "davon ab, ihr volles Potenzial zu erreichen".

C-SPAN

Der frühere Präsident Barack Obama forderte nach dem Schuldspruch ein tiefgreifendes Umdenken und Reformen. "Wahre Gerechtigkeit erfordert, dass wir die Tatsache einsehen, dass schwarze Amerikaner anders behandelt werden, jeden Tag", erklärte Obama auch im Namen seiner Frau Michelle.

Der Anwalt der Familie Floyd, Ben Crump, veröffentlichte gleich im Anschluss an das Urteil ein Statement. Darin ist von "Gerechtigkeit, die um einen schmerzlichen Preis erlangt wurde", die Rede. Das Urteil gehe aber über den eigentlichen Fall Floyd hinaus und habe Bedeutung für das ganze Land und womöglich die Welt.

Proteste im Sommer

Das Urteil war mit größter Anspannung in vielen Städten der USA erwartet worden, wo sich die Sicherheitskräfte unabhängig vom Ausgang auf neue Demonstrationen gefasst gemacht hatten. Große Proteste unter dem Motto "Black Lives Matter" hatte im Sommer schließlich auch der Tod Floyds ausgelöst.

An vielen Orten im Land, unter anderem vor dem Laden "Cup Foods", wo Floyd ermordet worden war, wurde der Schuldspruch positiv aufgenommen. Es waren Rufe wie "Schuldig!" oder "In allen Punkten!" zu hören. Auch der Name George Floyds wurde immer wieder gerufen.

Auch die führenden Demokraten im US-Kongress begrüßten das Urteil. Die demokratische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sagte, dass Floyds Name von nun an für immer ein Synonym für Gerechtigkeit sein werde. An Floyd gerichtet sagte sie: "Danke, George Floyd, dass Sie Ihr Leben für die Gerechtigkeit geopfert haben."

In mehreren US-Städten gingen Menschen nach dem Gerichtsurteil auf die Straßen.
Foto: AFP / Megan Varner

Der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, sagte, er sei für Floyds Familie und Freunde dankbar, dass der Gerechtigkeit Genüge getan worden sei. Schumer mahnte zugleich: "Wir sollten einen Schuldspruch in diesem Fall nicht irrtümlich als Beleg dafür halten, dass das Problem von Polizei-Fehlverhalten gelöst ist." Man müsse weiter daran arbeiten, die Polizeidienststellen im Land grundlegend zu verändern.

I can't breathe

Auf einem Handyvideo war zu sehen gewesen, wie Chauvin und mehrere Kollegen rund neun Minuten auf dem Hals und anderen Körperteilen des am Boden liegenden Floyds knieten, während dieser um sein Leben flehte. Mehrfach gab er den Beamten mit den Worten "I can‘t breathe" zu verstehen, dass er keine Luft mehr bekomme. Der Spruch ist symbolhaft, er wurde schon vorher immer wieder bei Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt verwendet.

Die Anklagebehörden hatten bei dem Verfahren zu belegen versucht, dass Chauvin übermäßige Gewalt an den Tag gelegt habe bei dem Versuch, Floyd festzunehmen und ruhigzustellen. Dieser hatte zuvor in einem Geschäft mit einem gefälschten 20-Dollar-Schein bezahlt. Die Verteidigung hatte Zweifel daran zu säen versucht, dass Floyd wirklich wegen der Gewalt gestorben war, und auch daran, ob diese unberechtigt gewesen sei. Die Geschworenen folgten der Argumentation der Staatsanwaltschaft.

Der Prozess war auch aus der Reihe gefallen, weil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizei und der Behörden ungewöhnlicherweise gegen Chauvin ausgesagt hatten.

Reaktionen auf den Schuldspruch Chauvins
DER STANDARD

Aufregung über Biden

Kurz vor der Verkündung des Urteils hatte es Aufregung über eine mögliche Einmischung Bidens gegeben. Dieser hatte mit der Familie Floyds telefoniert und nachher seiner Hoffnung Ausdruck gegeben, dass "das richtige" Urteil gefällt werde.

Die Beweislast sei erdrückend. Biden fügte aber hinzu, dass er das nur deshalb sage, weil die Geschworenen abgeschirmt beraten würden und vor der Urteilsverkündigung nichts von seinen Worten erfahren könnten.

Auch nach dem Schuldspruch rief der US-Präsident die Familie George Floyds an, wie in in einem Video zu sehen ist, das deren Anwalt Crump auf Twitter teilte. (mesc, maa, agr, APA, 20.4.2021)